Die fünf größten Irrtümer über Vista

04.06.2008
Von Michael Pietroforte
Viele Zeitgenossen sehen es gerne, wenn es für Microsoft einmal nicht so gut läuft. Die neueste Windows-Version ist daher zur Zielscheibe für alle mögliche Kritik geworden - oft liegt diese aber ziemlich daneben.

Vista hat ohne Zweifel ein Image-Problem. Nach sechs Jahren Entwicklungszeit und zahlreichen Verschiebungen kam es mit weniger Neuerungen als angekündigt. Auch Kompatibilitätsprobleme und hohe Hardwareanforderungen wirkten abschreckend. Schon während der Vista-Entwicklungsphase zeichnete sich ab, dass wesentliche Neuerungen wie die Windows Presentation Foundation und Windows Communication Foundation in das .NET-Framework integriert werden und somit auch für Windows XP verfügbar sind. Andere Komponenten, wie etwa Aero, enttäuschten. Wiederum andere, allen voran Windows Future Storage (WinFS), wurden ganz gestrichen.

Microsofts offizielle Begründung war damals, dass man die Fertigstellung von Vista nicht weiter verzögern wolle. Die eigentlichen Gründe dürften indes andere gewesen sein. Kurz zuvor trieben Computerwürmer wie Sasser und W32.Blaster ihr Unwesen und legten reihenweise ganze Unternehmen lahm. Deshalb dachte Microsoft um. Statt neuer Funktionen stand nun Sicherheit im Vordergrund. Windows Vista ist Microsofts erstes Betriebssystem, das von der damals ausgerufenen Trustworthy-Computing-Sicherheitsinitiative in vollem Umfang profitiert. Doch zu behaupten, dass Vista neben mehr Sicherheit nicht viel zu bieten habe, ist falsch. Nach Microsofts eigenen Angaben kam der XP-Nachfolger mit 2750 neuen Funktionen auf den Markt.

Windows XP SP2 ist genauso sicher wie Vista

Wenn von Vistas Sicherheit die Rede ist, werden meist einige Features wie Bitlocker, die Windows Firewall, Address Space Layout Randomization (ASLR) oder User Account Control (UAC) genannt. UAC ist gewiss Vistas prominentestes Sicherheits-Feature. Mit ihm möchte Microsoft vor allem eine schärfere Trennung zwischen Benutzern mit Standardrechten und jenen mit Administratorenrechten durchsetzen. Häufig kommt UAC in Besprechungen nicht gut weg, weil die Bestätigungsdialoge bei der Arbeit stören und es zweifelhaft erscheint, dass so die Sicherheit verbessert werden kann.

Doch Tests haben gezeigt, dass UAC gegen Rootkits besser schützt als die meisten Anti-Malware-Tools. Viele wissen auch nicht, dass sich die UAC-Dialogfenster über Gruppenrichtlinien abschalten lassen und UAC auch dann noch Schutz bietet, etwa gegen Shatter Attacks. Viel wichtiger ist jedoch, dass Vistas UAC die Entwickler dazu zwingt, bei Applikationen für Endanwender darauf zu achten, dass sie auch ohne Administratorenrechte problemlos laufen. Davon profitieren letztlich alle an das Internet angeschlossenen PCs, weil so die Verbreitung von Malware deutlich erschwert wird.

Man wird allerdings Vistas verbesserter Sicherheit kaum gerecht, wenn man nur die einzelnen neuen Features diskutiert. Viel wichtiger ist, dass seit Beginn der Sicherheitsinitiative im Rahmen des Security Development Lifecycle (SDL) Microsoft seine Entwickler darauf getrimmt hat, diesem Thema einen höheren Stellenwert einzuräumen. Denn in der Vergangenheit waren es vor allem die Programmierfehler, die zu gravierenden Sicherheitslücken unter Windows geführt haben. Die Früchte der Initiative kann man zum Beispiel daran erkennen, dass Microsoft für Vista bisher deutlich weniger Sicherheits-Updates veröffentlicht hat als für Windows XP während des gleichen Zeitraums.

Vista ist zu langsam

Performance-Vergleiche zwischen Windows XP und Vista sind zu einem Volkssport im Internet geworden. In aller Regel zieht die neue Version bei solchen Duellen den Kürzeren. Insbesondere dann, wenn Vista in das Korsett zu klein dimensionierter Hardware gezwängt wird, sind seine Benchmark-Ergebnisse unter ferner liefen. Falls ein Unternehmen seinen PC-Fuhrpark erst austauschen muss, um auf Vista umsteigen zu können, dann haben solche Tests tatsächlich eine Aussagekraft.

