Satellitenkommunikation konkurriert mit terrestrischen Verbindungen

Die europäischen VSAT-Träume müssen den Realitäten weichen

12.06.1992

Trotz des Booms vergangener Jahre gehen die Anbieter von VSAT-Diensten (Very Small Aperture Terminals) schlechten Zeiten entgegen. Jürgen Posecker* prognostiziert für die nächsten Jahre deshalb einen harten Verdrängungswettbewerb. Dennoch hat VSAT nach Auffassung des Autors weiterhin gute Marktchancen: entweder wie bisher als Übergangslösung für noch nicht vorhandene terrestrische Infrastrukturen oder als Nischenprodukt.

In letzter Zeit häufen sich die Publikationen und Anzeigen, in denen der VSAT-Dienst beschrieben oder zumindest angepriesen wird. Einer der Gründe hierfür ist, daß der Begriff VSAT nicht eindeutig abgegrenzt ist. Hier wird eine Vielzahl von Applikationen angeführt, die zunächst nur eines miteinander verbindet: die Benutzung des Mediums Satellit. Auch die wörtliche Übersetzung von VSAT verschleiert mehr, als daß sie zur Klärung beiträgt.

Legt man den englischen Originaltitel zugrunde, handelt es sich bei VSAT um "Antennen mit sehr kleinem Durchmesser". Ohne Zweifel sind Antennen von 1,2 bis 2,4 Meter Durchmesser - gemessen an großen Erdfunkstellen mit einem Durchmesser von 15 Metern - als klein zu bezeichnen, sie aber als sehr klein zu titulieren, ist nicht korrekt. Daher führt diese Bezeichnung zunächst in eine völlig falsche Richtung; mit den wirklich sehr kleinen TV-Antennen (45 oder 60 Zentimeter Durchmesser) hat VSAT absolut nichts zu tun.

Der VSAT-Dienst, so wie er sich technisch darstellt und von verschiedenen Anbietern präsentiert wird, umfaßt ein breites Spektrum. In der Regel befindet sich bei allen Applikationen eine VSAT-Station unmittelbar auf dem Grundstück des Anwenders und garantiert dadurch die Unabhängigkeit von den terrestrischen Netzen. So wird etwa bei Datentransfers (beim Shared-Hub-Betrieb) der Host-Computer über eine Zubringerleitung mit der Hub-Station verbunden. Darüber hinaus kann der VSAT-Benutzer aber auch einen dedicated Hub nebst zugehöriger Stationen selbst installieren - sofern er dafür eine Lizenz besitzt.

Schwerpunkt liegt auf Datenaustausch

Generell sind VSAT-Anwendungen für alle Kommunikationsarten geeignet, der Schwerpunkt liegt jedoch beim Datenaustausch. Hier gibt es zum einen das Feld der One-Way-Anwendungen - Verteildienste, die einseitig von einer Zentrale hin zu vielen Außenstellen (Point-to-Multipoint) ausgerichtet sind. Die Aussendung erfolgt dabei entweder an alle Außenstellen oder selektiv. Transportiert werden Daten mit beliebigen Bit-Raten (zum Beispiel 9,6 Kbit/s) oder breitbandige Anwendungen wie Videobilder (Business-TV). Bei Sammeldiensten hingegen gelangen die Informationen (ebenfalls Daten oder Videobilder) von den Außenstellen zu einer Zentrale.

Bei Two-Way-Diensten werden die Informationen nach dem "Point-to-Multipoint"-Prinzip übertragen. Dieser Dienst heißt auch interaktiver VSAT-Dienst und stellt die am weitesten verbreitete Anwendungsform dar. Werden feste Verbindungen über Satelliten im Point-to-Point-Mode realisiert, handelt es sich um eine Substitution von terrestrischen Übertragungswegen - sei es, weil diese nicht verfügbar sind oder weil die VSAT-Alternative einfach billiger als eine entsprechend lange terrestrische Mietleitung ist.

Die Stärken des VSAT-Dienstes liegen in der Regel dort, wo keine terrestrische Infrastruktur vorhanden ist, weil sich entlegene Außenstellen unmittelbar durch die Installation von Antennen anbinden lassen. So war es beispielsweise der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank in München möglich, pünktlich zur Währungsreform am 1. Juli 1990 die ostdeutschen Filialen an das eigene 64-Kbit/s-Datennetz anzuschließen.

