Beteiligungen und Übernahmen des Jahres

Die heimischen Anbieter sind nahezu ausnahmslos die Opfer

21.12.1990

MÜNCHEN - In schöner Regelmäßigkeit stellen die einschlägigen Marktforschungs- Unternehmen fest, die deutschen Software-Anbieter seien auf den internationalen Wettbewerb schlecht vorbereitet. Für den häufig geäußerten Vorwurf mangelnder Internationalität liefert ein Rückblick auf das zu Ende gehende Jahr hinreichend Belege.

Während britische und französische Software und Service-Unternehmen fieberhaft fusionieren und akquirieren, taugen die deutschen Anbieter offenbar höchstens zu Opfern des internationalen Expansionsdranges. Ausnahmen wie die SAP AG oder die neue Daimler-Benz-Tochter Debis Systemhaus GmbH bestätigen nur die Regel, indem sie zwar fleißig Betiligungen erwerben, sich derzeit jedoch ausschließlich auf dem heimischen Markt umsehen. Anders die beiden europäischen Software- und Servicekonzerne Sema Group und Cap Gemini Sogeti. Beide stekten 1990 ihre Claims auf dem deutschen Markt ab, indem sie sich die Aktienmerhrheit relativ großer einheimischer Software-Unternehmen sicherten. Eine dieser spektakulären Beteiligungen wurde bereits Ende 1989 eingefädelt. Im Frühling dieses Jahres übernahm die britisch-französische Sema Group plc. dann offiziell die Aktienmhrheit des ehedem führenden deutschen Softwarehauses, der ADV/Orga AG mit Sitz in Wilhelmshaven.

Die Frankfurter Commerzbank AG, bis dato Hauptaktionärin des bereits seit drei Jahren kränkelnden Software-Anbieters, war bereit, sich vom größten Teil ihrer Anteilscheine zu trennen. Allerdings hält das Kreditinstitut nach wie vor eine Minderheitsbeteiligung von etwa zehn Prozent.

Schon Anfang Februar hatte Georg Spiewok, Geschäftsführer der Kölner Sema Group GmbH, die Geschäftsleitung der ADV/Orga übernommen. Mit 110 Mitarbeitern und rund 20 Millionen Mark Umsatz ist die deutsche Sema-Niederlassung erheblich kleiner als die ADV/Orga, die zwar innerhalb der vergangenen zwölf Monate 35 Prozent ihrer Belegschaft entließ und heuer um etwa denselben Prozentsatz ihre 1986/87 erreichte Umsatzspitz verfehlte, aber immer noch 425 Mitarbeiter beschäftigt und 58,2 Millionen Mark einnahm.

Seit 1987 sanken die Einnahmen des bis zum vergangenen Jahr von Konsul Friedrich August Meyer geführten Unternehmens kontinuierlich. Vor drei Jahren beschloß der mittlerweile von Computer Associates (CA) geschluckte US-Anbieter Cullinet, sein Datenbank-Management-System IDMS auch hierzulande in eigener Regie zu vertreiben. Die deutschen Vertriebsrechte für das Cullinet-Produkt hatten bis dahin nicht unwesentlich zu den ADV/Orga Einnahmen beigetragen.

