"Die Hauptarbeit bei den Unix-Standards ist getan"

14.09.1990

Im Vorfeld der diesjährigen Tagung der German Unix User Group (GUUG) sprachen die CW-Redakteure Karin Quack und Hermann Gfaller mit Bob Mitze, Managing Director der Unix System Laboratories Europe, Über die Zukunft des Unix System V.

CW: Aus der Unix Software Operation Ltd. wurde kürzlich die Unix System Laboratories Ltd. Was hat es mit dieser Namensänderung auf sich?

Mitze: Diese Namensänderung ist vor allem ein Indiz dafür, daß wir den nächsten Schritt auf einem langen Weg getan haben, der letztendlich dahin führen soll, Entwicklung und Kontrolle des Unix-Systems in die Hände der gesamten Industrie zu legen. Die Bezeichnung Unix Software Operation benutzten wir, als wir uns von der Hardwaregruppe abgesparten hatten, aber immer noch ein Teil von AT&T waren.

Unsere Absicht besteht jedoch darin, die Eigentumsrechte an der Unix-Organisation zu verkaufen, damit AT&T nicht mehr der einzige Anbieter ist, der die Kontrolle darüber hat. Deshalb mußten wir uns als eine rechtlich unabhängige Gesellschaft konstituieren - mit eigenen Aktien, die wir dann veräußern können. Gleichzeitig änderten wir unseren Namen in Unix System Laboratories.

CW: Wann beginnen Sie mit dem Verkauf der Anteile?

Mitze: Das wird etappenweise stattfinden. In der ersten Phase, die schätzungsweise Ende dieses Jahres abgeschlossen ist, veräußern wir lediglich den kleineren Teil der Aktien, voraussichtlich 30 bis 40 Prozent. Wir erwarten jedoch, daß sich in einer späteren Phase die AT&T-Mehrheit verringern wird. Unserem Plan zufolge verfügt unsere bisherige Konzernmutter am Ende nur über eine Minderheitsbeteiligung.

CW: Wie weit sind Sie denn innerhalb der ersten Phase vorangeschritten?

Mitze: Wir haben zunächst dieses Unternehmen gegründet, das derzeit zu 100 Prozent AT&T gehört. Gerade eben legen wir letzte Hand an das sogenannte "Offer Memorandum", das nach den Regeln der US Security Exchange Commission dem Aktienverkauf vorangehen muß. Wir erwarten, daß wir diese Arbeit Mitte September beenden. Dann werden wir verschiedenen interessierten Unternehmen ermöglichen, jeweils einen Teil der Aktien zu erwerben. Wir wollen keineswegs einfach die Kontrolle von AT&T auf eine andere Company übertragen - das hieße, dort zu landen, wo wir gestartet sind. Folglich müssen wir die Anteile einer ganzen Reihe von Unternehmen anbieten, um sicherzustellen, daß die Aktien möglichst gleichmäßig verteilt werden.

CW: Vor einiger Zeit machte das Gerücht die Runde, AT&T wolle die damalige USO verkaufen, finde aber keinen Käufer..

Mitze: So war das keineswegs! Wir haben nicht versucht, die USO zu verkaufen. Vielmehr ging es darum, wie wir die Unix International Inc. und die Open Software Foundation über die USO miteinander verbinden könnten. Im Verlauf dieser Diskussion erklärte AT&T dann seine Bereitschaft, die Mehrheit an der USO aufzugeben, falls es zu einer Einigung käme. Es ist selbstverständlich nicht so, daß sich jeder, mit dem wir gesprochen haben, auch tatsächlich an der USL beteiligen will. Einigen ist möglicherweise der Preis zu hoch, andere sind gerade nicht flüssig etc.

CW: Welchen Aktienpreis haben Sie festgesetzt?

Mitze: Wenn dieser Preis bereits festgesetzt wurde, so habe ich jedenfalls noch nichts davon erfahren. Wahrscheinlich hat man darüber Stillschweigen vereinbart, bis das Offer Memorandum fertiggestellt ist.

CW: Sie sagten vorhin, AT&T werde lediglich kleine Aktienpakete anbieten. Wie groß darf ein solches Paket sein?

Mitze: Wie gesagt, ich kenne die genauen Angaben des Offer Memorandum nicht. Doch ich schätze, ein Interessent sollte lediglich ein paar Prozent erhalten, aber keineswegs mehr als 20. Schließlich wollen wir die Aktien nicht nur an ein oder zwei Unternehmen verkaufen, sondern eher an zehn oder zwanzig.

CW: Wer geht dabei auf wen zu?

Mitze: Wir wenden uns an alle potentiellen Partner oder haben uns vielmehr bereits an sie gewandt. Das geschah inoffiziell ohne ein spezifisches Angebot; wir wollten lediglich wissen, ob Interesse besteht. Und eine Reihe von Unternehmen haben sich auch interessiert gezeigt.

CW: Mit wem haben Sie gesprochen?

