Softwarekunden wollen sich nicht länger über den Tisch ziehen lassen

Die Lizenz zum Ärgern

16.07.2004
Mit komplizierten Lizenzmodellen und vertraglichen Tricks versuchen Softwareanbieter, immer mehr Geld aus ihren Kunden herauszuholen. Doch das wollen sich die Nutzer nicht länger gefallen lassen. Sie drängen auf mehr Transparenz und Flexibilität.

Viele Oracle-Anwender in Deutschland sind unzufrieden. Laut einer Umfrage der Deutschen Oracle Anwendergruppe (Doag) haben 70 Prozent der Nutzer kein Vertrauen in die Lizenzpolitik des Softwareanbieters. Die Mehrheit der 123 befragten Unternehmen kritisiert die fehlende Transparenz in Oracles Lizenzpolitik sowie eine mangelhafte Beratung.

"Diese Umfrageergebnisse sind überraschend und keinesfalls befriedigend", kommentiert Günther Stürner, Vice President für den Bereich Datenbanken bei Oracle in Deutschland, das Ergebnis. Von einer Krise in Sachen Lizenzpolitik will er jedoch nichts wissen. Es seien klare Lizenzstrukturen vorhanden. Alle für die Kunden notwendigen Details würden publiziert.

Allerdings gebe es durchaus einige kritische Punkte, räumt Stürner ein. So könne es vorkommen, dass ein Anwender seine alten Lizenzen auf ein neues Lizenzmodell migriert und danach mehr bezahlen muss. Auch die Prüfungen des aktuellen Lizenzstatus würden von den Kunden manchmal als ärgerlich und störend empfunden. Oracle zufolge wurden die Audits in den vergangenen Monaten intensiviert. Dabei unterstelle man den Kunden jedoch keineswegs absichtliche Lizenzverstöße, versichert Stürner. In den meisten Fällen resultiere eine Unterlizenzierung aus der Unkenntnis der Anwender. Für die Betroffenen sei es dennoch unangenehm, dabei ertappt zu werden.

Eine Überprüfung der Lizenzsituation musste unter anderen Carsten Kaftan, Teamleiter Datenbankadministration von Sanacorp Pharmahandel in Planegg, erdulden. Das Audit habe ergeben, dass die vorhandenen 800 Oracle-Datenbanklizenzen nicht ausreichten: Es fehlten 200 Stück. Da Kaftan die Oracle-Lizenzen nicht eindeutig bestimmten Nutzern zuweisen kann, greift ein Lizenzmodell, das neben der Nutzerzahl auch die CPU-Leistung der verwendeten Server in die Berechnungen einbezieht - in diesem Fall jedoch zu Ungunsten des Nutzers. Da Oracles Klauseln eine Mindestlizenzierung vorschreiben, müsste Kaftan statt der 200 benötigten 500 Lizenzen nachordern. Trotz langwieriger Verhandlungen ist noch keine Lösung in Sicht, berichtet der enttäuschte Datenbankadministrator.

Nutzer fühlen sich schlecht behandelt

Mit ihrer Kritik stehen die Oracle-Anwender nicht allein. Laut einer Untersuchung von AMR Research ist der Großteil der Softwarekäufer unzufrieden mit den Lizenzbedingungen der Anbieter. Eine Umfrage der Marktforscher ergab, dass sich die Mehrheit von ihren Softwarelieferanten schlecht behandelt fühlt. Viele Hersteller hätten sich in den vergangenen Jahren komplexe und verworrene Lizenzstrukturen ausgedacht, die teilweise nicht einmal die eigenen Vertriebsmitarbeiter verständen, geschweige denn erklären könnten. Für AMR-Analyst Jim Shepherd ist diese Taktik nicht nachvollziehbar. Einerseits betonten die Anbieter die Absicht, langjährige Partnerschaften mit ihren Kunden aufzubauen. Auf der anderen Seite düpierten sie ihre Kunden mit einer zweifelhaften Lizenzpolitik.

"Die Softwareanbieter vergraulen ihre Kundschaft", warnt auch Walter Kolbenschlag, Geschäftsführer der UBK GmbH. Das Beratungshaus aus Lauf bei Nürnberg unterstützt Kunden bei der Softwareauswahl, der Vertragsgestaltung und der Implementierung der Programme. Aus seiner Praxis kennt der Berater viele Fallstricke. Die Probleme beginnen demnach oft schon bei der Preisfindung. Selbst für klar umrissene Projekte wie beispielsweise die Einführung einer Materialwirtschaft bekomme er Angebote zwischen 50000 und 350000 Euro. Von einer nachvollziehbaren Preiskalkulation der Anbieter könne keine Rede sein. Kolbenschlag rät, Angebote zu vergleichen und nicht vorschnell einem Anbieter den Zuschlag zu erteilen, bloß weil andere namhafte Unternehmen dessen Software einsetzen.