Kapitalschnitt und neue Stammaktien

Allzu lange setzten die Wilhelmshavener in der Hauptsache auf das personalintensive Projektgeschäft. Mit ihrer sogenannten l-Linie mußten sie dann ein Feld beackern, auf dem die SAP AG bereits reich Ernte gehalten hatte. Überdies bedeutet die bislang noch nicht revidierte Beschränkung auf den nur noch langsam wachsenden Mainframe-Markt sicher keine Option auf die Zukunft. Nichtsdestoweniger will die wiI die ADV/Orga nach Verlusten von 13,8 Millionen Mark 1988/89 und 28,9 Millionen Mark 89/90 bereits 1991 wieder schwarze Zahlen schreiben. UM ihr Geschäftsjahr künftig mit dem Kalenderjahr zu synchronisieren, beendet das Unternehmen sein Anfang Juli begonnenes Geschäftsjahr bereits Ende Dezember. Die gesamten Restrukturiergskosten sollen in die Bilanz dieses Rumpfgeschäftsjahres übernommen werden. Zusätzlich zu dem ADV/Orga-Deal beteiligte sich die Sema Group in diesem Jahr auch an dem französischen Finanzdienstleistungs-Anbieter Tibet SA sowie an dem Meinungsforschungs-lnstitut Emnid in Bielefeld. 79 Prozent der Emnid-Anteile sind seither in den Händen der Sofres-Gruppe, einer hundertprozentigen Sema-Tochter, zu der neben Emind auch Markt- und Meinungsforschungs-Unternehmen in Belgien, Spanien und Italien gehören. Die nach der französischen Cap Gemini Sogeti auf Platz zwei in der Hitliste europäischer Softwar- und Serviceunternehmen rangierende Sema-Group nahm im Geschäftsjahr 1989 umgerechnet 864 Millionen Mark ein. Nachdem die ADV/Orga ihren Aktionären im vergangenen Sommer einen Kapitalschnitt und eine anschließende Ausgabe neuer Stammaktien zugemutet hatte, besitzt der Softwareriese mittlerweile 56 Prozent der Anteilsscheine. Zu den Sema-Eignern gehört mit einem Anteil von immerhin 22,3 Prozent auch der Erzrivale Cap Gemini Sogeti SA, Paris. Der französische Softwaregigant ist - an seinem Umsatz von umgerechnet über zwei Milliarden Mark gemessen - rund zweieinhalbmal so groß wie die Sema Group, die ihrerseits mehr umsetzt als SAP und Software AG zusammen.

Auch Cap Gemini bemühte sich 1990 erfolgreich, einen Fuß in die Tür zum deutschen Software- und Servicemarkt zu bekommen. Im Juli dieses Jahres initiierten die Franzosen die Akquisition des Hamburger Software-Dienstleisters Scientific Control Systems GmbH (SCS), zum damaligen Zeitpunkt noch eine Tochter des britischen Softwarehauses SD-Scicon.

Voraussichtlich am 1. Januar 1991 werden die 700 Mitarbeiter starke SCS und die rund 500 Köpfe zählende Cap Gemini Sesa Deutschland GmbH in einer Holdinggesellschaft zusammengefaßt, die die Bezeichnung Cap Gemini SCS GmbH tragen und ihre Zelte in Hamburg aufschlagen soll.

Die Holding wird vier Tochterfirmen haben: die Cap Gemini SCS Dienstleistungen GmbH, Düsseldorf, die Cap Gemini SCS lndustrie GmbH, München, sowie die Cap Gemini SCS Becom GmbH und die SCS Personalberatung GmbH in Hamburg. Die SCS Systemtechnik GmbH, Bremen, wurde im Oktober von dem Bremer Schiff- und Maschinenbauer Vulkan AG übernommen - allerdings ohne den Svstemtechnik-Bereich Qualitätssicherung, der mittlerweile zur Münchner SCS Industrie gehört.

Den größten deutschen Anbietern vergleichbar

Ein drittes norddeutsches Unternehmen geriet 1990 in die Schlagzeilen: Die Gesellschaft für Management und Organisation AG (GMO) trat fast ein Drittel ihrer Unternehmensanteile an die New Yorker Nynex Corp. ab, die das Hamburger Service- und Beratungsunternehmen ihrer vorwiegend mit Banking-Applikationen beschäftigten Tochter BIS Group, London, angliedern will. Während die GMO mit 450 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 90 ,Millionen Mark auch nach eigener Einschätzung eher zu den mittleren Unternehmen zählt, kann sich die BlS Group gut und gern mit den Spitzenunternehmen der deutschen Software-Industrie vergleichen. Im vergangenen Jahr setzten die Briten mit ihrer 2000köpfigen Belegschaft umgerechnet etwa 300 Millionen Mark um. Im Zuge dieser Beteiligung stockte die GMO ihre Eingenmittel um 30 Millionen Mark auf. Die Mehrheit der Firmenanteile, nämlich 51 Prozent der mitttlerweile 130 000 Anteilsscheine, halten der GMO-Geschäftsführer Niiklaus Dobler, der Finanzvorstand Hans-Jürgen Burmeister und der Aufsichtsratsvorsitzende Hasso Wien gemeinsam.

