Thema der Woche

Die Industrie beugt sich der Marktdominanz Microsofts

15.11.1996

Gleich zu Beginn der Veranstaltung brachte Gartner-Analyst Andrew Dailey die Teilnehmer einer Elefantenrunde, in der wichtige Repräsentanten der europäischen IT-Industrie diskutierten, in arge Verlegenheit: "Die Herstellergemeinde ist in zwei Lager gespalten, die Freunde von Gates und diejenigen, die Microsoft hassen. Ich bitte die Microsoft-Freunde um Handzeichen!" Spontan schnellte nur die Hand von Compaq-Manager Andreas Barth hoch. Microsoft habe erfolgreich einen Industriestandard etabliert, das müsse man würdigen, meinte der Senior Vice-President und General Manager.

Gelächter unter den Zuhörern aus ganz Europa rief dagegen IBMs Chairman of the Board, Lucio Stanca, hervor, der nach kurzem Zögern mit resigniertem Gesichtsausdruck gleich beide Arme in die Höhe riß - just als wolle er sich der Übermacht des Softwaremilliardärs aus Redmond ergeben. Er sei kein Freund von Microsoft, gestand Stanca, er sei ein Freund der Kunden - und weil diese Windows NT wollten, werde die IBM ihre Anwendungen und Middleware so gestalten, daß sie zusammen mit NT eingesetzt werden könnten.

Stanca haderte damit, daß die Kunden so erpicht darauf seien, sich heute wieder an ein proprietäres Betriebssystem zu binden. Der IBM-Boß erinnerte sich mit gespieltem Schuldbewußstein an die Position der IBM in den 70er Jahren und meinte mit Blick auf den Desktop-Markt: "Wenn man 85 Prozent des Marktes kontrolliert, ist man nicht nur Monopolist, man agiert auch proprietär."

Eher nachdenklich zeigte sich Siemens-Nixdorf-Chef Gerhard Schulmeyer. "Auf der einen Seite wollen wir natürlich Industriestandards. Aber wenn das Lager, das die Standards bestimmt, zu groß wird, möchte wohl jeder, daß sich Alternativen auftun." Auf die Frage, ob er die US-Softwareschmiede als "Monopolisten" sehe, antwortete Schulmeyer schmunzelnd mit der Gegenfrage: "Haben Sie jemals mit Microsoft verhandelt?"

SAP-Vorstandsmitglied Paul Wahl versuchte es mit Diplomatie. "Die Kunden stimmen nun mal mit ihren Scheckbüchern ab. Sie könnten ja auch etwas anderes kaufen. Es scheint also irgend etwas dran zu sein an Microsoft." Ob allerdings die Gates-Company für immer das Sagen haben werde, bezweifelte Wahl. Das Beispiel der IBM habe gezeigt, daß die Bäume für keinen Anbieter in den Himmel wachsen.

Weder als Freund noch als Gegner von Microsoft mochte sich schließlich Jean Marie Descarpentries, Chairman und CEO der Groupe Bull, outen. "Wenn die Microsoft-Leute ein erfolgreiches Produkt anbieten, sind wir ihre Freunde", so der Franzose.

Seine Haltung spiegelt die Stimmung in weiten Teilen der Industrie wider: Wer in diesem Markt Geld verdienen will, muß sich mit Microsoft arrangieren, oder er wird das Nachsehen haben. Offen ausgetragene Fehden wollen sich Generalisten wie Bull, IBM und SNI ebensowenig leisten wie Spezialanbieter ê la SAP und Compaq, deren Applikationen beziehungsweise Rechner in erster Linie mit Microsoft-Software laufen sollen.

Kritischer als die Industriekapitäne zeigten sich die Analysten der Gartner Group, die sich während der viertägigen Veranstaltung in einer Reihe von Vorträgen auch immer wieder mit Microsoft beschäftigten. Scott Winkler stellte in seiner Bestandsaufnahme unter anderem Überlegungen darüber an, ob die weltweit größte Softwareschmiede durch das Internet und das Paradigma des Netz-Computings in ihren Grundfesten erschüttert werden könne.

Daß Microsoft nun Java in Lizenz nehme und allem Anschein nach die gängigen Internet-Standards akzeptiere, könne nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Strategie des Softwarehauses langfristig proprietär ausgerichtet sei. Im kommenden Jahr werde es Bill Gates noch nicht gelingen, die Internet-Softwarestandards maßgeblich zu beeinflussen - das aber ändere sich 1998 maßgeblich. Dann werde der Microsoft-Macher im großen Stil De-facto-Standards setzen und zum Marktführer avancieren, ohne allerdings ein ähnliches Monopol aufbauen zu können wie im Desktop-Markt.

