Die Jagd nach klugen Köpfen hat erst richtig begonnen

28.11.2000
Von Erny Hildebrand
Multimedia- und IT-Spezialisten sind rar und heiß begehrt. Personalabteilungen lassen sich einiges einfallen, um neue Mitarbeiter zu locken und das Unternehmen als Marke zu positionieren.

Einen faden Eindruck will das Münchner Startup-Unternehmen Tanto nicht hinterlassen. Wer hier anheuert, bekommt nicht nur einen Job, sondern auch das entsprechende Feeling. Mit dem Slogan "Bella Arbeito con Spassi e Zastre", gedruckt auf 70000 Pizzaschachteln, warb die Internet-Firma in ganz Bayern vier Wochen lang für neue Mitarbeiter. Der Bringservice Mama Pizza lieferte mit dem ofenfrischen Essen eine Jobofferte der Tanto AG mit ins Haus. "Wir müssen uns schon etwas einfallen lassen, um auf dem hart umkämpften IT-Arbeitsmarkt neue Mitarbeiter zu gewinnen", begründet Vorstandsmitglied Tobias Schnappinger die Aktion, auf die sich immerhin 50 hoch qualifizierte Bewerber meldeten. Schließlich will die Ende 1999 gegründete AG bis Ende 2001 von 16 auf 100 Mitarbeiter wachsen.

Für den Konzepter Sebastian Langer war es eine Pizza Quattro Stagioni, die ihm den Weg zum neuen Job wies. Inzwischen ist sein Vertrag unter Dach und Fach. Der eigenwilligen Aktion der Tanto AG liegt eine einfache Erkenntnis zugrunde: Der Arbeitsmarkt ist leer gefegt, und die klassischen Maßnahmen greifen viel zu langsam, um aktuelle Engpässe damit ausgleichen zu können. "Internet-Firmen müssen schnell handeln, um konkurrenzfähig zu sein. Aus diesem Grund nehmen wir die Mitarbeitersuche selbst in die Hand", unterstreicht Schnappinger, der mit seinem Unternehmen eine Business-to-Business-Online-Handelsplattform für Content anbietet. Ziel des Unternehmens ist, eine marktführende Position in Europa für Content Syndication aufzubauen.

Neben solchen öffentlichkeitswirksamen Recruiting-Aktionen arbeiten Internet- und Multimedia-Firmen verstärkt daran, ihre Unternehmenskultur zu entwickeln und in der Öffentlichkeit vorzustellen. "54 Prozent der Unternehmen bemühen sich um eine bewusste Gestaltung ihrer Unternehmenskultur", wobei ihnen die "Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter mindestens genauso wichtig ist wie die Erhöhung des Gewinns". Dies ermittelte eine Studie der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh. "Der entscheidende Erfolgsfaktor der Zukunft liegt darin, eine Unternehmenspersönlichkeit als Marke zu etablieren", ist Personalberater Helmut Engelmann überzeugt. Nur mit einem solchen Employment-Branding könne im enger werdenden Personalmarkt die notwendige Anziehungskraft für die besten und passendsten Bewerber sichergestellt werden. Versteht man die Unternehmenskultur als Marke, besteht die Chance, einen Betrieb "für Bewerber vertrauter und berechenbarer zu machen", resümiert Engelmann. Weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber zögen großen Nutzen daraus, wenn sich nach der Einstellung offenbare, dass Versprechungen, Erwartungen und Realität auseinander klafften, warnt der Experte vor Effekthascherei.

Nicht nur die jungen Wilden der New Economy suchen dringend qualifizierte Fachkräfte. Die Geschäftsführungen etablierter Unternehmen stehen vor den gleichen Engpässen. So rechnet das Marktforschungsinstitut International Data Corp. (IDC) für das Jahr 2002 in Deutschland mit 200000 fehlenden Profis im Bereich Netzwerke und E-Business. Da immer mehr Unternehmen im Internet als Anbieter von Waren und Dienstleistungen auftreten oder wichtige Geschäftsprozesse online abwickeln, explodiere die Nachfrage nach entsprechenden Spezialisten. Diese würden vorrangig in den Bereichen Planung, Design, Implementierung und Betrieb von E-Business-Lösungen benötigt. "Der Bedarf für solche Mitarbeiter wird europaweit bis zum Jahr 2002 von heute rund 700000 auf mehr als 1,6 Millionen Fachkräfte wachsen", prognostiziert IDC. Dieser Nachfrage stünden aber höchstens eine Million neu ausgebildeter Experten gegenüber. Deutschland - so die Marktforscher - sei von dieser Problematik besonders betroffen, weil die Hochschulen nicht ausreichend mit den Unternehmen zusammenarbeiteten.

Aber es gibt bereits Ansätze, dies zu verändern. So bietet das Münchener Softwareunternehmen NSE Software AG Informatikstudenten ein Darlehen von 800 Mark pro Monat - verbunden mit der Verpflichtung, danach im Unternehmen zu arbeiten. Die Studenten verbuchen bei dieser Vorgehensweise zwei Vorteile zu ihren Gunsten: Sie haben einen garantierten Arbeitsplatz und sind zudem am Ende des Studiums schuldenfrei. Die Concept AG setzt ihrerseits auf eine enge Kooperation mit der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung (WHU) in Vallendar bei Koblenz. Normalerweise betragen die Studiengebühren an der privaten Manager-Schmiede zwischen 5000 und 7000 Mark pro Jahr. "Dieses Geld kann nicht jeder Studierende aufbringen, deshalb haben wir eine Studienplatzstiftung eingerichtet", berichtet WHU-Sprecher Jürgen Neumann. Sponsoren können diese Stiftung mit mindestens 35000 Mark im Jahr unterstützen und so dafür sorgen, dass 20 Prozent der 280 Studienplätze ohne Gebühren zur Verfügung stehen. Neumann: "Dabei werden ähnlich wie beim Bafög Bedürftigkeitskriterien angelegt." Förderer der Bildungseinrichtung nehmen an dem so genannten Basement-Verfahren teil. Sie können sich an bestimmten Tagen in der Hochschule präsentieren und so erste Kontakte zu den Studierenden knüpfen.

Im Rahmen von konkreten Projekten, die zwischen den Lehrstühlen und den Firmen vereinbart werden, lässt sich diese Zusammenarbeit während des Studiums vertiefen. Organisationstalent, Flexibilität, Einsatzwillen und eine exzellente betriebswirtschaftliche Ausbildung wie sie an der Elitehochschule vermittelt werden, sind offensichtlich eine gute Voraussetzung, um erfolgreich im E-Business-Geschäft mitzumischen. Nicht umsonst sind die Gründer solcher Startup-Unternehmen wie Justbooks.de, Econia.de oder Mytoys.de allesamt WHU-Absolventen. Auch die Brüder Oliver, Alexander und Marc Samwer, die zusammen das erste deutsche Online-Auktionshaus Alando.de aufgebaut und später für mindestens 60 Millionen Mark an den US-Konkurrenten E-Bay verkauft haben, saßen in Vallendar im Hörsaal.