Bis zum heutigen Tag kann der VSAT-Dienst - insbesondere aufgrund der speziellen Situation in Ostdeutschland - einen kräftigen Boom verzeichnen. Die Telekom unterhält derzeit ein System mit vier Outroutes, was einer Kapazität von 4x 512 Kbit/s entspricht. Heute sind rund 800 Stationen am interaktiven VSAT-Dienst der Telekom angebunden und etwa 250 "Receive-Only-Stationen" installiert. Darüber hinaus steht für Point-to-Point-Kanäle eine Kapazität von rund 14 Mbit/s bereit.

Diese Entwicklung wird jedoch - wiederum bezogen auf Ostdeutschland - nicht weiter ungebremst verlaufen. Grund: Die Telekom macht sich durch den großflächigen Aufbau eines terrestrischen Netzes in den neuen Bundesländern gewissermaßen selbst Konkurrenz. Dadurch werden die Anwender zunehmend in die Lage versetzt, die zum Teil günstigeren terrestrischen und durch die Tarifreform auch attraktiver werdenden DFÜ-Leitungen der Telekom zu nutzen. Dies wird die VSAT-Entwicklung zwar nicht stoppen, ohne Zweifel aber verlangsamen.

Kunden, die über entsprechende Stationen in Ostdeutschland verfügen, werden im Einzelfall im Rahmen ihrer VSAT-Verträge zu Außenstellen wandern, die vom terrestrischen Netz noch nicht erschlossen sind. Dies gilt für Ostdeutschland ebenso wie für West- oder Osteuropa. Speziell in Osteuropa könnte die VSAT-Entwicklung jedoch erst richtig in Fahrt kommen, da dort ähnliche Verhältnisse wie vor zwei oder drei Jahren in Ostdeutschland anzutreffen sind.

Ähnlichkeiten zu Ostdeutschland bestehen deshalb, weil der Bedarf in Osteuropa zwar groß ist, die finanziellen Ressourcen im Regelfall jedoch kleiner sind. In Westeuropa hingegen wird die VSAT-Entwicklung von der weiteren Tarifgestaltung für die terrestrischen Kommunikationswege abhängen, und hier zeigt die Tendenz - nicht zuletzt aufgrund der EG-weiten Liberalisierung - nach unten.

Dies gilt natürlich für die Bundesrepublik genauso. Auch hier dürfte das Telekom-DFÜ-Angebot auf terrestrischer Basis in Verbindung mit anwenderfreundlicheren Tarifen die Vermarktung von VSAT-Dienstleistungen zunehmend erschweren. Bei der Telekom geht man jedoch davon aus, daß die Anwender neben dem Preis auch die Funktionalität eines Dienstes als Kriterium für eine Bewertung heranziehen und zwischen den Vor- und Nachteilen der verschiedenen Medien abwägen.

Terrestrische Netze können billiger sein

Die Telekom als internationaler und nationaler Anbieter kann ein optimiertes Netz, in das auch der VSAT-Dienst integriert ist, planen und bereitstellen. Dadurch ist eine kundenbezogene Beratung und eine im Einzelfall optimale Kombination terrestrischer und orbitaler Medien gewährleistet. Allerdings gilt dabei, daß ein VSAT-Netz nicht generell und für alle Anwendungen günstiger als ein terrestrisches Netz ist, sondern es muß sich auch in die DV-Landschaft des Kunden integrieren lassen. Die Telekom bietet hier eine "One face to the customer"-Beratung.

Dieses Prinzip eines einheitlichen Ansprechpartners stellt in ganz Europa "One Stop Shopping" und "Single End Billing" sicher. Konkret bedeutet dies, daß beispielsweise der deutsche Anwender nur einen Ansprechpartner hat, der für ihn in ganz Europa sein VSAT-Netz wenn gewünscht, in Kombination mit dem terrestrischen Netz - plant, realisiert, betreibt und abrechnet.

VSAT ist darüber hinaus nicht nur beim Einsatz auf unversorgten Grundstücken, sondern auch in puncto Schnittstellen flexibel. Derzeit stehen drei Protokollfamilien zur Verfügung: HDLC, SNA-SDLC und X.25. Weitere Protokollanbindungen können auf Wunsch realisiert werden. Dies gilt auch für transparente Übertragungsformen. Da die Telekom bei der Planung und Implementierung des VSAT-Dienstes auf Kapazitäten des Eutelsat-Satelliten (F I 7 Grad Ost) zurückgreifen konnte, ist sie aufgrund eines ausgeprägten "Foot-Print" (Ausleuchtzone) von Eutelsat - speziell für Osteuropa - technisch in der Lage, eine Datenkommunikation von Lissabon bis weit hinter Moskau zu gewährleisten.