Microsoft werde es gelingen, seine OLE- beziehungsweise Active-X-Komponententechnik - die Gartner Group spricht von "Internet-OLE" - als Infrastruktur zu etablieren. Dazu führe nicht nur die Integration von Internet-Techniken in Office- und Back-Office-Produkte, dazu führten ebenso die vielen Softwarehäuser, die Gates um sich geschart habe, damit sie Komponenten auch für das Internet schreiben. Ferner sichere sich der Softwarevisionär durch die Konzentration auf Inhalte und diesbezügliche Kooperationen mit großen Medienkonzernen (MSNBC, Slate, Web-Sites für viele große Städte, Allianzen mit Unternehmen der Unterhaltungsindustrie) schon jetzt die künftige Nachfrage für die eigenen Internet-Produkte.

In einem anderen Vortrag widmete sich Gartner-Analystin Anne-Marie Roussel ebenfalls der Frage, wer die Kontrolle über den Internet-Softwaremarkt erringen werde. Alles laufe auf einen Zweikampf zwischen Microsoft und Netscape heraus, so Roussel. Wolle der gegenwärtig noch in Front liegende Newcomer Netscape dem Ansturm standhalten, müsse er jetzt die Weichen richtig stellen.

Noch habe Netscape die Nase bei Web-Servern und -Browsern deutlich vorn, und die Softwerker hätten mit ihrem Engagement für Intranet- und E-Mail-Produkte auch gezeigt, daß sie wissen, wohin sich der Markt bewegt. Da Microsoft aber inzwischen einen Großteil des ungleich höheren Entwicklungsbudgets auf das Netz konzentriere, stehe Netscape vor der schwierigen Aufgabe, den Innovationsvorsprung zu verteidigen. Für Microsoft spreche auch die Tatsache, daß es künftig ein leichtes sein werde, mit den neuesten Versionen der Office- und der Visual-Basic-Produktpalette Intranets aufzubauen. Und für den Erfolg im weltweiten Netz sorgten die Contents, die sich Gates überall auf der Welt zusammenkaufe.

Wolle Netscape langfristig eine Chance haben, müsse der Internet-Spezialist in eine Microsoft-Domäne einbrechen: das Office-Geschäft. Die Investition in die Softwareschmiede Collabra müsse schnellstmöglich genutzt werden, um Internet-basierte E-Mail- und Groupware-Werkzeuge entstehen zu lassen, die wiederum Voraussetzung dafür seien, daß Java-basierte Produktivitätsanwendungen Wirklichkeit werden könnten. Netscape könne sich nicht darauf verlassen, daß die Netzsurfer Microsoft für das Bestreben, proprietäre Technologien im Internet zu etablieren, die rote Karte zeigten.

Laut Roussel ist es eher unwahrscheinlich, daß Gates mit dem Bundling von Browsern und Servern mit Betriebssystemen keinen Erfolg haben wird. Dies um so mehr, als Konkurrenten wie Sun Microsystems, IBM, Net- scape oder Oracle nicht konsequent an einem Strang zögen, sondern verschiedene NC-Konzepte verträten.

Bill Gates persönlich war ebenfalls auf der Gartner-Konferenz zu Gast. Um die zarten NC-Pflänzlein der Konkurrenz gar nicht erst erblühen zu lassen, propagierte er noch einmal das kürzlich vorgestellte hauseigene Alternativkonzept des "Net PC" (vgl. CW Nr. 45. vom 8. November 1996, Seite 6) und des "Zero Administration Window System". Dabei erhalte der Anwender am Arbeitsplatz wie bisher einen vollständig ausgestatteten PC, der über eine eigene Festplatte verfüge. Neu sei jedoch, daß die Systemkontrolle und das Aufspielen neuer Software von einer zentralen IT-Administrationsinstanz über einen Server ausgeübt werden könnten.

Dieses Konzept, das Microsoft gemeinsam mit Intel verfolgt und das von Compaq, Digital, HP und anderen unterstützt wird, ist laut Gates allen anderen NC-Ansätzen überlegen. Es verspreche nicht nur zentrale Kontrolle, reduzierte Administrationskosten und geringere laufende Kosten. Im Gegensatz zu alternativen NC-Ansätzen ermögliche es Anwendern auch, den großen Bestand an vorhandenen Anwendungen weiter zu nutzen. Die Realisierung kündigte der Microsoft-Boß für die zweite Hälfte nächsten Jahres an.

Gates bemühte sich darum, sein Publikum für sich einzunehmen und ihm zu vermitteln, daß Microsoft dabei ist, den Rückstand im Internet-Geschäft aufzuholen. Doch auch für andere Schlüsselmärkte, so zeigte die viertägige Großveranstaltung, ist die Softwareschmiede präpariert. Gartner-Analyst Winkler prophezeit Gates unter anderem auch ein rasantes Wachstum im Server-Geschäft, das die gesamte Back-Office-Palette betreffe. In diesem Jahr werde Microsoft hier 1,5 Milliarden Dollar umsetzen - 1998 sollen es bereits fünf Milliarden und im Jahr 2000 rund zehn Milliarden Dollar sein.