Seit geraumer Zeit auf Expansionskurs

Weitaus unspektakulärer, aber nicht weniger signifikant war die Akquisition des Dienstleistungs-Anbieters Econocom GmbH aus Langen bei Frankfurt durch die französische Thomson Maintenance Informatique (Thomainfor), ein Mitglied der Gruppe Thomson CSF mit Sitz in Paris. Die 76 Mitarbeiter des hessischen Unternehmens verdienten ihr Geld mit Third Party Maintenance und mit mobilen Rechenzentrums-Diesten. Offensichtlich befindet sich die Thomainfor seit geraumer Zeit auf Expansionskurs; 1989 hatte sie bereits die Wartungs-Unit von Control Data übernommen, Anfang 1990 folgte Awitex Computer Services. Die Thomson-Tochter beschäftigt 1150 Mitarbeiter, die auf 90 Service-Niederlassungen in acht Europäischen Ländern verteilt sind und im laufenden Geschäftsjahr gemeinsam 850 Millionen Franc oder umgerechnet 250 Millionen Mark umsetzen wollen.

Hohe Forecasts lassen sich nicht durchhalten

Doch auch innerhalb der deutschen Software-Branche gibt es Unternehmen, die 1990 gute Ergebnisse verbuchen konnten. So steigerte beispiels-weise die SAP AG, Walldorf, im Geschäftsjahr 1989 ihren Umsatz gegenüber dem Vorjahr um fast die Hälfte - von 244.8 auf 366,9 Millionen Mark. Der Ertrag kann sich ebenfalls sehen lassen: Bei einem Nettogewinn von 68,2 Millionen Mark betrug die Umsatzrendite mehr als 18 Prozent. Im laufenden Jahr peilt der Anbieter von integrierten Anwendungspaketen die 500-Millionen-Grenze an; für 1991 erwartet er Einnahmen von 700 Millionen Mark. Wie gefährlich es ist, mit derart hohen Forecasts zu operieren, hat allerdings das Beispiel des kalifornischen Datenbank-Anbieters Oracle hinlänglich bewiesen; jährliche Umsatzsteigerungen um 50 Prozent lassen sich auf Dauer kaum durchhalten.

Im ersten Halbjahr 1990 zeigten sich dann auch kleine Wolken am strahlend blauen Himmel über der SAP: Gegenüber einem Umsatzplus von mehr als 40 Prozent nahmen sich 25 Prozent Ertragssteigerung relativ mager aus. Als Begründung dafür, daß der Gewinn mit den Eiinnahmen nicht Schritt gehalten hatte, führte das SAP-Management seine DDR Aktivitäten ins Feld. Tatsächlich hatte die Walldorfer Softwareschmiede frühzeitig begonnen, den Markt in den fünf neuen Bundesländern zu erschließen. Das fiel ihr um so leichter, als ihre Produkte quasi eine Sofiware-Grundausstattung für Unternehmen ohne eigene Anwendungsentwicklung bieten. Kurz nach dem Zusammenschluß der beiden deutschen Staaten im Oktober dieses Jahres fiel bereits der Startschuß für ein Joint-venture, das SAP gemeinsam mit Siemens Nixdorf Informationssysteme (SNl) und Robotron ins Leben gerufen hatte. An dem Dresdener SRS Software- und Systemhaus sind SAP und SNI zu je 45 Prozent und Robotron zu einem Zehntel beteiligt; das Stammkapital des bislang 400köpfigen Unternehmens beläuft sich auf sechs Millionen Mark

Die Konkurrenz wird allmählich unruhig

Daneben konnte SAP in diesem Jahr drei weitere Beteiligungen beziehungsweise Übernahmen verzeichen. Den Anfang machte die Akquisition der Dataring GmbH Inormationsund Organisationssysteme, Fellbach bei Stuttgart. Das 45 Mitarbeiter starke schwäbische Softwarehaus ist am Markt mit dem Logistiksystem Profis präsent. Wesentlich mehr Unruhe als die Dataring-Übernahme verursachte der nächste Streich des deutschen Softwarewunders bei den Mitbewerbern: Im Juli beteiligte sich SAP zur Hälfte an der Stebb-Gruppe mit Sitz in Abstatt bei Heilbronn. Als Anbieter kommerzieller Anwendungssoftware für mittlere Unternehmen operiert Steeb in einem ganz ähnlichen Marktsegment wie SAP und erzielte dort 1989 mit 190 Mitartbeitern einen Umsatz von 31 Millionen Mark. Mit der Steeb-Software können die Walldorfer ihr Angebot jetzt auf die IBM-Midrange-Maschinen /36 und /38 sowie AS/400 ausdehnen. Außerdem erwarten sie "Synergie-Effekte" künftiges System R/3, das unter anderem auf Unix Rechnern ablauffähig sei soll. So werden die Steeb-Entwickler denn auch ihren Teil dazu beitragen, die neue Software-Ausführung auf die Beine zu stellen.

