Hypecycle

Die IT-Revolutionen fressen ihre Kinder

19.05.2009
Ständig gebiert die IT neue Konzepte und verwirft sie wieder. Bei weitem nicht alle setzen sich durch und wenn, dann in viel längeren Zyklen als gedacht.

Dass die französische Revolution ihre Kinder gefressen hat ist bekannt. Aber dass die IT ähnlich grausam mit ihren eigenen Ideen umspringt wie Robespierre anno 1790 mit den Idealen der brürgerlichen Revolution ist - zugegebenermaßen - etwas verstiegen. Aber vielleicht wird der Gedanke nachvollziehbar ,wenn man Revue passieren lässt, wie viele Ideen die IT in den vergangenen Jahrzehnten hervorgebracht, dann zunächst wieder kassiert und ihnen erst sehr viel später (oft unter neuem Namen) frisches Leben eingehaucht hat.

Beispiel objektorientierte Programmierung: Bereits Ende der 60er als Lösungsansatz für die Modularisierung und die Wiederverwendbarkeit von Code entwickelt, dauerte es bis weit in die neunziger Jahre, bis sie ihren Durchbruch erlebte. Obwohl heute obejektorientiete Sprachen wie Java, C++, C#, Python, Perl, PHP und Ruby nicht mehr wegzudenken sind aus der IT, war das neue Paradigma auch Anfang der 90er Jahr noch umstritten. Es galt als Orchideen-Ansatz, der sich in der kommerziellen IT nie durchsetzen würde.

Beispiel SOA: 1996 wurde der Begriff Service Oriented Architecture laut Wikipedia erstmals von Gartner verwendet. In den Jahren 2005 bis 2008 erlebte der SOA-Hype seine Hochblüte. Jeder redete darüber, vor allem Anbieter und Analysten, aber nur wenige Anwender verfolgten SOA-Projekte größeren Stils. Seit Mitte vergangenen Jahres scheint SOA wieder out zu sein, kaum jemand redet noch darüber, obwohl Protagonisten wie Johannes Helbig, CIO der Deutschen Post, glaubhaft erklären, noch nie so viele Projekte und Interesse auf Anwenderseite erlebt zu haben wie heute.

Jüngstes Beispiel Cloud Computing: Es ist vor etwa zwei Jahren aufgekommen und wurde im vergangenenJahr enorm nach oben gejazzt. Doch lässt die Euphorie der Beteiligten schon wieder nach. Die üblichen Klagen über fehlende Standards, zu geringe Sicherheit, Datenschutzbestimmungen und drohendes Lock-in werden zurzeit deutlicher betont als die Verbesserungen, die den Anwender erwarten würden - wie geringere Kosten, höhere Auslastung der Ressourcen, kleinere IT-Mannschaften, bessere Verbindung wischen IT- und Business, höhere Geschwindigkeit und Flexibilität.

Wie lässt sich dieses Auf- und Ab neuer Konzept erklären, das Gartner griffig als "Hypecycle" beschreibt? Dafür braucht es keinen wahnsinnigen Robespierre, sondern nur das Prinzip des geringsten Widerstandes, das die meisten IT-Anwender befolgen. Erst wenn der Umstieg auf ein neues Prinzip relativ sicher erscheint, genügend Anbieter da sind, ausreichend Erfahrungen vorliegen und die Migration von Alt nach Neu einfach geworden ist, steigen die meisten Anwender um. Also kann man streng genommen nicht davon sprechen, dass die Revolution ihre Kinder frisst. Sie hungert sie einfach aus.

Weitere Analysen und Meinungsbeiträge lesen Sie im Blog des Autors: www.wittes-welt.eu