Die IT muss sich an die Unternehmen anpassen - nicht umgekehrt

18.05.2007
Von 


Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.
Deutsche IT-Manager müssen sich mehr bewegen – so lautete die Kernaussage der Jahrestagung der IBM-Anwendervereinigung Guide Share Europe (GSE) in Köln.

In die Geschäftsprozesse deutscher Unternehmen müsse mehr Flexibilität, schrieb IBM-Manager Detlef Golke, den rund 200 angereisten IT-Verantwortlichen ins Stammbuch. Die Zukunft liege in bedarfsorientierten SOA-Systemen und nicht in der schematischen Einführung vorgefertigter Software. "SAP ist nicht alles", appellierte Golke an unentschlossene Anwender, in Sachen Technologieunterstützung selbst das Heft in die Hand zu nehmen. Bisher arbeiteten seinen Ausführungen zufolge nur wenige deutsche Großunternehmen mit serviceorientierten Architekturen im Bereich ihres Enterprise-Resource-Planning (ERP), oftmals weil deren Nutzen für Großrechner-Strukturen auf den ersten Blick nicht klar erkennbar sei.

Tim Gugel, Berater bei sd&m, empfahl indes, nichts zu überstürzen. SOA-Investitionen rechneten sich erst nach vier bis sieben Jahren. Gugel riet zu einer stufenweisen Migration anstatt einer zeitgleichen Umstellung aller Systeme. "Ein Big-Bang ist der absolut falsche Weg - da sind Sie sofort tot", warnte er. Der sd&m-Mann sprach sich dennoch für eine baldige SOA-Einführung in allen Unternehmen aus – allerdings nur, wenn sich ein eindeutiger geschäftlicher Nutzen daraus ergebe. Die neue Architektur müsse immer im Einklang mit den Unternehmenszielen stehen.

Im Gegensatz zu SOA ist das IT Service Management (ITSM) ein bereits klar erkennbarer Trend in deutschen Unternehmen. Geschäftsprozesse sollen bestmöglich durch die IT unterstützt werden. Die dabei eingesetzte Software werde laut Lutz Peichert, Berater bei Forrester Research, aber oft willkürlich beschafft, und bremse die Unterstützung spezieller Unternehmensanforderungen unnötig aus. Für ihn steht deshalb fest: "Damit Unternehmen sich am Markt behaupten können, müssen sie auf Business Service Management (BSM) umstellen. Commodity ist der schleichende Tod der IT-Verantwortlichen". Durch ein konsequentes Business Service Management mit Software, die dem Unternehmensbedarf angepasst sei, könnten die Erfahrungen der Anwender in die Workflows einfließen. So sei eine durchgängige Leistungsgarantie für Kernanwendungen und Dienste gewährleistet. BSM unterscheidet sich laut Forrester-Definition vom herkömmlichen ITSM vor allem dadurch, dass es bedarfsorientierte Software dynamisch an die zugrundeliegende Infrastruktur anpasst. Kernprozesse und Kostenanalysen könnten damit wesentlich flexibler ausgestaltet werden, so Peichert.

Über ITIL zum Business Service Management

Er empfahl, Lieferanten und Partner sorgfältig auszuwählen und einen Umsetzungsplan zur Implementierung des Business-Service-Managements zu erstellen. Von der Organisation über die Prozessplanung bis hin zu Servicedefinitionen (speziell Service-Level-Agreements) und Ressourcen-Mapping seien alle Geschäftsbereiche betroffen. Als Startplattform sei die IT Infrastructure Library (ITIL) gut geeignet: "ITIL ist aber nur ein Kochbuch, die Zutaten müssen Sie schon selbst beibringen", wies Peichert auf die Eigenverantwortlichkeit der Unternehmen hin. Fast vier Fünftel aller Unternehmen in Deutschland setzen einer aktuellen Forrester-Studie zufolge IT Service Management nur reaktiv (Katastrophen-Management), falsch oder gar nicht ein. Lediglich acht Prozent beugen durch den konsequenten Gebrauch Problemen vor, die durch IT verursacht werden könnten.