Auch die Verträge sollten sorgfältig geprüft werden, empfiehlt der Berater. Selbst in den Dokumenten renommierter Softwarehäuser fänden sich Passagen, die ein Kunde unmöglich akzeptieren könne. Kolbenschlag berichtet von einem Auftrag, für den der Anbieter bei Vertragsabschluss eine Vorauszahlung erhalten sollte. Er zitiert aus dem Dokument: "Wir garantieren zu keiner Zeit irgendwelche Erfüllung der Leistung, weder Programmierung noch Dienstleistung." Nach diesem Passus könne der Anbieter seine Vorauszahlung kassieren und dann die Beine hochlegen, moniert Kolbenschlag. Auf die Klausel angesprochen, habe ein Mitarbeiter des Softwarehauses geantwortet, darüber wundere er sich auch.

Anwender wehren sich gegen Abzocke

"Die Softwareanbieter haben kein Interesse daran, dass die Kunden ihre Lizenzverträge verstehen", überspitzt Robert Niedermeier, Rechtsanwalt der Heussen Rechtsanwaltschaft mbH. Anlässlich einer Veranstaltung von Euroforum zum Thema Lizenz-Management warnt der Rechtsexperte die Anwender, dass sich auf Anbieterseite im Grunde alles nur um die eine Frage drehe: Mit welchem Lizenzmodell lassen sich die Kunden am besten abzocken?

Ganz so leicht hätten es die Anbieter mit den Kunden aber nicht mehr, so Niedermeier. Hätte der Abnehmer früher über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) diskutieren wollen, sei er in der Regel der Tür verwiesen worden. Heute könnten sich die Softwarehäuser längst nicht mehr alles erlauben, berichtet der Anwalt. Die Kunden hätten momentan die Chance, größere Vorteile bei Vertragsverhandlungen herauszuholen.

Dazu seien jedoch einige Vorarbeiten notwendig, erläutert der Rechtsexperte. Die Verantwortlichen vieler Firmen wüssten beispielsweise gar nicht, wie viele Lizenzen eines Programms im eigenen Unternehmen im Einsatz sind. Niedermeier empfiehlt den Anwendern deshalb, ein Projekt aufzusetzen, um die eigenen Lizenzen zu erfassen. Dabei gilt es neben dem rechtlichen Aspekt auch die technische Komponente zu klären, wie viele Lizenzen tatsächlich genutzt werden. Den Aufwand dafür sollten die Anwender nicht unterschätzen, mahnt der Anwalt. Vor allem das Durchforsten der Verträge erfordere viel Zeit. So gehe es nicht allein darum, die Anzahl der Lizenzen festzustellen. Auch Fragen nach der Art und dem Modell der Lizenzierung, wie das Programm eingesetzt werden darf, welche Regelungen zu Wartung und Updates in den Verträgen festgeschrieben sind, müssten beantwortet werden.

Verlässliche Daten stärken den Rücken

Mit diesem Hintergrundwissen könnten die Softwarekunden gegenüber ihren Lieferanten forscher auftreten, meint der Rechtsanwalt. Gerade sensible Themen wie beispielsweise die Kündigung von Lizenz- oder Wartungsverträgen ließen sich auf der Basis verlässlicher Daten besser diskutieren. Und sollte das Softwarehaus überhaupt nicht einlenken, könne man durchaus nach vorheriger Risikoabschätzung auch über eine fristlose Kündigung per Gerichtsvollzieher nachdenken, erläutert Niedermeier mit einem Schmunzeln. "Das bringt ein wenig Esprit in die Verhandlungen."

Die Kunden wollen sich nicht mehr länger der Willkür ihrer Softwarepartner aussetzen. Das ergab auch die Umfrage der Marktforscher von AMR Research. Immerhin 38 Prozent der Befragten gaben an, intern Personal zu schulen, um kostenpflichtige Supportaufgaben selbst zu übernehmen. Über ein Drittel der Manager bekundete außerdem die Absicht, ihre Wartungsverträge neu zu verhandeln. Die Anbieter selbst können sich nicht mehr sicher fühlen: Laut Umfrage beabsichtigen 22 Prozent der Kunden, ihren Softwarelieferanten zu wechseln.

