OS2 CONTRA UNIX

Die Entscheidung fällt im Bereich der verteilten DV

23.02.1990

Kann Unix den Erfolg von OS/2 gefährden? - Diese Frage hat sich der SAA-Anhänger Charles Brett* gestellt. Seine Analyse - kurz vor der AIX

Präsentation von IBM - lautet: Nur wenn OS/2 das Problem der verteilten

Datenverarbeitung in den Griff bekommt, kann es den Wettlauf gegen Unix gewinnen. Falls das nicht gelingt, sieht er das gesamte SAA-Konzept gefährdet.

*Charles Brett ist President der C&B Consulting Ltd. Außerdem steht er dem International Advisory Board von "SAA Spectrum" vor, das eine gleichnamige Zeitschrift herausgibt, die bei der Softcon GmbH, München, erhältlich ist.

OS/2 ist IBMs Schlüsselsystem für Workstations, die in der Systems Applications Architecture (SAA) eingebunden werden. Ursprünglich handelte es sich dabei um die OS/2 Extended Edition (OS/2 EE); neuere Entwicklungen von Microsoft und IBM haben jedoch dazu geführt, daß aus der erweiterten Version der Datenmanager und der Kommunikationsmanager eigenständige Module wurden.

Damit kann OS/2 jetzt als allgemeine Plattform für SAA-Workstations gelten. Allerdings werden Großanwender, die Wert auf eine optimale Kooperation zwischen Host und Workstation legen, weiterhin mit OS/2 EE arbeiten, da diese Version die erforderlichen Funktionen für die verteilte Verarbeitung bietet.

Die Bedeutung des Datenmanagers darf nicht unterschätzt werden, da es sich hier um ein Derivat von DB2 handelt und somit die Basis für die relationale Datenbank darstellt, die im Nachfolger von RT/PC integriert sein wird (sobald dieser auf den Markt kommt). Damit stellt sich die Frage, was eine SAA- Workstation ist und ob OS/2 von Unix als Plattform für Workstations irgendetwas zu befürchten hat.

Es hat bisher - vor allem seitens der Hard- und Softwarehersteller - viel Aufregung um Unix gegeben. Trotzdem engagieren sich in Europa, verglichen mit dem Gesamtmarkt, nur relativ wenige Großanwender für Unix. Es scheint, als hätten nur Behörden die Geduld und Bereitschaft, auf Unix-System zu warten, die alle ihre Anforderungen erfüllen.

Auf dieser Basis hätte IBM wenig von Unix zu befürchten. Aber Unix, sei es als AT&T-Unix oder in der Version, die von der Open Software Foundation akzeptiert wurde, bereitet der IBM dennoch Kopfzerbrechen. Im Bereich der Workstations scheint der Mainframe-Riese am verwundbarsten zu sein - mit der Folge, daß SAA selbst angreifbar werden könnte.

Unix-Betriebssystem versus SAA-Konzept

Bereits im Herbst 1989 hat die IBM eine Untersuchung durchgeführt, um ihre und die Position des SAA-Projekts gegenüber Unix zu bestimmen. Ein Ergebnis ist noch nicht veröffentlicht worden. Allerdings wird erwartet, daß der RT/PC-Nachfolger ("RIOS") Anfang 1990 dieses Rätsel lösen wird.

Mit der Systems Application Architecture hat IBM eine ganz andere Richtung als in der Vergangenheit eingeschlagen. SAA hat das Ziel, verschiedene Umgebungen zu integrieren. Verschiedene Plattformen sollen so zusammenarbeiten, daß für den Kunden Lösungen realisiert werden können. Die Betonung liegt hierbei laut IBM auf dem Begriff "Lösung".

Vergleichen wir diesen Ansatz einmal mit dem Betriebssystem Unix. Es verfügt über zahlreiche einzelne Systemelemente, die auch von Drittanbietern offeriert werden. Diese zusätzlichen Systemelemente sind aber nicht durchgängig verfügbar, eben weil sie von so vielen verschiedenen Anbietern stammen. Dies wird in der Abbildung 2 deutlich, wo man nicht nur drei verschiedene "Präsentations-Methoden" (Benutzeroberflächen) sieht, sondern auch die Unfähigkeit von Unix, all das zu bieten, was SAA kann.

