Im Zeichen des anhaltenden Nachwuchsmangels

Die IT-Branche ringt um ein besseres Image

17.12.1999
von Ina Hönicke* Die Klagen über den Nachwuchsmangel in der IT-Branche reißen nicht ab. Über die Gründe der Personalnot streiten sich die Geister genauso wie über die Auswege aus dem Dilemma: Reicht es für Unternehmen aus, in die Schulen zu gehen, um ein vermeintlich schlechtes Image aufzupolieren, oder müssen sie nicht auch vor der eigenen Tür kehren und mehr in die Ausbildung investieren?

Derzeit sind in der Bundesrepublik bis zu 75 000 IT-Arbeitsplätze unbesetzt - und eine Besserung der Personalsituation ist nicht in Sicht. Werner Dostal, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, weiß, warum viele der 18jährigen Berufswähler der Informationstechnik eher ablehnend gegenüberstehen: "Sie halten die Ausbildung für zu lang und zu mühsam. Sie fürchten, daß der Job sie mit Haut und Haaren auffrißt." Vor allem Frauen würden von den rigiden Arbeitsbedingungen und mangelnden Teilzeitmodellen abgeschreckt.

Während die meisten Personalchefs auf die desolate Situation vor allem mit Lockangeboten bei der Rekrutierung reagieren, sind aus Verbandskreisen eher selbstkritische Töne zu hören - auch wenn die Ursachen der Krise unterschiedlich beurteilt werden. Bernhard Rohleder, Geschäftsführer des Fachverbands Informationstechnik in VDMA und ZVEI, sieht beispielsweise in Sachen Image einen großen Nachholbedarf: "Wir müssen wegkommen vom Bild der bleichgesichtigen Computerfreaks, die nachts einsam vor dem Bildschirm sitzen und Zahlenkolonnen eintippen." Vielmehr sollte in den Vordergrund gestellt werden, daß die Branche flexible Arbeitsverhältnisse anbiete und kreative, aber auch kommunikationsstarke Mitarbeiter brauche.

Unterstützung erhält er von der Informatikerin Ute Claussen, langjährige Sprecherin des Fachausschusses Frauenarbeit und Informatik in der Gesellschaft für Informatik (GI). Sie ärgert sich, daß das Tätigkeitsprofil der Informatiker fortwährend falsch dargestellt wird: "Das Bild der DV-Branche wird in der Öffentlichkeit vorrangig vom Hackertum geprägt. Wer weiß denn schon, wie interessant unser Beruf ist?" Schließlich bestehe der Job aus Gesprächen mit Kollegen sowie Organisations- und Management-Aufgaben. Daß viele Newcomer ein falsches Bild von den IT-Berufen haben, stellt auch Volker Jansen, Personalchef bei der Softlab GmbH in München, immer wieder fest: "Die meisten sind nach wie vor überzeugt, daß ein Softwareprofi einsam vor sich hinarbeitet." Dieses falsche Bild müßten die Arbeitgeber korrigieren und das Image der Branche aufpolieren.

Das sieht Jörg-Menno Harms, Chef von Hewlett-Packard in Deutschland und Vorsitzender des Fachverbands Informationstechnik im ZVEI/VDMA, anders: "Die Vorstellung vom isolierten Programmierer gehört doch längst der Vergangenheit an, die jungen Leute wissen genau, wie kommunikativ IT-Jobs sind."

Die Personalprobleme von heute würden vorrangig aus den Fehlern von gestern resultieren. Harms: "Niedrige Absolventenzahlen sind das Ergebnis aus der Rezession vor sieben Jahren und dem destruktiven Verhalten der IT-Industrie." Anstatt die Informatikstudenten zum Weitermachen motiviert zu haben, sei nur über rote Zahlen gejammert worden. Eine solch miserable Marketing-Politik der IT-Branche wird sich, hofft Harms, in eventuell schlechteren Zeiten nicht wiederholen.

Ein großes Manko sieht der Verbandschef auch in der hiesigen Ausbildungssituation. In Deutschland werde sich nichts zum Besseren wenden, solange die Gesellschaft ihren akademischen Nachwuchs völlig am Bedarf vorbei studieren lasse. Der Jahresbedarf von 20 000 Informatikern lasse sich bei bestenfalls 7000 besetzten Studienplätzen eines Jahrgangs nicht decken. Von daher sei es kein Wunder, daß jeder fünfte Arbeitsplatz in der Informatik unbesetzt bleibe. Große Hoffnungen setzt Harms deshalb auf die "Initiative D21", die unter der Leitung von Bundeskanzler Gerhard Schröder kürzlich ins Leben gerufen wurde. In ihr arbeiten Politiker, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler und Vertreter der Bundesanstalt für Arbeit zusammen, um unter anderem konkrete Maßnahmen im Qualifizierungsbereich zu beraten. Nur wenn mit dem Einsatz moderner IT- und Multimedia-Technologien schon in der Schule die Weichen gestellt würden, erklärt Harms, könne sich die Ausbildungssituation verbessern.