Die Softwarehäuser müssen sich etwas einfallen lassen, um ihre Kunden zu besänftigen. Vor allem die bisherigen Lizenzmodelle stehen dabei auf dem Prüfstand, erläutert Helmuth Gümbel, Analyst von Strategy Partners aus dem schweizerischen Scuol. So müssten beispielsweise die Verantwortlichen der SAP ihr Named-User-Modell überdenken, das aus Sicht des Analysten wenig flexibel und nicht mehr zeitgemäß ist. Die Softwerker aus dem Badischen verlangen laut Gümbel, dass für mindestens 25 Prozent der Mitarbeiter eines Unternehmens Lizenzen als Named-User zu erwerben seien. Wenn dann die Firmen in wirtschaftlichen Notzeiten Arbeitsplätze abbauten, blieben zahlreiche "Geister"-User zurück, für die weiterhin Wartungsgebühren fällig würden, obwohl die Lizenzen gar nicht genutzt würden. Auch Modelle wie Job-Sharing sind mit SAP-Software schwierig zu realisieren. Arbeiten zwei Anwender an einem SAP-Arbeitsplatz, wird eine weitere Lizenz fällig.

Probleme sieht Gümbel auch in Zusammenhang mit den so genannten technischen Usern. Hier verlangen die Walldorfer Lizenzgebühren, sobald ein Anwender von einer Nicht-SAP-Anwendung auf ein SAP-System zugreift. Diese Strategie ist aus Sicht des Analysten unter kartellrechtlichen Aspekten bedenklich, da sie letztendlich zum Ausschluss jeder Fremdapplikation aus dem SAP-Umfeld führen könnte. Angesichts des immer stärker werdenden Integrationsgedankens werde diese Position kaum zu halten sein.

Das bestätigt Ulrich Roßkopf, Leiter Business Consulting der Freudenberg IT KG. In der neuen SAP-Welt der Enterprise Services Architecture (ESA) werde das Named-User-Modell nicht mehr funktionieren. Gerade hinsichtlich der Xapps könne es kein Lizenzmodell geben, das sich auf die Anwenderzahl stützt. Der IT-Manager ist jedoch zuversichtlich, dass SAP hier eine Lösung finden wird. So könnte sich das Lizenzmodell beispielsweise stärker am Prozess, der Nutzung oder den Geschäftsergebnissen orientieren, schlägt Roßkopf vor.

Ähnliche Modelle bietet SAP bereits im Rahmen seiner Branchenlösungen an, berichtet Gümbel. Hier orientieren sich die Preise beispielsweise daran, wie viele Fässer Öl täglich gefördert werden oder wie viele Verträge ein Versicherungsunternehmen abschließt.

Auch Nils Niehörster, Chef des Beratungshauses Raad Consult, fordert ein Umdenken bei den Softwareanbietern. "Wenn Oracle-Chef Lawrence Ellison stolz verkündet, dass die Rendite der Wartungserlöse 90 Prozent beträgt, dann ist das unanständig." Hier müsse man sich fragen, ob den Wartungsgebühren überhaupt noch eine adäquate Leistung gegenüberstehe. Niehörster warnt vor einer zunehmenden Komplexität der Preis- und Lizenzmodelle: "Je komplizierter eine Software, desto schwieriger die Preisfindung." Dies lasse sich am Beispiel der SAP belegen. War die Preisliste der Walldorfer 2001 noch 40 Seiten dick, umfasst die aktuelle Liste bereits 90 Seiten. In Zeiten von ESA und Netweaver könnten die Modelle noch komplizierter werden. Um möglichem Aufruhr unter den Anwendern vorzubeugen, empfiehlt der Berater den Softwarehäusern, die Kunden darauf vorzubereiten und schon jetzt die Gemüter mit Beispielrechnungen zu beruhigen.

Doch die großen Softwarehäuser halten sich, was künftige Lizenzmodelle betrifft, noch sehr zurück. Oracle-Manager Stürner lässt lediglich durchblicken, dass der Datenbankspezialist über neue Ideen nachdenkt. Auch die SAP-Verantwortlichen wollen vorerst nichts zu diesem Thema sagen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gebe es nichts Konkretes zu berichten, zeigt sich der deutsche Softwarehersteller kurz angebunden. Die verschiedenen Modelle und Rechnungsmethoden seien hinlänglich bekannt. Im August jedoch werde SAP Neuigkeiten hinsichtlich seiner Lizenzmodelle präsentieren, kündigte ein Sprecher an.

Auch kleine Unternehmen haben eine Chance

In jedem Fall wird auch in Zukunft viel vom Verhandlungsgeschick des Kunden abhängen. Zwar hätten große Unternehmen aufgrund ihrer Marktmacht in aller Regel bessere Chancen, ihre Wünsche durchzusetzen. Doch auch kleinere und mittlere Firmen sollten das Gespräch suchen, rät Rechtsanwalt Peter Bräutigam von der Sozietät Noerr Stiefenhofer Lutz in München. Gerade wenn es für den Anbieter darum geht, einen neuen Markt zu eröffnen, seien Zugeständnisse an die Kunden möglich. Allerdings müsse man logisch und rational argumentieren. Zockern räumt Bräutigam nur geringe Chancen ein.