Während einzelne Aspekte von Unix zweifellos dem IBM-Gegenstück überlegen sind, steht der Anwender vor dem Problem, daß eine durchgängige Interaktion der Anwendungssoftware noch nicht möglich ist. Mit anderen Worten, bei Unix steht der Anwender vor folgender Situation:

- Mit Unix kauft er ein Basissystem.

- Aus diesem Basissystem kann er die benötigten Elemente heraussuchen und zusammenstellen.

- Dann beginnt er mit der eigentlichen Arbeit, die Interaktion dieser Elemente zu verwirklichen.

- Erst, wenn all das getan ist, kann der Entwickler anfangen, Anwendungen und Lösungen zu realisieren.

Im Gegensatz dazu verspricht SAA echte Durchgängigkeit. Mit SAA kauft der Anwender eine Lösung - nicht zuletzt auch aufgrund der bereits auf den verschiedenen SAA-Plattformen verfügbaren und bewährten Software - , die nach der Zielsetzung eben auf andere SAA-Plattformen portiert werden kann.

Meiner Ansicht nach läßt IBM dem Anwender die Wahl, da Unix auch über die AIX-Produkte angeboten wird.

- Wenn er Unix haben will, dann wird sich IBM nicht weigern, ihm AIX zu liefern.

- Wenn er ein System sucht, aber alle Probleme vermeiden will, die mit der Auswahl und Interaktion der einzelnen Komponenten zusammenhängen, dann wird IBM ihm SAA vorschlagen. Damit muß sich IBM um die Integration auf den verschiedenen Systemebenen kümmern.

- Wenn er eine Lösung sucht, dann wird die Empfehlung in Richtung SAA-Anwendung gehen, die auf mehreren SAA-Plattformen läuft.

IBM ist also in der Lage, sowohl im SAA- wie im Unix-Marktsegment aktiv zu sein. Dabei wird der Löwenanteil der Umsätze im Bereich der Mehrwertdienste gemacht werden. Und genau hier sollen die Vorteile von SAA gegenüber AIX/Unix liegen. Einen DV-Prozeß jedoch unnötig komplex zu gestalten, vernichtet Mehrwert, anstatt ihn zu schaffen.

In diesem Sinne scheint IBMs Position vernünftig und IBM müßte sich eigentlich keine Sorgen über den Unix-Trend machen. Unix ist hier ein Parallelprodukt, das keine unmittelbare Aufmerksamkeit erfordert, zumal SAA die Marktführerschaft von IBM in der kommerziellen Datenverarbeitung weiter ausbauen wird.

Es gibt allerdings einen Bereich, in dem IBM allen Grund hat, Unix zu fürchten, nämlich bei den intelligenten Workstations. In den 80er Jahren haben

die Anwender ihre Aufgaben mit Hilfe des PCs erledigt. Die 90er erfordern jedoch ein komplexeres Werkzeug. Für Multitasking und verteilte Verarbeitung ist DOS keine Lösung mehr. Die Zukunft gehört der intelligenten Workstation.

IBMs strategisches Produkt im Bereich der intelligenten Workstations ist PS/2 mit dem Betriebssystem OS/2. OS/2 stellt dieser intelligenten Workstation alle Verbindungen und Datenbankelemente zur Verfügung, mit denen verteilte Datenverarbeitung und Multitasking realisiert werden können. Der Presentation Manager soll darüber hinaus eine benutzerfreundliche Bedienung ermöglichen.

Aber auch Unix kann so konfiguriert werden, daß es dieselbe Funktionalität bietet. Dabei sind die funktionalen Unterschiede zwischen PS/2 und vergleichbarer Hardware anderer Hersteller wie Compaq oder Dell nur gering. Die Hauptfrage lautet daher: Wer kann sich in diesem Bereich als Marktführer etablieren?

Mit der Einführung von OS/2 vor drei Jahren hoffte IBM, die nächste Runde der PC-Datenverarbeitung einläuten zu können und langfristig PC-DOS/MS-DOS durch OS/2 zu ersetzen. Das Ergebnis indes kann bislang nicht überzeugen. Noch fehlen die Anwendungen für dieses Betriebssystem. Dies liegt zum großen Teil daran, daß die grafischen Benutzeroberflächen immer komplexer werden und Entwickler, die in der Vergangenheit mit zeichenorientierten Oberflächen gearbeitet haben, nun in der Anwendungsentwicklung umdenken müssen.

