Unternehmen und Umwelt als ganzheitliches System begreifen:

Die Information macht vor keinem Manager halt

20.12.1985

MÜNCHEN - Die Nachrichtenflut ist nicht mehr zu stoppen. Es gilt, die richtige Information zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort möglichst schnell zu erlangen. Konzepte für ein Informations-Management müssen vor allem den derzeitigen Mißstand, nämlich Datenüberfluß verbunden mit Informationsmangel, beheben. Damit tritt der Faktor Mensch wieder zunehmend in den Vordergrund der Diskussion.

Fest steht: P=f (A,K,I)- oder, das will Joachim Bullinger vom Rationalisierungs-Kuratorium der deutschen Wirtschaft in Eschborn mit dieser Funktion aussagen, den Produktionsprozeß bestimmen künftig Arbeit, Maschine und Information. Während traditionelle betriebswirtschaftlichen Größen wie Arbeit und Kapital von ganzen Unternehmensbereichen verwaltet werden, gibt es für den Produktionsfaktor Information bisher keine entsprechenden Institutionen innerhalb des Unternehmens.

Konzepte für die Gestaltung - nicht für die Selektion

Zielsetzung des Informationsmanagements muß es daher zunächst sein, den neuen Produktionsfaktor im weiten Sinn zu etablieren, um ihn optimal nutzbar machen zu können Einen Entwurf, ihn auf eigene Füße zu stellen, skizziert Achim Musiol Leiter des Ausbildungszentrums Büro der Siemens AG in München: "Aufgabe einer Abteilung Organisation und Datenverarbeitung oder Automation ist es, der Leitung der produzierenden, absetzenden und verwaltenden Stellen im Unternehmen beim Organisieren zu helfen: Entscheidungsreife organisatorischtechnische Systeme zu planen, diese nach der Entscheidung realisieren zu helfen und die Anwender dieser Systeme zu unterstützen". Eindeutiger Tenor: Der Vorschlag gilt der Gestaltung der Kanäle, nicht dem Inhalt der notwendigen Information.

Rolle der Information begreifen lernen

Zur Zeit scheint dieses weniger eine technische Fragestellung zu sein. Der aktuelle Slogan "Der Mensch ist der Engpaßfaktor der kommenden Jahre" zielt nicht nur auf die fachliche Aus - und Weiterbildung ab. Primär gefordert ist ein gewandeltes Problembewußtsein - und - Verständnis der Führungskräfte wie auch der Mitarbeiter.

Wichtigste Voraussetzung, den Faktor Information zu nutzen, ist, seine Rolle im Unternehmen interpretieren zu können. Um Informations-orientierte Unternehmensführung nach Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit organisieren zu können, müssen verbindliche Wertvorstellungen für die Informationsressoursen zum Allgemeingut des Management geworden sein, schreibt Klaus W. Otten, ein in den USA tätiger Unternehmensberater.

In dieser Wechselbeziehung sei das Unternehmen selbst als Informationssystem zu analysieren, zu planen und optimieren.

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit organisatorischer Maßnahmen.

Denn der Systemeinsatz fordert eine klare Linie im voraus, deren Verlauf die Verbindung von Methoden der Informatik mit denen der Organisationslehre bestimmt.

Der Produktionsfaktor Information steht vor allem unter der Prämisse "Verfügbarkeit". Dabei müssen Werkzeuge moderner Technik als Intelligenzverstärker des einzelnen Mitarbeiters dienen. Die Information in aufbereiteter Form - etwa durch Retrival - und Experten-Systeme - müßten wie Knowledge-based-Informationssysteme allerdings Allgemeingut werden.

Weiterhin sind Erfahrungen über Rationalisierung und Beschleunigung von Informationsprozessen - von der Fertigung bis zum Rechnungswesen - zu gewinnen.

Management-Support von der Top-Etage aus

Führungskräfte aus dem DV-Management werden in zunehmendem Maße Herausforderungen bewältigen müssen, denen sie mit den Erfolgsrezepten der Vergangenheit kaum begegnen können.