Dessen ungeachtet tritt Steeb weiterhin als selbständiger Anbieter am Markt auf. Mit Hilfe einer erheblich verbreiterten finanziellen Basis will das Software-Unternehmen den Mittelstandsmarke offensiver als bisher angehen. Ende Oktober schloß die SAP ihre voraussichtlich letzte Akquisition in diesem Jahr ab. Sie Übernahm die CAS Anwendungs-Systeme GmbH in Weinstadt, die sich - wie auch Dataring - auf Standardsoftware für Logistikanwendungen spezialisiert hat.

Mehr als eine Milliarde Umsatz

Mit einem grandiosen Start katapultierte sich die Debis. Systemhaus GmbH, Stuttgart Mitte des Jahres an die Spitze der deutschen Software- und Service-Industrie. Bereits im Dezember 1989 als Daimler-Benz Informationssysteme GmbH aus den diversen IV-Abteilungen des Stuttgarter Automobil- und Rüstungskonzerns ausgegliedert, firmiert das Systemhaus seit Juli unter dem neuen Namen als eine Tochter der Daimler-Benz Interservices AG (Debis), Berlin.

Die Gehaltsliste der Debis Systemhaus GmbH wies vom Start weg 3200 Namen aus, und für das laufende Geschäftsjahr rechnet das Management mit einem Umsatz von 800 Millionen Mark. 80 Prozent dieses Geschäftsvolumens stammt voraussichtlich aus Aufträgen der diversen Daimler-Benz-Gesellschaften. Für 1991 prognostizierte der Geschäftsführer KarI-Heinz Achinger mehr als eine Milliarde Mark Umsatz. Die Übernahme der verschiedenen IV-Unternehmen und Rechenzentren des Daimler-Benz-Konzerns durch das Systemhaus ist geplant beziehungsweise bereits vollzogen. Der dickste Brocken war wohl die in Aachen ansässige Gesellschaft für elektronische Inforrnationsverarbeitung GmbH (GEI), die fast tausend Mitarbeiter beschäftigt, 1989 allerdings nur 175 Millionen Mark umsetzte.

Keine Zeit verlor Debis dabei, sich einen Stützpunkt in der DDR zu schaffen. Bereits im Juli gründeten die Stuttgarter zussammen mit dem Hardwarehersteller Hewlett-Packard (HP) im Ostteil Berlins das Softwarehaus für Informationsverarbeitung GmbH (SFI), dessen Kapitalausstattung zu rund drei Vierteln aus dem Debis-Portefeuille stammt. Die SFl will komplette Anwendungslösungen für den Fertigungsbereich anbieten.

Begrenztes Mitspracherecht

Ebenfalls im Juli übernahmen die Schwaben das Rechenzentrum der Industrienanlagen-Betriebsgesellschaft mbH IABG in Ottobrunn bei München. Ein Sprecher der lABG begründete diesen Schritt damit, daß die Erbringung von Rechnerleistung nicht zu den strategischen Zielen des Unternehmens gehöre. Statt dessen wurde der bayerische Dienstleister-Servicekunde des Debis-Systemhauses. Künftig will Debis eigenen Aussagen zufolge ein neues Outsourcing-Modell Praktizieren: Der Kunde räumt dem Dienstleistungsunternehmen eine Mehrheitsbeteiligung ein, bleibt jedoch Miteigner seines Rechenzentrums oder IV-Bereichs und sichert sich damit ein begrenztes Mitsprache und Mitgestaltungsrecht. Ein erstes Beispiel für diese neue Strategie gab das Systemhaus im Oktober, als es sich zu 60 Prozent an der MG lnformationsverarbeitung GmbH (MGI), bis dato eine Tochter der Frankfurter Metallgesellschaft AG, beteiligte. Das nach Meinung von Experten in puncto Betriebssicherheit und Automation dem State of the Art entsprechende MGI-Rechenzentrums wird laut Debis auch für andere Kunden zur Verfügung stehen.