IBM: Sorgen durch ständige Verzögerungen

Verstärkt wurden IBMs Sorgen noch durch die ständigen Verzögerungen von OS/2. Das Ergebnis war, daß für den professionellen Anwender - vom Preis einmal abgesehen - praktisch kaum ein Unterschied zwischen PC-DOS und OS/2 sichtbar wurde. Die Standardsoftware wurde weiterhin für PC-DOS geschrieben, während Produkte, die die Multitasking-Möglichkeiten nutzten konnten, auf sich warten ließen, solange der Presentation Manager nicht verfügbar war. Der Einsatz des 16Bit-OS/2 (OS/2 1.n) ist immer noch problematisch.

Trotzdem stellt OS/2 einen völlig neuen Ansatz dar, der allerdings auf die geeigneten Werkzeuge wartet - insbesondere auf die 32-Bit-Adressierung in der Grafikverarbeitung. Bis die ersten Standardsoftwarelösungen auf den Markt kamen, war OS/2 mehr eine Imagination als eine umsetzbare Wirklichkeit.

Unix und OS/2 im gleichen Boot

Man kann Unix vorhalten daß es nur wenig besser dasteht als OS/2. Der Unix-Welt fehlen Massenmarkt und billige Softwarelösungen, wie sie unter DOS realisiert wurden. Unix Anwendungsentwickler neigen dazu, in Nischen-Umgebungen zu arbeiten, in denen entweder teure Software für große Mehrplatzsysteme oder hochkomplexe Workstations wie CAD- und Engineering-Systeme produziert werden.

Unix hat ebenfalls darunter gelitten, daß es im Ruf steht, ein schwer zu beherrschendes Spielzeug für Techniker zu sein - ein Ruf, der sich hartnäckig hält. Bislang haben auch die zahlreichen und teilweise inkompatiblen Unix-Derivate dazu beigetragen, die Befürchtungen vor einer nicht durchgängigen Umgebung zu schüren. Diese Furcht konnten auch Standardprodukte wie Posix nicht zerstreuen. Für DV-Abteilungen ist Unix somit als kommerzielle Verarbeitungs-Plattform nur wenig attraktiv.

Trotzdem sind viele der Unix-Leistungsmerkmale, wie die Entwicklung in C, Multitasking, Fenstertechnik, Grafikverarbeitung, den meisten Unix-Entwicklern vertraut. Auf den ersten Blick scheint Unix optimal positioniert, um die Führungsrolle im Bereich der Workstations für die 90er Jahre zu übernehmen. Dabei gibt es keinen echten Herausforderer - zumindest nicht, bis der Presentation Manager verfügbar ist.

Nun ließe sich argumentieren, daß der Presentation Manager doch noch trotz aller Anlaufschwierigkeiten die Hoffnungen der Unix-Anhänger zunichte machen könnte. So hat er die Unix-Welt dazu provoziert eine grafische Benutzeroberfläche zu entwickeln, die es bis dahin nicht gab. Unglücklicherweise wurden aber nicht nur eine, sondern gleich drei entwickelt. Dies hat natürlich die ansonsten hervorragenden Chancen von Unix beeinträchtigt, sich in der Zukunft als Standard für intelligente Workstations durchzusetzen.

Derzeit findet ein Rennen zwischen OS/2 und Unix statt, bei dem es sowohl um das Prestige als auch um die Verfügbarkeit von Produkten geht. Dieser Wettlauf wird von einer emotionsgeladenen Kampagne um die Marktführerschaft im Bereich der intelligenten Workstations der 90er Jahre begleitet.

Auf den ersten Blick braucht sich IBM keine Sorgen zu machen. Wenn sich OS/2 durchsetzt, dann läuft alles wie geplant. Wenn sich Unix durchsetzt, dann stehen IBM die AIX-Workstations ebenso zur Verfügung wie die PS/2-Rechner, auf der alle Unix-Anwendungen laufen.

Allerdings würde ein Unix-Erfolg großen Schaden für das SAA-Konzept bedeuten. In diesem Falle müßte IBM einen großen Teil der SAA-Elemente auf AIX portieren. Dies würde nicht nur weitere Verzögerungen verursachen, sondern auch knappe IBM-Ressourcen verbrauchen. Damit könnte IBM das Rennen verlieren.

Das "Schlimmste" wäre, daß viele der Hauptleistungsmerkmale von SAA für einen Markt "offen" würden, der offener wäre, als es für den Kunden gut ist. Für IBM könnte dann eine Situation entstehen in der das Unternehmen seine Softwareumsätze verliert und damit die alleinige Kontrolle über ihr Geschäftsverhalten.