Mitze: Namen möchte ich nicht nennen. Es handelt sich aber um große Anbieter aus dem Bereich der Informationstechnik. Übrigens beschränken wir unsere Ansprechpartner keineswegs auf die Mitglieder von Unix International. Zunächst sind alle unsere Kunden potentielle Partner, ob sie nun der UI angehören, der OSF oder keiner der beiden Organisationen. Wir ziehen sogar einige Unternehmen in Betracht, die keine Sourcecode-Kunden sind.

CW: Gibt es Oberhaupt ein K.o.-Kriterium, das die Zahl der potentiellen Partner einschränkt?

Mitze: Das einzige Kriterium lautet: Wer ist mit größter Wahrscheinlichkeit interessiert? Das beschränkt die Ansprechpartner auf relativ große Unternehmen, die Interesse an offenen Systemen haben. Tatsächlich wollen wir niemanden ausgrenzen; wir müssen lediglich erörtern, wen wir zuerst ansprechen wollen. Wenn jemand von selbst auf uns zukommt, wird er sicherlich ebenfalls in Betracht gezogen.

CW: Wer immer sich an USL beteiligt, wird de n Kaufpreis an AT&T Zahlen. Wovon wird USL seine Betriebskosten begleichen?

Mitze: Von unseren Umsätzen. Wir lizenzieren Unix, das heißt wir erhalten Gebühren. Außerdem denke ich, daß ein Teil des Kaufpreises in ein Capital Investment umgewandelt wird.

CW: Wie sieht Ihre momentane finanzielle Situation aus?

Mitze: Eine schwierige Frage. Bislang waren wir ein Teil von AT&T. Wie wollen Sie die Finanzen auseinanderdividieren? Zwar könnten wir Umsätze und direkte Kosten gegenüberstellen, aber es wäre sicher schwierig, die Overhead-Kosten zu berücksichtigen, die bei AT&T anfielen. Als eigenständiges Unternehmen haben wir einfach noch keine Geschichte.

CW: Was können Sie als Mitgift in die angestrebten Partnerschaften einbringen?

Mitze: Vor allem unser Besitzrecht an der Unix-Technologie. Wenn Sie Unix verwenden wollen, müssen Sie es von uns erwerben. Wir haben auch die Rechte an den Unix-V-Versionen, die bereits im Einsatz sind; eine meiner ersten Aufgaben als Managing Director bestand darin, 600 oder 700 Dokumente zu unterzeichnen, die die Lizenzabkommen von AT&T auf USL übertrugen.

CW: Wie begründet A T&7, daß die Mehrheit der Aktien vorerst in seiner Hand bleibt?

Mitze: AT&T will bei diesem Prozeß möglichst umsichtig vorgehen. Es muß beispielsweise sichergestellt werden, daß nicht ein anderes Unternehmen die Mehrheit an sich reißt. Aus der Sicht von AT&T kommt es auch darauf an, einen fairen Return on Investment für die Entwicklung von Unix zu erzielen.

Außerdem ist AT&T selbst der weitaus größte Anwender von Unix; dort nutzt man das System, um das Telefonnetz zu betreiben. Insofern ist AT&T daran interessiert, daß sich die Unix-Technik vorwärtsentwickelt. Die Bedingung dafür ist aber, daß USL als selbständiges Unternehmen Erfolg hat und nicht etwa von einem einzelnen Anbieter im Handstreich übernommen wird. Insbesondere die gescheiterten Einigungsversuche zwischen UI und OSF haben AT&T vorsichtig gemacht.

CW: In der Branche kursiert das Gerücht, daß AT&T Unix gerne loswerden möchte, weil es mehr kostet, als es einbringt...

Mitze: Das muß. die OSF in die Weit gesetzt haben! AT&T sieht das selbstverständlich anders. Wir, also USL, erwarten, vom Start weg mit Gewinn wirtschaften zu können.

CW: Wie schätzen Sie die Konkurrenz durch OSF/1 ein?

Mitze: Nun, sicherlich hofft die OSF, mit uns konkurrieren zu können. Unix System V hat jedoch eine gute Akzeptanz im Markt - auch bei Mitgliedern der OSF. Ich weiß, daß einige OSF-Mitglieder V.4 ausliefern werden, bevor irgend jemand OSF/1 vertreibt.

CW: Nach allem, was bislang bekannt wurde, unterscheiden sich die beiden Betriebssysteme auf der technischen Ebene...

Mitze: Selbstverständlich! Wir sind der OSF weit voraus.

CW: Wir haben von anderer Seite genau das Gegenteil gehört.

Mitze: Im ersten Quartal des kommenden Jahres werden wir ein Produkt auf den Markt bringen, daß dem B2-Sicherheitsniveau entspricht. Der Zertifizierungsprozeß läuft gerade. Da B2 eine Modularisierung des Systems verlangt, wurde V.4 in diese Richtung weiterentwickelt.

CW: Und was ist mit der Multiprozessor-Technik?

Mitze: Das übernächste Release wird voll Multiprozessor-fähig sein; es ist voraussichtlich Mitte 1992 generell verfügbar.

CW: In diesem Punkt hinkt USL der OSF also um zwei Jahre hinterher.