Extra aus Toronto angereist war zur GSE-Veranstaltung Holger Macho, der IBMs Tivoli-Sparte betreut. Auch Macho forderte einen Befreiuungsschlag der Corporate IT. 75 Prozent der Gelder im IT-Bereich würden nur für die Wartung und Erhaltung alter Systeme ausgegeben. Die noch vorherrschende Handarbeit im Service-Management-Bereich, die zu ineffizientem Stückwerk führe, dürfe nicht länger die Richtung vorgeben. Gefragt seien automatisierte Workflows, die sich nach den Rückmeldungen der Anwender richteten und sich an den Unternehmenszielen orientierten, so Macho.

Detlef Golke, Vertriebschef bei IBM Deutschland, stellte die IT-Technologien vor, auf die das Unternehmen in Zukunft setzt.
Detlef Golke, Vertriebschef bei IBM Deutschland, stellte die IT-Technologien vor, auf die das Unternehmen in Zukunft setzt.
Foto: Detlef Golke

Während bei deutschen Anwendern in Sachen Service Management noch vieles im Argen liegt, sind sie bei der Virtualisierung weiter. Gut zehn Prozent aller Anwender arbeiten bereits verstärkt mit der Technik, was vor dem Hintergrund steigender Energie- und Wartungskosten verständlich ist: "Die Virtualisierung hilft uns dabei, die Leistung beizubehalten und gleichzeitig sparsamere Architekturen zu entwerfen", so Golke. IBM werde voraussichtlich noch in diesem Jahr den dieser Tage offiziell angekündigten, mit 4,2 Gigahertz getakteten "Power 6"-Modulen leistungsfähigere Prozessoren nachfolgen lassen. Dabei handele es sich um die "Power 6+"-CPUs mit fünf Gigahertz, die ebenfalls voll auf Virtualisierungstechnik setzten.

"Bei Quadcore ist Schluss"

Laut Golke wird dieser Nachfolger die Multicore-Architektur noch effizienter ausspielen. Von der reinen Taktfrequenz her sei der Chip aber das schnellste, was bis auf weiteres von IBM zu erwarten sei. "Wir müssen mit den Taktraten wieder herunter, um Energie einzusparen, und werden daher in Zukunft mehr auf Virtualisierung setzen". Die heutigen Mikrostrukturen auf den Platinen ließen kaum noch höhere Geschwindigkeiten zu. Golke prophezeite der Konkurrenz von Intel und AMD, dass mehr als vier Prozessorkerne auf einem Chip technisch nicht zu realisieren seien: "Bei Quadcore ist Schluss - deshalb entwickelt IBM in Richtung Prozessorvirtualisierung". Hinzu komme, dass mit immer winzigeren Architekturen gravierende thermische Probleme entstünden. In vielen Rechenzentren führe Gehäuseüberhitzung zu Systemausfällen, weil die überschüssige Energie nicht effizient abgeleitet oder gar weiterverwertet werde. Gerade deutsche Unternehmen hätten in Sachen Green IT auf ihren Serverfarmen einen enormen Nachholbedarf, behauptete Golke. Nach Angaben des IBM-Vertriebsleiters hänge das auch mit der konservativen Einstellung vieler Mainframe-Nutzer zusammen, die sich vielfach nur nach den Anforderungen der IT richteten, ohne ihren Blick auf die Bedürfnisse des eigenen Unternehmens zu lenken. Effizienz bei Energieverbrauch und Serverauslastung blieben dabei oft außen vor.

GSE plant Einbindung von Universitäten und Entscheidern

Am Rande der Jahrestagung betonte die GSE auch ihre eigene Neuausrichtung. Wie die Nutzervereinigung zu neuen Mitgliedern kommen will, damit sich in Zukunft mehr deutsche IT-Manager mit der Weiterentwicklung technologischer Standards beschäftigen, lesen Sie im Kasten "Mit weniger Mainframe zum Erfolg".