Noch einmal Otten: "Erfolgreich können die Administratoren des neuen Produktionsfaktors nur agieren, wenn sie die Unterstützung und Rückendeckung durch das Topmanagement erfahren. Denn: daß in verbürgte Privilegien eingegriffen werde, gelte als unvermeidlich.

Andererseits sollten auch Faktoren, die nicht-technischen Charakter besitzen, für einen erfolgreichen Einsatz überdacht werden. In dieses Feld gehören beispielsweise kognitive Prozesse, bei denen die Umsetzung von Wissen im Vordergrund steht - etwa die Analyse, Bewertung und Synthese von Information für ihre Umsetzung bei Entscheidungen und in Handlung. In die methodische Überlegung fallen weiterhin kreative Prozesse wie Erfinden und Gestalten neuer Ideen und Losungen. Eine große Rolle spielen Kommunikationsprozesse, etwa der Austausch von Wissen und Kenntnissen.

Der bisher wenig beachteten, motivierenden oder gestaltenden Information wird zunehmend Bedeutung für Zusammenarbeit wie auch Kooperation zuerkannt. Diese Information kann gleichzeitig Unternehmensziele und Leistungsvorgaben definieren. Ähnliche Gedanken finden sich unter anderem auch bei Management-Trainer Dieter Walther wieder. Zur strategischen Führung gehöre, die Unternehmensstrategie in mittelfristigen Zeitabständen immer wieder im Licht neuer Informationen zu überprüfen und weiterzuentwickeln.

Informationsmanagement sprengt DV-Zuständigkeit

Lernschritte dazu seien etwa, die strategische "Denke" bei Führungskräften sowie in "strategischen Geschäftseinheiten" zu verbessern und die Mitarbeiter für strategische Probleme zu sensibilisieren.

Das Management der Information geht mit diesen Aufgabenstellungen über den eigentlichen Bereich der Datenverarbeitung hinaus. "Informationsmanagement ist nicht als personell zugeordnete Verantwortung zu betrachten, sondern als Zusammenwirken der Komponenten Organisation, Personal, Technik sowie Architektur", stellt dazu Jürgen Groß, ehemals Arthur D. Little in Wiesbaden fest. Es ist eine Herausforderung für alle Führungskräfte in einem Unternehmen.

Sie müssen unterstützt werden durch hauptberufliche Organisation, die Arbeitsabläufe neu gestalten helfen, daneben auch durch technische Fachleute.

Das Informationsmanagement erscheint so primär als eine Führungsaufgabe, die ein starker organisatorischer Gehalt - auch mit Blick auf den Einsatz der Technik - prägt Hier ist der Informationsmanager aufgerufen, sich aktuelles Wissen über Informations- und Kommunikationstechniken zu sichern und nicht in der Rolle des "Analphabeten" stecken zu bleiben. Über den Einsatz des PC etwa besteht derzeit keine klare Strategie im Management: Denn Unkenntnis - böse Zungen meinen Ignoranz - kennzeichnen noch immer die Haltung erheblicher Teile dieser Entscheider.

Für Unternehmen neue Strukturen suchen

Information als Rohstoff ist unbegrenzt vorhanden, unbegrenzt vermehrbar und unendlich oft zu verwenden, lautet eine Überlegung von Werner Haag, Leiter der Systemberatung West der Honeywell Bull AG in Köln. Und weiter: Deshalb sollten sich Unternehmen über die kurzfristige Befriedigung eines gegebenen Informationsbedarfs nicht die Zukunft verbauen. Ein Gesamtkonzept bleibe wegen der Wechselwirkungen mit der Umwelt wichtiger als Ad-hoc-Maßnahmen. Information heißt also gleichzeitig, das Unternehmen und dessen Umwelt als Informations-System begreifen zu lernen: Dann erst ist der gezielte Zugriff möglich.

Auf dem Weg dahin spielt Aus- und Weiterbildung eine entscheidende Rolle. Als Aufgabe stellt sich: Der Anwender muß mehr als nur ein Werkzeug zum Funktionieren bringen können. Will er die Leistungspotentiale neuer Technik nutzen, muß er sie sinnvoll einsetzen lernen.

