Die Kaufwut von CA nützt letztlich nur der IBM

07.07.1989

MÜNCHEN - Von Erleichterung bis Verzweiflung reichen die Anwender-Reaktionen auf die Übernahme der kränkelnden Cullinet Corp. durch den Softwarekonzern Computer Associates (CA). Begrüßen die einen, daß der Anbieter des DMBS-Produkts IDMS nunmehr die Finanzkraft einer Milliarden-Dollar-Company im Rücken hat, bangen andere um Wartung und Weiterentwicklung der Cullinet-Produkte. Nahezu einstimmig beurteilen die Kunden jedoch die Folgen des Konzentrationstrends auf dem Systemsoftware-Markt: Jede neue CA-Akquisition liefert dem Softwarevertrieb der IBM neue Argumente - während das laut eigenen Angaben "größte unabhängige Software-Unternehmen der Welt" bald schon die Grenzen des Wachstums erreicht haben könnte.

"Für mich war das ein Schlag in den Magen", resümiert Peter Ulitz, Abteilungsleiter Kaufmännische Datenverarbeitung bei der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft mbH (IABG) in Ottobrunn. Die Nachricht von der Eingliederung seines DBMS-Lieferanten in Charles Wongs Software-Imperium traf den Mit-Geschäftsführer der IDMS-Anwendervereinigung AID "ziemliche überraschend" .

Die vor allem seit dem Comeback des Unternehmensgründers John Cullinane kursierenden Übernahmegerüchte habe Cullinet gegenüber seinen Anwendern stets zu dementieren gewußt. Ulitz: "Wer da keine Insider-Informationen hat, ist relativ hilflos und muß sich auf die Aussagen des Herstellers verlassen, "

Im vergangenen Quartal hatte Cullinet zum ersten Mal seit drei Jahren schwarze Zahlen geschrieben; und das Verhältnis zwischen Hersteller und Anwendern, so der AID-Geschäftsführer, "war gerade auf dem Weg der Besserung." Jetzt heißt es, mit Computer Associates von vorn zu beginnen - unter deutlich erschwerten Bedingungen. Ulitz: "Je größer der Partner ist, desto schwieriger können manche Dinge werden."

Auch Rudi Ritter, RZ-Leiter bei der Stadtsparkasse Ludwigshafen, fürchtet, daß die Einflußmöglichkeiten der Benutzergruppen schwinden könnten. Erläutert der Pfälzer: "Große Firmen wie CA brauchen nicht mehr auf die Forderungen der Anwender einzugehen. "

Gleichwohl können die DV-Profis dem CA-Cullinet-Deal auch positive Aspekte abgewinnen. Ulitz: "Zumindest kapitalmäßig ist das Vertrauen in den Hersteller jetzt wieder stärker Es hätte uns schließlich passieren können, daß Cullinet spurlos vom Markt verschwindet. "

Erleichterung über das Ende der Unklarkeit äußert auch die Stuttgarter Daimler-Benz AG. Werner Ruisinger, Leiter der Abteilung Software- und Bürotechnologie: "Wir bewerten die Übernahme durch CA als grundsätzlich positiv, weil damit die Unsicherheiten und Spekulationen der letzten Zeit ausgeräumt werden."

Die günstige Seite dieser Entwicklung sieht auch Alexandre Nobs, Leiter Informationsmanagement und stellvertretender Direktor der Bank Julius Bär in Zürich. Dennoch mag der Schweizer seine Befürchtungen hinsichtlich der Weiterentwicklung von IDMS nicht verhehlen: "Computer Associates hat mit den beiden Cullinet-Umgebungen IDMS und Enterprise jetzt vier Datenbankprodukte. Wir wissen zwar nicht, wie sich das weiter entwickeln wird aber wir nehmen an, daß es am Schluß nur noch eine Datenbank geben wird. "

Diese Ansicht teilt Hans-Peter Kotowski, Datenbankadministrator bei der Central Krankenversicherung AG in Köln: "Von einem vernünftigen Unternehmen erwarte ich nicht, daß es drei ähnliche Produkte parallel entwickelt. "

Rudi Ritter betrachtet die Zukunftschancen der Cullinet-Systeme ebenfalls skeptisch. Seiner Ansicht nach lautet die entscheidende Frage :"War dies für CA ein Zukauf von Know-how oder nur der Aufkauf eines Konkurrenten?" Im letztgenannten Fall sei damit zu rechnen, daß die Cullinet-Produkte über kurz oder lang vom Markt verschwänden.

Branchen-Insider haben das CA-eigene DBMS Universe bereits totgesagt. Die ADR-Entwicklung Datacom/DB hingegen werde Aberleben - vor allem deshalb, weil sie eine breite Anwenderbasis im US-Verteidigungsbereich habe. Für diese Annahme spricht, daß CA im Mai dieses Jahres ein Produkt mit der Bezeichnung Datacom II angekündigt hat, das im wesentlichen auf Datacom/DB basiert, wenngleich es Teile von Universe enthält.

Inwieweit die DBMS-Entwicklungen von Cullinet in diese Produktlandschaft passen wagt bislang noch niemand zu beurteilen. Kotowski:" Auf die Frage, ob und wie die Cullinet-Produkte weiterentwickelt werden, bekommen wir wohl kaum in diesem Jahr noch eine Antwort".

Strittig ist nicht nur die Weiterentwicklung, sondern auch die Wartung der Cullinet-Produkte. Für viele Anwender überwiegt die Sorge um den Support sogar die Furcht vor einer Stagnation der Produktentwicklung. So für den Daimler-Benz-Mitarbeiter Ruisinger: "Vorrangig erscheint uns, daß CA den Support-Standard von Cullinet auch künftig sicherstellt."