Neben der Datenübertragung kann der VSAT-Dienst auch zur Sprachübermittlung eingesetzt werden - dies nicht nur im Bereich "Privater Kommunikation", sondern auch in Kombination mit dem öffentlichen (ISDN)-Telefonnetz. Zu den Möglichkeiten einer interaktiven Datenübertragung (Point-to-Multipoint) sind darüber hinaus auch Point-to-Point-VSAT-Datenübertragungswege (FVSAT) mit 64 Kbit/s oder wahlweise 128 Kbit/s verfügbar.

Dabei ist zu betonen: Bei der Realisierung der VSAT-Dienste agiert die Telekom nicht als Monopolist, sondern als Wettbewerber in einem in Deutschland) liberalisierten Markt. Dieser Markt wird zukünftig sehr hart umkämpft sein. Außer Andorra, Liechtenstein, Monaco, San Marino und dem Vatikan haben die Fernmeldeverwaltungen aller westeuropäischen Länder mittlerweile ihre eigene, zentrale Erdfunkstelle (Shared-Hub-Station). Sowohl die "regulierten" als auch die "deregulierten" Staaten bieten VSAT an.

Es drängt sich nun die Frage auf: Wer wird im VSAT-Geschäft überleben? Die Antwort ist sicherlich leicht zu finden - wahrscheinlich nicht alle. Man braucht sich in diesem Zusammenhang nur die Entwicklung in den USA zu vergegenwärtigen. Eine Menge an Unsicherheitsfaktoren also für potentielle VSAT-Nutzer, die den Satellitendienst nicht nur als Überbrückungslösung, sondern längerfristig betreiben wollen.

Aber der Wettbewerb wird nicht nur von den Akteuren beeinflußt. Das Szenario heißt auch "VSAT gegen terrestrisches Netz". Langfristig gesehen, hat VSAT es mit vielen terrestrischen Konkurrenten zu tun: Datex-P und Datex-L, ISDN, Mietleitungen, Glasfaser-Verkabelung etc. Bereits jetzt ist der Trend feststellbar - weg vom Satellit, hin zur Glasfaser.

Günstigere Laufzeiten können nur ohne Satellit erreicht werden. Der wesentliche Vorteil von VSAT bleibt, eine für wenige, spezifische Anwendungen preiswerte Alternative zu sein. Wenn kein terrestrisches Netz vorhanden ist, stellt VSAT zunächst die einzig mögliche Lösung auf Zeit dar. In spätestens fünf Jahren wird zu prüfen sein, was von den VSAT-Träumereien in Europa übrigblieb, wer letztlich ein Träumer war und nun ausgeträumt hat und wem es erlaubt ist, gegebenenfalls weiterzuträumen.

In diesem Zusammenhang wird von den Mitbewerbern der Telekom immer wieder behauptet, das deutsche Postunternehmen zöge Vorteile aus seiner Monopolstellung in anderen Bereichen. Etwa dahingehend, daß die Telekom durch ein hohes Maß an internen Lieferungen keine Lizenzgebühren entrichten muß und daraus ungerechtfertigte Vorteile ziehe sowie nicht mit reellen Preisen auf dem Markt agiere.

Richtig ist, daß der Wettbewerber Telekom froh wäre, sich wie ein richtiger Wettbewerber verhalten zu dürfen. Schließlich war es nicht die Telekom, die die Fernmeldegesetze so verabschiedet hat oder die die "Ablieferung an den Bund" erfunden hat. Leider ist es der Telekom bis heute verwehrt, eigene Tochterfirmen zu gründen, die von der Mutter gewinnsparend über das Finanzamt "alimentiert" werden könnten. An dieser Situation wird sich erst etwas ändern, wenn die Jahre der "Ablieferung an den Bund" vorbei sind und die Telekom ihre Tarife endlich auch für die Mitbewerber transparent gestalten kann.

*Dipl.-Ingenieur Jürgen Posecker ist Product Manager VSAT-Dienst bei der Generaldirektion Telekom, Bonn.