Die Euphorie des Verbandschefs kann Ingo Ruhmann, der als IT-Referent der Grünen tätig war und dem Vorstand des "Forum Informatikerinnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung" (Fiff) angehört, nicht teilen: "Bei Umfragen in Deutschland äußern sich 80 Prozent der Jugendlichen gegenüber der Technik positiv - bei den Lehrern ist es genau umgekehrt. 80 Prozent von ihnen fühlen sich am Computer unwohl." An dieser negativen Einstellung der Lehrkräfte, fürchtet Ruhmann, könne die beste Initiative so schnell nichts ändern. Wichtiger als Technik in die Klassenzimmer zu stellen, sei die Einführung der Lehrer in die Computerwelt. Auch herrsche in der Öffentlichkeit ein diffuses Bild von Informationstechnik vor. Ruhmann: "Früher dachten die Menschen bei dem Begriff DV an die Datentypistin, heute bei IT an die Jungmillionäre im Internet."

Den Schwarzen Peter für den eklatanten Nachwuchsmangel schiebt Ruhmann den Unternehmen selbst zu: "Ich verstehe das ganze Gejammer nicht. Glauben die Firmen, die jungen Leute wüßten nicht, wie knallhart die Personalpolitik in den letzten Jahren war, daß etliche IT-Profis bereits mit 45 Jahren ausgemustert wurden?" Darüber hinaus werde die Ausbildungslage in der Computerwelt immer schlechter. So seien die Weiterbildungstage seit 1996 von jährlich zwölf auf acht Tage zusammengestrichen worden - und das, obwohl die IT-Branche so schnellebig sei. "Solche Maßnahmen fördern das Image nicht gerade", erklärt Ruhmann. Wenn den Unternehmen qualifizierte IT-Profis so wichtig seien, wie sie immer behaupten, dürften sie nicht nur auf die Universitäten schielen, sondern müßten in puncto Weiterqualifizierung endlich selbst Anstrengungen unternehmen.

Daß die Arbeitgeber an der jetzigen Misere nicht unschuldig sind, bestätigt auch Arbeitsmarktexperte Dostal: "Die Unternehmen haben versäumt, den IT-Mitarbeitern eine stabile Erwerbschance für die Dauer eines Berufslebens anzubieten und ihrer Arbeit die entsprechende Anerkennung zu zollen." Dieses Schicksal würden die Computerprofis mit den Ingenieuren teilen. Zwar sei das Ergebnis ihrer Arbeit gefragt, aber in den Management-Zirkel stießen Techniker im allgemeinen nicht vor. Als Beispiel für berufliche Stabilität und Anerkennung nennt Dostal den medizinischen Bereich. Hier seien für alle Stufen der ärztlichen Aufgaben eindeutige Vorgaben für die Qualifikation der Berufstätigen festgelegt - und der Berufsstand genieße das höchste Ansehen: "Von den Ärzten können die IT-Profis noch eine Menge lernen."

Mit dieser Meinung steht der Nürnberger Experte nicht allein da. Ulrich Bode, Sprecher des Beirats für Selbständige in der GI, hält es für wichtig, daß sich die Informatik eine ähnliche Wertschätzung wie Medizin oder Jura erarbeitet. Schließlich sei das Informatikstudium seit einem Vierteljahrhundert geregelt und anderen Studiengängen vergleichbar. Bode: "Die Informatiker brauchen sich hinter niemandem zu verstecken, sie müssen sich nur besser verkaufen." Noch einen Schwachpunkt sieht der GI-Mann indes. Während in anderen Berufsständen "eine Krähe der anderen kein Auge aushackt", gelte diese Devise in der Informatik oft nicht. "Wer die Arbeit eines Vorgängers besichtigt, schlägt in der Regel erst einmal die Hände über dem Kopf zusammen und schimpft. Wenn die Informatiker als Berufsstand Achtung genießen wollen, dann müssen sie lernen, mit Kollegen und deren Arbeit respektvoller umzugehen."

*Ina Hönicke arbeitet als freiberufliche Journalist in München.