Mitze: Warten wir es ab! Wenn OSF/1 tatsächlich in der Mitte dieses Jahres verfügbar gewesen wäre, dann hätten wir tatsächlich zwei Jahre Verspätung. Schauen wir erst einmal, welche Funktionalität OSF/1 aufweist, wenn es auf dem Markt ist!

CW: Wo wollen Sie die Multiprozessor-Fähigkeit hernehmen? Denken Sie ebenfalls an den Mach-Kernel?

Mitze: Mach ist ein System, das für die Hochschule entwickelt wurde. Diese Architektur hat eine Menge guter Eigenschaften, andere Architekturen aber auch. Unternehmen wie Sequent haben im Bereich Multiprocessing ebenfalls gute Arbeit geleistet, die sich darüber hinaus in der kommerziellen Welt bewährt hat. Wir werden allen diesen Technologie-Splittern Aufmerksamkeit schenken.

CW: Was halten Sie von der Distributed Computing Environment der OSF?

Mitze: Mit der DCE hat OSF eine Chance zur Vereinheitlichung der Betriebssysteme verschenkt. Network File System und Remote Procedure Calls existierten bereits; trotzdem entschied sich die OSF für die Technologie ihres Mitglieds HP, die keineswegs im Markt etabliert ist. System V.4 hingegen basiert auf dem De-facto-Standard.

CW: Unix war immer mehr als ein Produkt; Enthusiasten sprachen von der Unabhängigkeitserklärung des Anwenders. Neuerdings diskutieren wir über Funktionalität und Preise. Wie kommentieren Sie diese Entwicklung?

Mitze: Hier ist tatsächlich eine Änderung eingetreten. Fest steht jedoch, daß der Anwender heute tatsächlich etwas unabhängiger ist als in der Vergangenheit. Und dies resultiert beispielsweise aus dem XPG Branding Program von X/Open und aus der generellen Bereitschaft innerhalb der Industrie, sich auf Standards zu einigen. Unix hat also einige der mit ihm verbundenen Erwartungen erfüllt. Aber es ist natürlich wahr, daß ein kommerzielles Produkt daraus geworden ist. Ein Teil der Freiheit für den Entwickler wurde beschnitten, um Standards zu schaffen, also Freiheit für den Anwender.

CW: Bis vor kurzem galt Unix als ein Synonym für offene Systeme. Mittlerweile steht dieser Begriff auch dafür, proprietäre Systeme einzubeziehen. Was bedeutet das für die Unix-Akzeptanz?

Mitze: Offene Systeme müssen in einer Welt existieren, in der es beispielsweise auch MVS gibt. Folglich ist es wichtig, Interoperabilitäts-Mechanismen zu entwickeln, sprich Interface-Standards, die die Kommunikation mit nicht-offenen Systemen wie MVS ermöglichen. Wenn die Unix-Anbieter das nicht schaffen, koppeln sie sich selbst von einem wichtigen Marktsektor ab.

CW: Viele Branchen-Insider äußern die Ansicht, Interface-Standards seien wichtiger als offene Betriebssysteme. Teilen Sie diese Meinung?

Mitze: Was die Interoperabilität angeht, so ist das richtig. Aber Sie sollten bedenken, daß offene Betriebssysteme einen anderen Vorteil mit sich bringen, nämlich ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, verursacht durch den Wettbewerb, der entsteht, wenn viele verschiedene Anbieter dasselbe System offerieren. Das bekommen Sie bei MVS nicht und auch nicht bei VMS.

CW: Wird Unix Ihrer Ansicht nach diese Betriebssysteme ablösen können?

Mitze: Ich glaube nicht, daß Unix eines Tages jedes Computersystem der Welt betreiben wird. Das wäre zuviel verlangt. Es gibt eine große Basis für MVS und VMS, die nicht einfach verschwinden wird. Cobol zum Beispiel wird schon seit zehn Jahren totgesagt; aber die Leute schreiben ihre Programme immer noch in Cobol. Und dasselbe geschieht mit MVS - auch wenn es in diesem Bereich kaum noch Marktwachstum oder Innovationen gibt.

CW: Welche Chancen sehen Sie für einen Unix-Standard?

Mitze: Was ich sehe, ist folgendes: Die Ebene der Standardisierung wird ständig steigen. Vor fünf Jahren waren zum Beispiel die System-Calls ein Diskussionsgegenstand. Heute redet niemand mehr darüber; Posix hat dieses Thema abgedeckt. Momentan interessieren wir uns für Netzwerk-Fähigkeiten, in der Zukunft wahrscheinlich für Spracherkennungs-Technik. In einem gewissen Sinn ist es also richtig, daß es niemals ein Standard-Unix geben wird; denn Unix wächst kontinuierlich weiter. Aber der Teil, der bereits durch Standards abgedeckt ist, wird ebenfalls immer größer. Und wenn etwas sich erst einmal als Standard etabliert hat, dann ist es quasi unabänderlich. Niemand wird heute noch versuchen wollen, die System-Calls zu ändern.