Die Effizienzsteigerunug durch EDV lohnt nicht immer

08.06.1979

Mit Professor Dr. -ing Dr. rer. pol Theodor Ellinger, Direktor des

Industrie-Seminars der Universität zu Köln, sprach Elmar Eimauer

- Herr Professor Ellinger, Sie haben bei 38 deutschen Unternehmen Produktionsplanung, und Produktionssteuerungssysteme, kurz PPS-Systeme, untersucht: Welchen Standard in bezug auf ihre Mechanisierung, ihre Organisation repräsentieren die untersuchten Unternehmen, verglichen mit ihrem unmittelbaren Wettbewerb und gemessen an ihrer Unternehmensgroße?

Wir waren bemüht, uns entsprechend dem Auftrag um Klein- und Mittelbetriebe zu kümmern. Aber wir wollten vorbildliche Lösungen analysieren und mit Unternehmen sprechen, die die Probleme erkannt haben. Da kamen wir fast zwangsläufig auch zur Obergrenze der Klein- und Mittelbetriebe. Wegen der Branchen hatten wir uns die Planung so gedacht, daß wir die Elemente der Produktionsplanung und, Produktionssteuerung unabhängig von der Branche, aber abhängig von den speziellen Einflußgrößen untersuchen wollten So trafen wir in der Textilindustrie, in der Bekleidungsindustrie bei der Zusammenfügung der einzelnen Stoffelemente ähnliche Verhältnisse wie etwa in der Montage von Maschinen an.

Ziel war, die Grundvoraussetzungen einer effektiven Produktionssteuerung und Produktionsplanung herauszuschälen. Deshalb ging es von Anfang an um die Einarbeitung eines überbranchlichen Modells.

- Offen ist noch Ihre Antwort zur Wettbewerbssituation dieser Unternehmen: Waren sie besser organisiert, weitgehender mechanisiert und von D V durchsetzt als Mitbewerber?

Es waren wohl Unternehmungen, die im allgemeinen bevorzugt fortschrittliche Methoden angewandt haben. Und das zeigte sich sicher auch im technischen und nicht nur im organisatorischen Sektor.

- Können Sie den Grad der Verbesserung angeben, den diese Unternehmen, durch die Einführung von PPS-System erreicht haben?

Der Grad der Verbesserung ist eine schwierige Kennzeichnung, Man kann ja ,die Verbesserung der Situation durch Verringerung der Durchlaufzeit, durch Verringerung der Kapitalbindungskosten kennzeichnen Da haben wir keine genauen Werte ermittelt. Das wäre auch schwierig gewesen, weil wir den vorherigen Zustand nicht kannten, Aber es war auch nicht unsere Aufgabe, neue Fertigungssteuerungssysteme einzufahren sondern bestehende zu analysieren.

- Läßt sich zumindest schätzen, wie hoch volkswirtschaftlich der mögliche Rationalisierungsgewinn wäre, der sich durch die Einführung von PPS-Systemen erzielen ließe?

Da hat man schon Richtwerte aufgestellt, zumal schon bis zu zwanzig, dreißig Prozent der Lohnkosten als Ersparnis erzielt wurden.

- Sie haben in einem Abschnitt Ihrer Untersuchung erklärt, zur ökonomischen Bewertung von Produktionsplanungs- und Steuerungsystemen ließen sich nur die Kosten, aber nicht die Erträge in monetären Einheiten ausdrucken. Dies heißt doch auch, Herr Professor Ellinger, die Kröte ist geschluckt, wenn der Unternehme feststellt, das PPS-System bringt's nicht.

Dies ist eine Aussage, die kaum einmal, wenn man PPS vernünftig stufenweise einfährt, aktuell werden wird. Hier hat noch niemand die schlechten Erfahrungen wie bei der Einführung überdimensionierter EDV-Verfahren gemacht. Bei PPS haben wir ja manuelle Zwischenstufen. Und da wird kein Unternehmen klagen, hätten wir nur dieses

Ordnungsstrafen unterlassen. Hier ist es tatsächlich 'so, daß ein Erfolg schon durch das zusätzliche Wissen, wo die Aufträge stehen, wie weit sie gekommen sind, eintritt. Und niemand wird die Tatsache leugnen können, daß er auch sehr große geldliche Erträge durch die Verringerung der Laufzeit, die Verringerung der Wartezeiten und die Verbesserung der Kapazitätsauslastung erzielt.

- Wann ist für das Funktionieren von PPS-Systemen die DV-Technologie die

Voraussetzung

Wenn wir die einfachen Bearbeitungsabläufe ordnen wollen, kommen wir zunächst in vielen Fällen ohne DV-Technik aus. Wenn wir die Vorstufen der Gesamtplanung erfassen wollen, dann werden wir - je nach der Struktur - die Mengenplanung mit DV durchfuhren. Aber, interessant ist, daß der große Vorwärtssprung schon ohne DV spürbar wird, und zwar in einem Ausmaß, daß eine Rückwärtsgestaltung undenkbar ist.

