Die Entwicklung muss viel professioneller werden

02.03.2012
Was in der Infrastruktur gang und gäbe ist, lässt im Development auf sich warten.

Obwohl seit Jahrzehnten propagiert, ist das Engineering-Prinzip immer noch nicht in der IT angekommen. Der das sagt, muss es wissen: Rainer Janßen, CIO der Münchener Rück, ist einer der erfahrensten deutschen IT-Chefs.

Janßens Vortrag auf den diesjährigen Hamburger IT-Strategietagen trug die Überschrift: "SOA für die IT - oder warum wir unsere bittere Medizin auch selbst schlucken müssen". Sein Thema war die Industrialisierung, oder besser: Professionalisierung, der IT-Bereiche. Und er sorgte für Diskussionen in den Kaffeepausen.

Infrastruktur ist einfacher

Nun kann niemand behaupten, die IT befinde sich noch im vorindus-triellen Zeitalter. Teilweise ist sie auf dem Weg zur Vereinfachung von Prozessen und Strukturen recht weit vorangeschritten. Allerdings gilt das vor allem für Infrastrukturen (Stichwort: Virtualisierung), weniger für die Anwendungsentwicklung. "Infrastruktur ist einfacher", konstatierte Janßen. Schon die Begriffe seien dort viel leichter zu kategorisieren.

Die Anwendungsentwicklung hingegen falle immer noch in die Rubrik "Kunsthandwerk", so der CIO der Munich RE. Beispielsweise grassiere dort häufig das NIH-Syndrom, kurz für: "not invented here". Anstatt auf dem aufzubauen, was andere Entwickler bereits geschaffen haben, tendierten die Development-Bereiche nach wie vor dazu, jede Codezeile neu erstellen zu wollen.

Aufbauer und Kaputtmacher

Janßen plädierte dafür, das SOA-Prinzip (Service-oriented Architecture) in die Anwendungsentwicklung einzuführen: Die Entwicklung sollte nicht mehr nach Kunden, also Teilunternehmen oder Fachbereichen, aufgeteilt sein, sondern nach Services organisiert werden. Beispielsweise sei es Unfug, für jede Applikation ein eigenes Testing aufzubauen, wenn man die Funktion "Softwaretest" auch als übergreifenden Service installieren könne.

Das biete sich schon deshalb an, weil Entwickler und Tester völlig unterschiedliche Menschentypen seien, fügte Janßen an: Entwickler hätten Freude daran, etwas aufzubauen, Tester hingegen fänden Befriedigung im Kaputtmachen. "Wir sollten die Mitarbeiter in ihren jeweiligen Rollen schärfen und entsprechend einsetzen", so die Schlussfolgerung des CIO. In diesem Zusammenhang schickte er auch eine Spitze in Richtung der IT-Spezialisten, die nach eigenen Bekunden so gern einmal ein Entwicklungsprojekt als "ganzheitlichen Zyklus" erleben würden - von der Anforderungsanalyse über Development und Testing bis zum Betrieb und der System-pflege. "Ein guter Architekt sollte schon mal einem Maurer zugesehen haben, aber er muss nicht selbst mauern", so Janßens Plädoyer für die Arbeitsteilung in der IT.

Aus Sicht des CIO wird den Unternehmen nichts anderes übrig bleiben, als ihre Anwendungsentwicklung zu professionalisieren - schon aus Gründen des demografischen Wandels: "In zehn Jahren bekommen wir in Deutschland gar nicht mehr die Ressourcen, um auf die alte Art zu arbeiten", prophezeit er.

Die Alternative ist eine - zumindest teilweise - Auslagerung der Entwicklung. Doch gerade die erfordere es, Struktur und Abläufe komplett umzustellen, warnt Janßen.

Aufräumen vor dem Auslagern

Die Unternehmen müssten lernen, Software prozess- und Service-orientiert zu erstellen, um externe Ressourcen nutzen zu können, so Janßen. Das Ziel seien "Produktionsstraßen" in der Softwareentwicklung. Ansons-ten laufe ein Outsourcing nur darauf hin-aus, das Chaos auszulagern. Der erste Schritt bestehe darin, den Gesamtprozess in Blöcke zu zerschneiden. Parallel dazu sollten die IT-Verantwortlichen auf eine Standardisierung der eingesetzten Methoden und Werkzeuge achten. "Wir können applikationsübergreifend sourcen", empfiehlt Janßen. "Die verwendeten Entwicklerwerkzeuge und Techniken sind über alle Applikationen hinweg gleich."

Langwierig, aber notwendig

Wie Janßen einräumt, ist jede Umstellung in der IT ein langwieriger Prozess: "Und deshalb fasst ein CIO sie nicht gern an." Umso weniger, als die "Legislaturperiode" eines CIO im Duchschnitt weniger als vier Jahre betrage: "Da mache ich doch keine Krankenversicherungsreform, die zahlt sich bis zur Wiederwahl kaum aus." Dass ein guter CIO diese Aufgabe trotzdem anpacke, steht für Janßen allerdings außer Frage.

von Karin Quack