Die Entdeckung der Freiberufler

19.04.2001

Seit Anfang 1999 untersuchen das DGB Bildungswerk NRW und das landeseigene Institut Arbeit und Technik (IAT) die Arbeits- und Lebenssituation von Gründern in der New Economy. 205 Selbständige hatten sich dabei an einer Online-Befragung es IAT beteiligt, die meisten von ihnen Informatiker, Ingenieure und Web-Designer.

Wichtigste Erkenntnis: Das Bild von den "Wirtschaftswunderkindern", die direkt von der Schulbank oder aus dem Hörsaal heraus ihre Firma gründen, stimmt nicht. Die Meisten der Gründer hatten vor dem Startup langjährige Berufserfahrung als Angestellter, oft in leitender Funktion. Drei Viertel der Befragten sind zwischen 30 und 50 Jahre alt, ebenso viele leben in einer festen Partnerschaft, davon 38 Prozent mit Kindern. "Die Erwartung, der ,Single´ sei die vorherrschende Lebensform der neuen Selbständigen, bestätigt sich ebenfalls nicht," so Achim Vanselow (36), wissenschaftlicher Mitarbeiter beim IAT.

An anderer Stelle decken sich Ergebnisse schon eher mit dem Klischee: Die Verdienstmöglichkeiten beurteilen die Befragten überwiegend positiv, und 80 Prozent von ihnen zeigten sich mit ihrer Selbständigkeit zufrieden. Nur drei von 205 wünschen sich, wieder als Angestellter tätig zu sein. Problematisch findet die Hälfte von ihnen die langen Arbeitszeiten. Die hinderten sie auch daran, Weiterbildungsprogramme in Anspruch zu nehmen. In Gesprächen wurde zudem kritisiert, dass es zwar viele Angebote für Existenzgründer gebe, aber bei den Selbständigen, die die Startphase hinter sich haben, bestehe eine "Beratungslücke".

Für die Gewerkschaften ist dieses Ergebnis Anlass genug, sich stärker als bisher der Freiberufler und Selbständigen anzunehmen. So hat das DGB Bildungswerk NRW auf Basis der Befragung ein umfassendes Seminarangebot entwickelt und Expertenchats organisiert. Seit Anfang 2001 steht ein Online-Ratgeber zur kostenlosen Nutzung zur Verfügung.

In wie weit die Gründer dieses honorieren, bleibt abzuwarten. Bisher herrscht zwischen IT-Selbständigen und DGB weitgehend Funkstille. Auf die Frage, wie sie selbst die Unterstützungsmöglichkeiten durch die Gewerkschaften sehen, antworteten viel schlicht: "Darüber habe ich noch nie nachgedacht", so Achim Vanselow vom IAT, "und die Gewerkschafter sagen dasselbe. Für die ist das Thema IT-Freiberufler völlig neu."

In den Niederlanden ist man auf diesem Gebiet schon weiter: Mit gezielten Dienstleistungsangeboten wie verbilligten Krankenversicherungen oder Tips für Honorarverhandlungen öffnen sich die Gewerkschaften dort den kleinen Selbständigen. Nach Meinung von Vanselow bleibt der Organisation auch hierzulande gar nichts anderes übrig, als ebenfalls diesen Weg zu gehen: "Schließlich wird die klassische Klientel immer kleiner."