Daher ist der Erfolg von OS/2 für IBM lebenswichtig. Eine wesentliche Bedingung zur Durchsetzung von OS/2 liegt in der Entwicklung kostengünstiger Software - ein Konzept, das sich bei DOS bewährt hat. Hier waren IBM und Microsoft meines Erachtens relativ erfolgreich, da den Softwarehäusern vermittelt werden konnte, daß OS/2 eine Weiterentwicklung und keine Abkehr von DOS ist.

Wenn OS/2 teuer - dann AIX noch teurer

Obwohl 1989 ein schlechtes Jahr für OS/2-Anwendungen war, gibt es inzwischen zirka 200 erfolgreiche Standard DOS-Anwendungen für OS/2 und es werden jeden Monat mehr. Anwendungen wie Lotus 1-2-3, Pagemaker, Excel, Word, Ventura und Paradox stehen dabei auf dem Programm. Ich erwarte, daß sich OS/2 in diesem Jahr als Alternative zu DOS durchsetzen wird - eine Alternative allerdings mit Multitasking Fähigkeiten und einer Standard SAA-Schnittstelle.

Die zweite Bedingung für einen OS/2-Erfolg ist die dezentrale Verarbeitung. IBM hat die Aufgabe, diese Technologie auf allen SAA-Plattformen verfügbar zu machen. In großen, kleinen und kommerziellen Umgebungen ermöglicht die dezentrale Verarbeitung die volle Ausnutzung der SAA-Vorteile. Ohne sie werden viele Möglichkeiten und Teile der Flexibilität von SAA wertlos - sowohl für das Management wie für die Systeme.

Last, not least spielen für Anwender die Kosten eine zentrale Rolle. Wenn OS/2 - wie so häufig - für teuer gehalten wird, dann muß AIX/Unix als noch teurer eingestuft werden. Das gilt insbesondere dann, wenn man die Kosten für eine Konfiguration des AIX/Unix-Systems einrechnet, die es mit OS/2 EE vergleichbar macht (Betriebssystem, relationale Datenbank und Kommunikation für die dezentrale Verarbeitung). Falls Unix nicht das Rennen um die Front-end-Anwendungen gewinnt, kommen hier einige Aufwendungen auf die DV-Abteilungen zu. IBM und Microsoft werden alles daran setzen, um mit OS/2 Oberwasser zu behalten.

IBM hat einigen Grund sich vor Unix zu fürchten

Kann IBM die dezentrale Verarbeitung realisieren, dann läßt sich vorhersagen, daß IBM OS/2 an Unix vorbei als das nächste Betriebssystem für Workstations etablieren kann. Der kritische Faktor dabei ist, daß der Großteil der PS/2-Maschinen an große Unternehmen verkauft wurde, die bereits über IBM-Systeme verfügen. Der Vertrieb an solche Großunternehmen ist für IBM und Softwarehäuser interessanter als das Einzelgeschäft da hier die Vertriebszahlen in Hunderten von Einheiten berechnet werden. Diese Unternehmen wollen nämlich derzeit noch kein Unix. Wenn OS/2 als Weiterentwicklung betrachtet wird und Unix als eine fundamentale Veränderung, dann werden die künftigen Verkaufszahlen die SAA-Workstation als Standard etablieren. Schafft IBM es aber nicht, dezentrale Verarbeitung auf intelligenten Workstations anzubieten, dann kann AlX/Unix in die OS/2-Fußstapfen treten.

IBM hat also einigen Grund, sich vor Unix zu fürchten. Die Bedrohung bezieht sich allerdings mehr auf den Bereich der intelligenten Workstations als auf IBMs traditionellen Märkte für Mainframes und professionelle Minicomputer. Doch AIX/ Unix kann noch nicht als die pragmatische Lösung bezeichnet werden, die für OS/2 eine Herausforderung darzustellen vermag.

Der Gewinner wird sich im Lauf dieses Jahres herausstellen. Zum ersten Mal seit seiner Ankündigung sieht es so aus, als ob die vergleichsweise einfache Struktur von OS/2 die unnötige und teure Komplexität auf Workstation-Ebene von Unix besiegen könnte. Wenn OS/2 das schafft, dann hat IBM den Kampf am unteren Ende des SAA-Designs gewonnen. +