Edmund Schaich, Syndikus der Festo AG & Co KG und SAP-Kunde, rät den Anwendern, trotzdem ihre Chancen zu suchen. "Im Grunde lässt sich alles verhandeln." Auch überzogene Forderungen könnten zumindest teilweise weiterhelfen. Von diesen Positionen könne man beispielsweise dann wieder abrücken, wenn andere Streitpunkte im Vertragswerk zu den eigenen Gunsten modifiziert würden. "Man muss nur die Phase überstehen, in der man für irrsinnig gehalten wird."

Martin Bayer, mbayer@computerwoche.de

Sieben Tipps für die richtige Vertragsgestaltung

1. Lassen Sie sich von einem hohen Rabatt für die Lizenz nicht blenden. Meist versucht der Anbieter an anderer Stelle wie beispielsweise der Implementierung, auf seine Kosten zu kommen.

2. Gestalten Sie die Verträge hinsichtlich der künftigen Entwicklung Ihres Unternehmens möglichst flexibel. Lizenzen sollten auch im Falle von Auslagerungen und Outsourcing weiterverwendet werden können.

3. Sollten Sie vorhaben, die gekaufte Software zu modifizieren, müssen Sie sich dies vom Rechteinhaber gestatten lassen. Achten Sie darauf, dass wirklich der Rechteinhaber zustimmt. Ein Händler oder Wiederverkäufer ist in den seltensten Fällen auch der Rechteinhaber.

4. Lassen Sie Kündigungsrechte beispielsweise auf Wartung und Support im Vertrag festschreiben. Achten Sie darauf, die entsprechenden Fristen einzuhalten.

5. Beachten Sie, nach welchem Recht ein Lizenzvertrag geschlossen wird. Danach richten sich unter anderem der Gerichtsstandort sowie grundlegende Aspekte des Urheberrechts.

6. Für den Fall der Insolvenz des Softwareherstellers sollte eine Escrow-Strategie im Vertrag festgehalten werde. Achten Sie darauf, dass nicht nur der ursprüngliche Quellcode bei einem Notar hinterlegt wird, sondern auch alle folgenden Updates und Bugfixes.

7. Fehler in Verträgen lassen sich korrigieren. Jedes weitere Geschäft sollten Sie zum Anlass nehmen, Ärgernisse neu zu verhandeln. Liegt Geld auf dem Tisch, ist ein Verkäufer eher zu Zugeständnissen bereit.

So verhandeln Sie richtig

1. Halten Sie so lange wie möglich eine Konkurrenzsituation aufrecht. Wenn Sie Ihrem Anbieter vermitteln, dass Sie sowieso alles von ihm kaufen wollen, hat er Sie am Haken.

2. Verhandeln Sie möglichst konkret. Art und Einsatz der Lizenzen sowie die Wartungs- und Update-Bedingungen sollten klar und längerfristig festgeschrieben werden. Klauseln, wonach bestimmte Konditionen im Nachhinein geändert werden dürfen, sollten Sie nicht akzeptieren.

3. Beginnen Sie die Verhandlungen frühzeitig, schließen Sie jedoch möglichst spät ab. Gute Zeitpunkte sind das Quartals- beziehungsweise Jahresende.

4. Verhandeln Sie nicht nur den Lizenzpreis. Folgekosten wie Wartung und Support liegen meist um ein Vielfaches höher.

5. Achten Sie auf Vorteile durch Volumenrabatte. Gerade in dezentral organisierten Unternehmen werden Kostenvorteile leicht übersehen, weil die einzelnen Bereiche nicht wissen, welche Software bereits eingesetzt wird.

6. Lassen Sie die Verhandlungen von erfahrenen Einkäufern führen. Die IT-Abteilung sollte im Vorfeld ihre Anforderungen definieren und kann die Verhandlungen unter dem technischen Blickwinkel begleiten. Legen Sie vor Beginn der Verhandlungen fest, wer welche Rolle übernimmt.

7. Verhandeln Sie mit Maß und Ziel. Es sollte nicht um juristische Besserwisserei gehen. Wenn jedes Komma im Vertrag diskutiert wird, stößt das beim Verhandlungspartner auf wenig Verständnis.

Abb: Kalkulierte Intransparenz?

Die Oracle-Kunden in Deutschland kritisieren vor allem die oft wechselnden Lizenzmodelle, fehlende Transparenz sowie mangelnde Beratung. Quelle: Doag