Mit weniger Mainframe zum Erfolg

Mit der Gründung eines Management-Circles im Oktober plant die Guide Share Europe (GSE) ihre Bekanntheit in den Führungsetagen von Anwenderunternehmen zu steigern. "Die Tekkie-Basis kennt uns. Den Managern der meisten Unternehmen fehlt aber oft der Bezug", stellte der deutsche Region Manager Michael Weiß auf der Jahrestagung fest. Der Verband will nun gezielt die Entscheider an einen Tisch holen. Der geplante Management-Circle soll sich überwiegend mit Kosteneinsparpotenzialen in der Unternehmens-IT und Software-Themen wie der Anwendungsentwicklung beschäftigen. Vielen Managern und CIOs von IBM-Anwenderfirmen seien die Vorteile einer GSE-Mitgliedschaft nicht bewusst, so Weiß. "Gerade der persönliche Erfahrungsaustausch in den Arbeitsgruppen und das gute Verhältnis mit der IBM bergen unschätzbare Vorteile", warb auch der technische Koordinator Peter Groth.

Wolfgang Auer, Michael Weiß und Peter Groth (v.l.n.r.) bilden den Vorstand der Guide Share Europe (GSE). Sie wollen mit neuen Initiativen wie dem Management-Circle und einer Campus-Offensive die Attraktivität der IBM-Nutzervereinigung wieder steigern.
Wolfgang Auer, Michael Weiß und Peter Groth (v.l.n.r.) bilden den Vorstand der Guide Share Europe (GSE). Sie wollen mit neuen Initiativen wie dem Management-Circle und einer Campus-Offensive die Attraktivität der IBM-Nutzervereinigung wieder steigern.
Foto: GSE

Kurios ist, dass es gerade die IBM war, die durch ausgedehnte Einkaufstouren in den vergangenen Jahren viele GSE-Unternehmen vom Markt genommen und so die in den vergangenen zehn Jahren um fast 50 Prozent gesunkenen Mitgliederzahl mit zu verantworten hat. 53 neuen deutschen Mitgliedern in den vergangenen 16 Monaten stehen 74 Kündigungen, teils durch Firmenauflösungen und Outsourcing-Maßnahmen begründet, gegenüber. Die traditionell auf Großrechner setzenden Banken und Versicherungen stellen nach wie vor die meisten Mitglieder.

GSE will Überalterung stoppen

Um neue Mitglieder zu werben, will die GSE auch ihre Basisarbeit verbessern. Informatik-Fachbereichen an Hochschulen soll im Rahmen einer Mainframe-Initiative die kostenlose Mitgliedschaft angeboten werden. Das Projekt soll am 6. Juli an der Berliner Humboldt-Universität starten. Zum einen könnten die Studenten vom gebündelten Wissen innerhalb der Gruppe profitieren, zum anderen will die GSE den Nachwuchs gleich an sich binden, um zukunftsfähig zu sein. "Wir sind überaltert", gab Weiß unumwunden zu. Es müsse ein Image-Wechsel vollzogen werden: Die seit fast 50 Jahren überwiegend auf dem Gebiet der Mainframe-Anwender beheimatete GSE will sich für alternative Rechensysteme und auch andere Unternehmen abseits der IBM öffnen. Besonders deutlich wird das zunächst durch eine dritte Maßnahme, die Neumitglieder anziehen soll: eine Mittelstands-Offensive. Quer durch Europa will die Guide Share auf kleine und mittelständische Unternehmen zugehen und dort auch Wissensaustausch "weg vom Mainframe" betreiben, so Groth. Er mahnte vor den Mitgliedern ein geändertes Selbstverständnis der Marke Guide Share an: "Die Rolle des CIOs muss komplett neu definiert werden – Technik und IT-Verwaltung müssen auf mehrere Schultern verteilt werden, sonst sind wir nicht zukunftsfähig". Mittlerweile kümmere sich in den meisten größeren Unternehmen eher der CFO als der CIO um die IT-Infrastruktur, weil die finanziellen Aspekte bei der Beschaffung und vor allem der Verwaltung von Hard- und Software eine mehr und mehr dominierende Rolle spielten. Die GSE werde zukünftig auch verstärkt andere IT-nahe Unternehmensbereiche wie Controlling und Finance erschließen, um den veränderten Anforderungen des Marktes gerecht zu werden.