Autor Randall Kennedy von der CW-Schwesterpublikation "Infoworld" propagiert sogar, Windows XP auch auf neuer Hardware den Vorzug zu geben, weil es generell schonender mit Ressourcen umgeht. Diese Begründung ist freilich an den Haaren herbeigezogen. Auf einem modernen PC wird man in den allermeisten Fällen keinen Geschwindigkeitsunterschied wahrnehmen. Ob das Betriebssystem 20 oder 40 Prozent der CPU-Leistung beziehungsweise des Arbeitsspeichers in Anspruch nimmt, spielt keine Rolle. Deshalb kann man die bessere Performance von Windows XP nicht als Argument gegen Vista anführen. Auf älteren PCs, die nicht mindestens über 1,5 GB RAM und eine Dual-Core-CPU verfügen, hat Vista nichts zu suchen, und auf moderner Hardware arbeitet Vista genauso schnell wie Windows XP.

Vista rechnet sich nicht

Ob sich ein Umstieg auf Vista lohnt, hängt entscheidend davon ab, ob einige der Neuerungen die Produktivität der Systemverwaltung und Mitarbeiter erhöhen. Da dies je nach Umgebung variiert, bleibt den Verantwortlichen nichts anderes übrig, als sich die Verbesserungen im Detail anzusehen. Einen ersten Anlaufpunkt dafür bieten die entsprechenden Artikel in der Wikipedia, da hier ein Großteil der Neuerungen verhältnismäßig objektiv dargestellt wurde. Nützlich ist auch ein neues Dokument von Microsoft, das Windows XP SP3 mit Windows Vista SP1 genau vergleicht.

Ein Kostensparer für die Systemverwaltung ist sicher die neue Imaging-Technik, die das Klonen einer Installation auf beliebige Hardware ermöglicht. Administratoren, die bislang auf die unbeaufsichtigte Installation von Windows setzten, verstehen dieses Feature häufig nicht. Um die neuen Möglichkeiten auszuloten, empfiehlt es sich, die Master-Images in einer virtuellen Umgebung, beispielsweise mit VMware Workstation, zu erzeugen. Dabei wird man schnell feststellen, dass sich mit einer Virtualisierungssoftware für die Erstellung und Wartung von Images dank Snapshot-Technik und Cloning viel Zeit sparen lässt.

Ferner sollte versucht werden, bei der Verteilung der Images so weit wie möglich auf Scripting-Techniken zu verzichten. Das heißt, im Master-Image sind alle Anwendungen zu integrieren und so weit zu konfigurieren, dass ein Eingriff während der Installation weitgehend überflüssig ist. Unter günstigen Bedingungen kann man komplett auf Softwareverteilung verzichten, so dass der Helpdesk bei Problemen einen PC kurzerhand neu klonen kann, anstatt sich auf eine langwierige Fehlersuche einzulassen.

Die etwa 500 neuen Richtlinien bieten zusätzliche Steuerungsmöglichkeiten und können die Systemverwaltung entlasten. Microsoft hat alle Gruppenrichtlinien in einer Excel-Tabelle zusammengefasst. Um sich die Richtlinien anzeigen zu lassen, die nur Vista bietet, kann man die Tabelle nach der "Requirements"-Spalte sortieren.

Die neue Ereignisprotokollierung mit ihren zahlreichen Ereignistypen sowie der neuen Ereignisanzeige inklusive Filter können den Administratoren im Problemfall ebenfalls helfen. Das Zusammenführen der Ereignisse von mehreren Computern ("Event-Forwarding") bietet nicht nur neue Möglichkeiten, die Sicherheit zu verbessern, sondern ist vor allem dann nützlich, wenn ein bestimmter Fehler nur auf einzelnen Computern auftaucht. Anhand der Gemeinsamkeiten dieser Rechner erkennt man dann meist schnell, was der Verursacher des Problems ist.

Nur Vista hat ein Kompatibilitätsproblem

Inkompatibilitäten mit bestehender Hard- und Software, die man sich mit Vista einhandeln kann, gehören sicher zu den Hauptargumenten gegen den Umstieg. Das neue Treibermodell lässt ältere Geräte außen vor, und die veränderte Sicherheitsstruktur bringt so manche betagte Anwendung aus dem Tritt. Langfristig wird Windows von diesen Neuerungen profitieren, doch wer jetzt noch auf Vista-inkompatible Anwendungen angewiesen ist oder etwa eine größere Zahl an Druckern im Einsatz hat, für die es keine neuen Treiber gibt, für den ist Vista momentan wohl kein Thema.

Gerade in größeren Unternehmen kann der Aufwand beträchtlich sein, überhaupt erst einmal festzustellen, welche Anwendungen unter Vista funktionieren und welche nicht. Microsofts Application Compatibility Toolkit kann dabei behilflich sein, aber letztlich muss man in den meisten Fällen selbst Hand anlegen, um sicherzugehen, dass eine Applikation reibungsfrei läuft.

