Kolumne

"Die IT-Branche ist erwachsen geworden"

28.05.2004
Heinrich Vaske Chefredakteur CW

Das Frühjahr 2004 könnte aus Sicht der IT-Branche in die Geschichte eingehen - als die Zeit, in der die IT erwachsen wurde. Jahrzehntelang gebärdeten sich wichtige Protagonisten wie pubertierende Schüler. Sun-Chef Scott McNealy attackierte Microsoft ohne Pardon, er sprach gar vom "Beast from Redmond", dem "Evil Empire". Immer wieder versuchte er, den Klassenprimus vor den Mitschülern lächerlich zu machen.

Bei SAP war es Hasso Plattner, der über Oracle-Boss Lawrence Ellison herzog. Ellison selbst war alles andere als ein Kind von Traurigkeit. Er teilte gnadenlos gegen SAP, Microsoft, Peoplesoft und nicht zuletzt den Datenbank-Herausforderer IBM aus. Diese Schaugefechte konnte sich die Branche leisten, weil es ihr gut ging. IT war ein Selbstläufer, das Wachstum fiel über Jahre hinaus so kräftig aus, dass Anwenderwünsche nicht befolgt werden mussten. Ignoranz und Fehler rächten sich nicht.

Dann kam die Krise, die zwar jetzt, nach fast drei Jahren, ihrem Ende entgegengeht, nach der aber nichts mehr ist, wie es war. Sie hat eine neue Phase im IT-Markt eingeleitet. Dass Anwender aufgrund wirtschaftlicher Nöte in den Kaufstreik traten, war nicht die große Überraschung. Dass sie aber grundsätzlich am Nutzen und strategischen Wert von IT zweifeln, dass sie nun dort kaufen, wo es am billigsten ist, und dass sie es nicht mehr hinnehmen, sich von Herstellern mit räuberischen Lizenzverträgen, inkompatibler Software und unfertig ausgelieferten Systemen an der Nase herumführen zu lassen, das ist neu.

Heute verhandeln die Anwender härter als je zuvor. Sie lassen die Hersteller nach Bedarf vortanzen und verlangen sichere (siehe Seite 8) und preiswerte Produkte. In dem Maße, wie Software und Hardware austauschbar werden und Open-Source-Angebote den Markt überschwemmen, gewinnen die Kunden die Oberhand. Von der strategischen Bedeutung der IT wollen sie nichts mehr hören: Nie war die Bereitschaft zum Outsourcing so groß wie in diesen Tagen. Kein Zweifel, die IT-Player sind unsanft in ihrem Kinderspiel gestört worden - und das wurde auch Zeit.

Sun und Microsoft taten vor einigen Wochen, was niemand für möglich gehalten hätte: Sie begruben ihr Kriegsbeil und kündigten weitreichende Kooperationen an. Auch Oracle und SAP suchten - Konkurrenz hin, Abhängigkeit her - den engen Schulterschluss mit der Gates-Company. Man mag von der Wirksamkeit solcher Partnerschaften halten, was man will: Sicher ist, dass die Diskussionen versachlicht wurde und die Lagerbildung im IT-Markt zu Ende geht, weil die Anwender sich durchgesetzt haben. Sie wollen kompatible Produkte, Offenheit und faire Preise. Die Hersteller haben die Botschaft gehört und ziehen erste Konsequenzen. Wir werden sehen, wie weit diese gehen.