Was es zunächst in den Unternehmen aufzubauen gilt, heißt informationstechnische Kultur. Erster Schritt für das Unternehmen sollte sein, eine stufenweise "Alphabetisierungs"-Kampagne mit gleichzeitiger technischer Aufrüstung zu beginnen. Die "Inseln", die dabei entstehen, sollen später miteinander vernetzt werden können. Dazu sind Technik, Standards und Sprachen vorhanden. Als grundsätzliches arbeitsmethodisches Rüstzeug - neben informationstechnischem Sachwissen - werden besonders Fragetechniken im weiten Sinn zu üben sein Denn um Strukturen im Unternehmen begreifen zu lernen, ist es

notwendig, sie auf Zusammenhänge und Abhängigkeiten hinterfragen zu können. Die kreative Suche nach der optimalen Lösung eines Problems - mit oder ohne Technik als Werkzeug - wird für Entscheider der Informations- und Kommunikationswelt prinzipiell wichtiger als eine Computersprache.

Technische Verwirrspiele um Nutzenaspekt

Künftige komplexe Systeme, wie in Wissensbanken zusammengefaßtes Know-how, erfordern zunehmend gewandelte sozio-kulturelle Aktivitäten, etwa die Teamfähigkeit.

Individualistisch geprägte Strukturen, die die Einzelleistung fördern, sind kritisch zu überdenken. Nur dann läßt sich in einer "Einheit" ein Informationsmanagement erreichen.

Das deutsche DV-Management befindet sich mitten im Umbruch. Informations-Management als strategische Führungsaufgabe heißt derzeit Krisenmanagement, in dem die Führungskraft nur reagieren kann. Unzureichende Umsetzung der vorhandenen Informationen haben häufig Chaos und Hektik als Folge. DV-Fachabteilungen stellen der Unternehmensbereichsleitung Konzepte vor, bei denen immer noch die rein technischen Fragen überwiegen. DV-Mitarbeiter wiederum wissen zwar um fachbereichsspezifische Bedürfnisse mit Performance-Charakter und sehen diese als eine Art Vorgabe an. Doch der Zusammenhang zum Unternehmensziel bleibt oft unklar.

In diesem Verwirrspiel gelingt es DV-Verantwortlichen ihrerseits nicht, die Entscheider im Unternehmen zu organisatorischen Lösungen führen zu können, die über DV-spezifische Aspekte hinausgehen und Unternehmensziele, sprich: Nutzenaspekte, umfassen.

Praktiker wissen dagegen auch: Derzeit bereiten die Verknüpfungen von Datenklassen, die Verfügbarkeit der Information oder ausreichendes Speicherplatzvolumen etwa für Datensicherheit im PC-Link ebenfalls genug Kopfschmerzen. "Die Tagesprobleme sind technischer Natur", so der DV-Verantwortliche. Eine Lösung für diese Alltagssorgen ist häufig nicht abzusehen.

Technische Entwicklung besitzt Eigendynamik

Denn neben vielfältigen Problemen stellt die Eigendynamik der informationsverarbeitenden Branche selbst ein Problem dar. Die Entwicklung weist ein hohes Tempo auf: Technische Neuerungen vermehren sich, wie Statistiken belegen, alle 12 bis 18 Monate um den Faktor zwei.

Im ganzen jedoch ist die technische Entwicklung abzuschätzen, häufig aber besteht keine Bereitschaft, unternehmensinterne Strukturen dafür zu schaffen. Besonders die PC-Technik gibt sich schwierig: Konkrete Aussagen über Integrationen sind nicht zu erhalten, Hoffen auf Integration - ins Blaue hinein - hilft jedoch nicht.

Sich auf ein Produkt festlegen "gleicht einem Marsch durch den Dschungel", so ein Berater über den Status quo. "Der Anwender befindet sich in den Händen des Herstellers. Zunächst wird er erotisiert, dann sinnlich gemacht, und er kauft. Damit ist er abhängig, und nun wird er ausgebeutet."