EG-Kommission hat neue Esprit-Programme in der Pipeline

Die großen Softwarekonzerne Europas proben den Lobbyismus

10.04.1992

MÜNCHEN (qua) - Wie die Hardwarehersteller wollen auch die Protagonisten der europäischen Software- und Serviceszene Einfluß auf die Forschungs- und Entwicklungspolitik der EG-Kommission ausüben. Inwieweit ihre Bemühungen bislang erfolgreich verliefen, wird sich in Kürze zeigen, wenn der Öffentlichkeit die neuen Esprit-Programme vorgestellt werden.

Europas Software- und Service-Anbieter fühlen sich vernachlässigt-. Ihrer Ansicht nach waren die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften initiierten Forschungs- und Entwicklungsprojekte - soweit sie den Bereich Informationstechnik betreffen - bislang ausschließlich auf die Interessen der Hardwarehersteller abgestimmt.

Themen aus der Praxis sind zu kurz gekommen

Von den 875 Millionen ECU (umgerechnet etwa 1,73 Milliarden Mark), die das Esprit-Budget für 1991 und 1992 ausmachten, waren nur 203 Millionen oder 23,2 Prozent für den Softwarebereich bestimmt. Um künftig einen größeren Anteil vom EG-Kuchen abschneiden zu können, haben sich vor rund zwei Jahren sechs Giganten der europäischen Software- und Service-Branche zu einer Interessenvertretung zusammengeschlossen.

Die "Group of six" ist die Antwort der Software- und Service Branche auf die "Group of twelve", die seit Anfang der 80er Jahre die Interessen der europäischen Computerhersteller gegenüber der EG-Kommission vertritt.

Auf deren Anregung hin, so klagen die Software-Dienstleister, widmeten sich die Esprit-Programme bislang vorwiegend technologieorientierten Projekten in Bereichen wie Mikroelektronik und Parallelverarbeitung.

Praxisorientierte Themen beispielsweise offene Systeme, europaweite Datennetze oder CASE-Methoden - seien demgegenüber zu kurz gekommen.

Die Ziele der Group of six

Zur sogenannten Sechsergruppe zählen mittlerweile, sieben Unternehmen: die Cap Gemini Sogeti SA, Paris, der britisch-französische Software- und Servicekonzern Sema Group Plc., die in Großbritannien beheimatete Logica Plc., die Stuttgarter Debis Systemhaus GmbH, die italienische Finsiel SpA und die spanische Eritel SA sowie - seit kurzem - die niederländische Volmac Software Groep NV.

Bei diesen sieben Unternehmen wollen es die Gruppenmitglieder bis auf weiteres belassen. Nach Ansicht des Gründungsvorsitzenden Philippe Dreyfus, im Hauptberuf Vice-President der Cap Gemini Sogeti, wird es mit zunehmender Mitgliederzahl nämlich immer schwieriger, gemeinsame Interessen zu formulieren (siehe auch das Interview mit Dreyfus in dieser Ausgabe auf Seite 11).

Laut Dreyfus ist die EG-Kommission darauf vorbereitet, Input von seiten verschiedener Interessengruppen zu empfangen und zu verarbeiten, weshalb die Gründung der Software- und Service-Lobby in Brüssel positiv aufgenommen worden sei. Konkrete Ergebnisse könne die Group of six zwar noch nicht vorweisen.

Doch sei die EG-Kommission drauf und dran, einen neuen Esprit-Rahmen zu verabschieden. Inwieweit die überarbeiteten Direktiven die Vorschläge der Software- und Service-Lobby berücksichtigen, konnte bis Redaktionsschluß nicht in Erfahrung gebracht werden. Wiederholte Anfragen bei der Europäischen Kommission blieben unbeantwortet.