- Ein auffälliges Bild Ihrer Analyse war, daß die Verbindung von karterorientierten Systemen mit Automatisierungshilfen die m sie gesetzten Funktionserwartungen nahezu im gleichen Grad wie großspeicherorientierte Systeme erfüllen. Ist daraus zu schließen, daß großspeicherorientierte Systeme für Produktionsplanung und -steuerung im Handling und in den Kosten so hoch sind, daß die überschaubare Verbindung von manuellen Karteisystemen mit Automatisierungshilfen - bei ihnen die Systemklasse Il - nahezu die gleiche Effizienz bringt?

Unsere Befragungen haben ergeben, daß die einfachen Vorstufen, die üblicherweise vor der EDV zur Anwendung kommen, in ihrer Effizienz so groß sind, daß man in manchen Fällen zu der Ansicht kommt: Die Effizienzsteigerung, die mit der EDV zweifellos erreicht werden kann, lohnt sich nicht angesichts der i hohen Kosten. Das ist ein Optimierungsproblem: Wie weit will ich hier gehen. Es ist eben erstaunlich, daß die Simulation des Produktionsablaufs mit primitiven organisatorischen Mitteln schon so erheblich die Übersicht und die Steuerung verbessert, daß ein weiterer Sprung, der sich ja bei der heutigen Technologie anbietet, nicht ohne ganz genaue Kostenanalyse durchzufahren ist.

- Heißt das auch, daß eine stark DV-gestützte PPS-Lösung nur sinnvoll ist, wenn bereits eine starke DV im Unternehmen vorhanden ist?

Dies wird schon aus Kostengesichtspunkten als richtig angesehen werden müssen. Wenn der Vorbereitungsgrad im EDV-Sektor schon außerordentlich hoch ist und der Sprung zum Angliedern einer Gesamterfassung der Produktionsplanung, Produktionssteuerung durch EDV nicht mehr groß ist, dann wird diese optimale Situation gegeben sein.

- Von den bisher realisierten integrierten computergestützten Gesamtsystemen geht die Rede, sie seien nicht sehr überschaubar. Unterstützen Sie diese Kritik?

Diese Gesamtsysteme haben sich bis jetzt noch nicht voll durchgesetzt. Wenn man die Gesetze der Reihenfolgeplanung kennt, so weiß man, daß eine Optimallösung selbst bei der heutigen Kapazität unserer Rechnersysteme nicht exakt möglich ist. Und so stößt ein Gesamtsystem an die Grenzen des Möglichen: Es wird nie eine vollkommene Gestaltung des Ablaufs mit exakten Methoden möglich sein, die man sich eigentlich vom Gesamtsystem erwartet. Allerdings kann man diese Gesamtsysteme mit Simulationssystemen koppeln. In Köln haben wir; zusammen mit meinem Kollegen, Herrn Professor Schmitz vorn Lehrstuhl für Informatik. das Simulationsmodell SIRE (Simulation zur REihenfolgeplanung) geschaffen, welches hier Hilfen gibt, in die Gesamtkonzeption auch eine Verbesserung der Reihenfolgeplanung einzubauen.

- Lassen Sie mich hier eine Grundsatzfrage nachschreiben. Effiziente PPS: Ist dies eine Frage der möglichen Technologie oder eine unternehmerische Organisationsfrage? Oder: Kann mit besserer DV, erde sie heute angeboten wird, ein besseres PPS-System realisiert werden?

Ich glaube, Sie haben schon in der Frage angedeutet, daß hier mit einer Technologie die Lösung noch lange nicht gegeben ist. Hier sind -sehr viele psychologische Kräfte am Werke, die auf ein Ziel ausgerichtet werden müssen. Entscheidend ist, ob die Unternehmensleitung voll und ganz hinter einer Lösung steht und die Koordination der einzelnen Aufgaben ermöglicht. Das hat man auch gesehen bei der Einführungsstrategie. Wir können die kostengünstige, optimale Strategie dann wählen, wenn die Unternehmensleitung hinter uns steht. Wenn sie nicht hinter uns steht, dann müssen wir zwangsläufig diejenige wählen, die kurzfristige Erfolge zeitigt, auch wenn sie einen Umweg darstellt.