Allerdings gilt es zu bedenken, dass die Zeit hier für Vista arbeitet. Seit Vistas Debüt vor rund 20 Monaten hat sich schon einiges getan. Bei neueren Geräten sind keine Probleme mehr zu erwarten, und auch die meisten Softwarehersteller haben sich inzwischen mit Vista angefreundet.

Ein Irrtum ist jedoch ganz sicher, zu glauben, dass man mit Windows XP vor Treiberproblemen gefeit bleiben wird. Hardwarehersteller unterstützen den Veteranen zwar noch bis auf weiteres. Mit dem Service Pack 3 wurde Windows XP noch einmal auf den neuesten Stand gebracht, doch in Zukunft werden sich die Systemverwalter immer häufiger darum bemühen müssen, Treiber für neue Geräte zu finden. Während momentan noch Windows XP die Nase vorn hat, wird sich hier schon bald das Blatt zugunsten von Vista wenden.

Bei Software besteht dieses Problem nicht im selben Maß, da die meisten Windows-Anwendungen auf beiden Betriebssystemen funktionieren. Programme, die nur unter Vista laufen, haben bislang Seltenheitswert. Nach Einschätzung des Marktforschungsunternehmens Gartner werden jedoch die meisten Softwarefirmen bereits ab 2010 ihre Anwendungen nicht mehr auf Windows XP unterstützen.

Von Microsoft selbst gibt es inzwischen zwei Tools, die Vista SP1 voraussetzen, nämlich die Remote Server Administration Tools (RSAT), die zur Verwaltung von Windows Server 2008 benötigt werden, und die Remote-Version des Hyper-V-Manager, der für die Fernverwaltung von Microsofts neuer Server-Virtualisierungslösung dient. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass Microsoft in naher Zukunft Applikationen für Endanwender nur noch für Vista anbieten wird, doch zeigen diese Beispiele, dass Vista nun in Redmond Priorität hat.

Drittanbieter werden sicher zunächst nur dann auf eine Version für Windows XP verzichten, wenn spezielle Vista-Fähigkeiten wie die Sidebar, Aero oder DirectX 10 Voraussetzung sind. Doch arbeitet auch hier die Zeit für Vista. Während man heute noch bei älteren Anwendungen bangen muss, ob sie unter Vista laufen, muss man sich eventuell diese Frage bei neueren Programmen schon bald für Windows XP stellen.

Vista kann man überspringen und auf Windows 7 gehen

In seinem Duell der Windows-Versionen behauptet Kennedy, dass Vista für Microsoft zum Flop wird. Während der PC-Markt zweistellig wächst, musste Microsoft für das letzte Quartal sogar einen Rückgang der Windows-Client-Verkaufszahlen um 24 Prozent melden. Wenn man allerdings einen Zeitraum von neun Monaten berücksichtigt, kommt man zu einem anderen Ergebnis. Denn danach konnte Microsofts Client-Sparte um zwölf Prozent zulegen.

Inwieweit diese Zahlen überhaupt etwas über die Akzeptanz von Vista aussagen können, ist ohnehin fraglich, denn viele Unternehmen, die über Vista-Lizenzen verfügen, bevorzugen Windows XP. Allerdings ist es ein Fehler, daraus zu folgern, Vista sei für Microsoft ein Fehlschlag. Sehr viel aussagekräftiger ist, wie sich Vista im Vergleich zu seinem Vorgänger schlägt. Wenn man Gartners jüngsten Zahlen glaubt, dann verbreitet sich Vista sogar schneller als seinerzeit Windows XP nach dessen Debüt.

Unabhängig von den Marktzahlen lohnt sich das Warten auf die nächste Version nicht. Windows 7 wird die Probleme, die man heute mit Vista hat, nicht lösen. Schon Service Pack 1 (SP1) konnte Vistas Ressourcenbedarf nicht reduzieren und hat zusätzliche Kompatibilitätsprobleme verursacht. Inwieweit Windows 7 neue Features bringen wird, die für einen Umstieg sprechen, ist zum jetzigen Zeitpunkt vollkommen unklar. Fraglich ist auch, ob der zugesagte Auslieferungstermin Januar 2010 eingehalten wird.

Ferner sollte man bedenken, dass sich durch das Überspringen einer Betriebssystem-Generation in den seltensten Fällen Kosten einsparen lassen. Zu diesem Urteil kam auch Gartner. Die Hauptkosten dürften im Falle von Vista für Schulungen und die Umstiegsvorbereitungen anfallen. Da Windows 7 auf Vista aufbauen wird, verschiebt man diese Kosten also lediglich auf einen späteren Zeitpunkt. Die Systemverwaltung muss sich dann mit den Problemen von zwei Betriebssystem-Generationen herumschlagen, was den Zeitdruck und damit die Fehleranfälligkeit erhöht. Hinzu kommen die Kosten, die man sich mit Kompatibilitätsproblemen unter Windows XP einhandelt, sobald Dritthersteller vom alten Windows abrücken. (ws)

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