Microsoft werde in den kommenden Jahren mit NT die bisher profitabelsten Geschäftszweige von Konkurrenten wie Hewlett-Packard, IBM oder Digital angreifen. Zwar machen die Wettbewerber laut Winkler aus der Not eine Tugend und bieten Intel-basierte Hardware mit dem Microsoft-Betriebssystem an, doch sie verlieren unweigerlich Teile ihres Kerngeschäfts an den Shooting-Star aus Redmond - und sie machen sich zunehmend abhängig von den Softwerkern.

Auch die bisherige Cash-cow von Microsoft, das Desktop-Geschäft mit dem Betriebssystem Windows 95 und dem Office-Paket, wird laut Gartner weiter viel Milch geben. Nach Ansicht von Marktforscher Simon Levin vollzieht sich der Wechsel von 16-Bit- auf 32-Bit-Betriebssysteme doppelt so schnell wie zuvor der Umstieg von MS-DOS auf Windows. Unabhängige Softwarehäuser forcierten den Schwenk mit einem rasant wachsenden Angebot an entsprechenden Applikationen, da sie kein Interesse daran haben könnten, veraltete und wenig ergiebige Plattformen über längere Zeiträume zu unterstützen.

Im Internet-, im Server- und im Client-Geschäft, so zeigte die Veranstaltung, sieht Microsoft goldenen Zeiten entgegen - doch die Marktforscher sehen auch einige Probleme. Beispielsweise werden die Konkurrenten künftig energischer denn je wettbewerbsrechtliche Schritte gegen den Softwarekrösus fordern, prophezeit Gartner-Mann Winkler. Gerichte und Politiker würden erkennen, daß die Marktdominanz der Softwerker in nahezu allen Schlüsselpositionen regulatorische Eingriffe erforderlich machten.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit muß Microsoft nach Ansicht des Analysten bereits bis 1998 seine Geschäftspraktiken korrigieren. Im Jahr darauf werde das Unternehmen Antitrust-Auflagen zu akzeptieren haben, in deren Folge es eine Strategie verfolgen müsse, die mit den eigenen Interessen nur noch bedingt zu vereinbaren sei.

Pläne der Regierungsbehörden, Microsoft zu einer Trennung von Anwendungs- und Betriebssystem-Geschäft zu zwingen, werde Gates unterlaufen. Dazu trage unter anderem die Weiterentwicklung von Middleware-APIs und der Komponententechnik Object Linking and Embedding (OLE) beziehungsweise Active X bei, die jeweils weder als Anwendungen noch als Betriebssysteme zu klassifizieren seien. Dennoch werde Microsoft Ende der 90er Jahre in eine Vielzahl langwieriger und kostenintensiver Prozesse verwickelt sein, die das Unternehmen schließlich zwingen würden, Geschäftsbereiche zu entflechten und dadurch Synergieverluste hinzunehmen.

Neuen Problemen ist die Company auch mit dem Einstieg in das Enterprise-Computing-Geschäft ausgesetzt. Wer hier erfolgreich agieren will, braucht eine große Mannschaft, die für Service und Support verantwortlich zeichnet. Microsoft verzichtet darauf und arbeitet statt dessen mit Partnern zusammen.

Auf mögliche Service- und Supportschwächen angesprochen, erwiderte Gates in der Diskussion, mit Firmen wie Siemens-Nixdorf, Hewlett-Packard, ICL, Olivetti und einer Reihe anderer Servicespezialisten habe man erfahrenes Personal an der Seite. Gerade in jüngster Zeit seien sehr viele Certified Systems Engineers ausgebildet worden. Der Support funktioniere mit diesen Partnern bestens. Dennoch fragen sich Marktbeobachter, ob Microsofts Wettbewerber auf lange Sicht tatsächlich den besten Service für die Produkte der Redmonder liefern werden.

Und schließlich tickt auch in der Personalpolitik von Microsoft selbst möglicherweise eine Zeitbombe. Ein Großteil der Mitarbeiter ist sehr jung, beobachtet Gartner-Analyst Winkler, teilweise kämen die Entwickler direkt von den Universitäten. Dabei hätten die Gehälter bei Microsoft schon immer unter dem Marktdurchschnitt gelegen, zum Ausgleich gab man Aktien aus. Das aber bedeute, daß Microsoft im Falle eines Kurseinbruchs nicht nur an Wert, sondern voraussichtlich auch an Mitarbeitern verlieren würde.

"Fällt oder stagniert Microsofts Aktienwert über mehrere Jahre - was bisher nicht geschehen ist -, dürften sich viele der heutigen Mitarbeiter überarbeitet und unterbezahlt fühlen", so Winkler. Im schlimmsten Falle reiche es schon aus, wenn die Stimmung sich verschlechtere und Mitar- beiter zu der Ansicht tendierten, Microsofts Wachstum könne eventuell nachlassen.