Soviel ist sicher: CA wird versuchen, aus den bestehenden Wartungsverträgen möglichst viel Profit zu ziehen. Insofern besteht für Friedrich-Wilhelm Thiele, RZ-Leiter der BHW-Bank in Hameln, kein Anlaß zum Optimismus: "Ich kenne die Strategie der Firma CA, und die ist sehr einfach: Umsatz machen, also Mitarbeiter einsparen - was sicher keine positiven Auswirkungen auf den Service hat. "

Zusätzlich zu Kürzungen auf der Mitarbeiterseite, so fürchtet die Kundschaft, werde CA die Service-Gebühren erhöhen. Orakelt der stellvertretende Bank-Direktor Nobs: "Wir erwarten jetzt Kostensteigerungen in Sachen Wartung. Cullinet war ja bislang nicht unbedingt profitabel; also muß irgendwoher mehr Geld einfließen. "

Die ehemaligen Cullinet-Kunden sind wahrhaftig nicht zu beneiden: Zu ihren eigenen Befürchtungen gesellen sich vielerorts Vorwürfe von seiten der Unternehmensleitung. Diejenigen, die vor Jahr und Tag für IDMS und gegen IMS plädierten, sehen sich jetzt gezwungen, ihre Entscheidung aufs neue zu rechtfertigen.

Zu den verantwortlichen DV-Mitarbeitern, denen diese Erfahrung nicht erspart bleibt, gehört auch Peter Ulitz: "Die eigentlich schon abgeschlossenen Diskussionen um die Entscheidung für IDMS leben jetzt wieder auf," berichtet der IABG-Mann, "vor allem nachdem der Mitbewerb entsprechend auftritt, um einen Hang zur Sicherheit auszunutzen, der sich momentan breit zu machen scheint "

Über "richtig schöne Schwierigkeiten" mit der Geschäftsleitung klagt auch der Leiter des BHW-Rechenzentrums.

Die Entscheidung für IDMS, so bekennt Thiele, habe er gegen erhebliche Widerstände aus dem eigenen Unternehmen durchgeboxt: "Ich war mit dem Herzen dabei." Jetzt sieht sich der RZ-Leiter nach einem Alternativprodukt um. Die Frage, welches System in Frage komme, quittiert er mit bitterem Lachen: "Da gibt es wohl keine große Auswahl mehr."

Die seit etwa zwei Jahren andauernde Konzentration auf dem Softwaremarkt führt nach Ansicht vieler Anwender früher oder später zu einer Polarisierung zwischen IBM einerseits und CA andererseits. In einem günstigen Licht vermag lediglich Alexandre Nobs dieses Phänomen zu betrachten: "Die Akquisitionen von CA können durchaus einen positiven Einfluß ausüben, indem sie einen Gegenpol zu IBM schaffen. "

Andere prophezeien verheerende Folgen für die Entwicklung des gesamten Marktes. Rudi Ritter nennt einige der möglichen Folgen aus der Sicht des Anwenders: "CA versucht, sich ein Monopol zusammenzukaufen; für uns geht dadurch eine Menge Vielfalt verloren und damit auch ein Teil Innovation." Außerdem steige die Abhängigkeit des Kunden vom Hersteller, weil es kaum noch Alternativen gäbe: "Jeder Anwender wird sich künftig fragen, ob er von einer kleineren Firma noch etwas kaufen soll, besteht doch die Gefahr, daß sie in einigen Jahren auch bei CA landet."

Nutznießer von Charles Wangs Kaufrausch dürfte also letzten Endes die IBM sein. Für Alexandre Nobs ist das Rennen bereits gelaufen: "Ich habe das Gefühl, daß DB2 als Produkt eine immer stärkere Stelle einnehmen wird, und daß die Softwarehäuser ihren Markt vor allem bei den Zusatzprodukten finden werden."

Die jüngsten CA-Akquisitionen haben den Vertriebsbeauftragten in den dunkelblauen Anzügen einige treffsichere Argumente an die Hand gegeben, die wohl kaum auf taube Ohren stoßen werden. Nicht nur Rudi Ritter ist sicher, daß dieser Aufkauf der IBM für den Vertrieb von DB2 den Rücken stärkt". Das gilt um so mehr, als auch die Zukunft von Computer Associates keineswegs als sicher gilt.

Analysten und Anwender stimmen darin überein, daß der frischgebackene IDMS-Lieferant Schwierigkeiten haben wird, die nächsten fünf Jahre zu überleben. Dunkle Wolken am Horizont hat zum Beispiel Hans-Peter Kotowski erspäht: "Die Gefahr besteht, daß sich CA irgendwann totkauft; die Frage ist, inwieweit es dem Unternehmen gelingt, die akquirierten Unternehmen zu integrieren."

Konkreter formuliert es Peter Ulitz: "CA wird dasselbe passieren wie schon ADV/ Orga und Cullinet: Beide hatten zweistellige Wachstumsraten, mußten aber irgendwann einmal konsolidieren. Mit Aufkäufen allein ist es in diesem Geschäft nicht getan."

Ein pikantes Detail am Rande: Wie einer der befragten Anwender mitteilte, hat ihm die Wilhelmshavener ADV/ Orga AG, bis zum April 1987 mit den deutschen Vertriebsrechten für IDMS ausgestattet, bereits angeboten, seine Anwendungen von IDMS auf eine AS/400-Maschine zu portieren - im Auftrag der IBM.