- Traditionell werden Fertigungsplanung und Produktionssteuerung durch vorgestanzte Fertigbelege kontrolliert, in die während der Produktion die variablen Daten nachgetragen werden Dies fährt häufig zu veralteten Daten. Dennoch ist die dezentrale Betriebsdaten-Erfassung bei PPS-Systemen, etwa mit Prozeßrechner-Terminals, noch nicht so verbreitet, daß beispielsweise die Hersteller solcher intelligenten Terminals von einem Geschäft sprechen würden. Woran liegt dies?

Ich glaube, das liegt daran, daß die Möglichkeiten eines Prozeßrechners noch nicht voll erfaßt sind. Ich bin überzeugt. daß die Fertigungszentralen immer mehr die Möglichkeiten des Prozeßrechners berücksichtigen müssen. Es wird eine Frage der Zukunft sein, inwieweit die konventionellen Verteilungssimulationen mit EDV-Simulationen gekoppelt werden oder durch sie ersetzt werden. Das wird auch eine Frage des Personals sein, inwieweit sich das geschulte Personal, das aus der Werkstatt, das von der Meisterseite her kommt, auf die neuen Methoden, die im Ergebnis die gleichen Wirkungen haben, umstellen kann.

- Sie sprechen gerade die Schulungskosten an. Noch mal bezogen auf die Kostenunterschiede bei den von Ihnen aufgestellten Systemklassen. Hier scheinen nach Ihrer Untersuchung zwei besonders teure PPS-Varianten möglich zu sein: Die magnetkontenorientierten Systeme und die großspeicherorientierten Systeme. Denn zum einen nehmen die Systemkosten selbst, aber auch die Personalkosten- verglichen mit manuellen Systemen oder kombinierten - nicht so signifikant ab, daß die höheren Gehälter für die Computer-orientierten Systeme notwendigen Spezialisten ausgeglichen wären. Ist der Schluß richtig?

Es ist offensichtlich, daß die zusätzlichen Kosten, die man bei den großen Systemen aufwendet, nicht mehr proportionale Zuwachsraten an Erträgen bieten. Die Zuwachsrate an Erträgen! sinkt ab. Aber damit kann die Großlösung nicht einfach ausgeklinkt werden. Es ist deutlich herausgestellt worden, daß die Einflußgrößen der jeweiligen Unternehmungen entscheidend sind. Für eine spezielle Unternehmung, für ein komplexes System, kann eine Online-Lösung mit Großeinsatz von EDV-Technik wirtschaftlich sein.

- Lassen sich denn PPS-Systeme so dynamisch gestalten, daß das durch sie bewirkte Unternehmenswachstum auch von ihm verkraftet wird, ohne daß es zu jenen Anpassungsproblemen kommt?

Ich bin überzeugt, daß die neue Computerentwicklung hier eine große Elastizität bietet und daß sich manche Fragen von selbst lösen, weil die Computertechnik sehr elastische Lösungen und billigere Lösungen schafft, die auch in einem Online-Verfahren eingesetzt werden können. Da ist ein großer Umbruch festzustellen.

- Bisher beschränkte sich die DV-Durchdringung von PPS-Systemen auf verwaltungsorientierte Funktionskomplexe, wie Stammdatenspeicherung, Lagerbestandsfortschreibung, während unternehmerisch dispositive Funktionen, wie Belastungsrechnung, Vorplanung, kaum durchgeführt wurden. Kann durch leistungsfähigere Rechner, vor allem angesichts Datenbank-Rechner vor Ort, hier ein neuer Impuls entstehen?

Ich bin überzeugt, daß wir hier noch sehr vieles erleben werden. Zum Beispiel in der Terminplanung, in der Grobplanung von Großaggregaten, hatten ja schon Lösungen in der Industrie große Anerkennung gefunden, die die Ähnlichkeit der Abläufe erfaßten. Und diese Ähnlichkeit vergangener Abläufe, die Zusammenhänge mit noch nicht gefertigten Großanlagen, können noch besser erfaßt werden, noch besser durchdrungen werden durch den Einsatz von EDV. Und, was wir bisher von Hand durchführten, könnte hier im Großen durchgeführt werden, Ich glaube, daß gerade auf diesem Gebiet die Offertkalkulation

viele sichere Unterlagen Bekommen kann.

- Grundsätzlich könnte man aber wohl davon ausgehen, daß das Schwergewicht des Rechner-Einsatzes in PPS-Systemen bei Ad-hoc-Abfragen von vorhandenen Daten liegt und nicht bei Rechen- und Daten liegt und nicht bei Rechen- und Verarbeitungsfunktionen?

Komplizierte Rechenoperationen finden bei der jetzigen Fertigungssteuerung in der Regel noch nicht statt, mit Ausnahme bei der Reihenfolgeplanung. Hier sind Simulationsläufe zu installieren und hier ist der Bereich, auf dem die bisherigen Verfahren völlig versagen,

- Welche Art der Technologie stell Sie sich denn als optimales Angebot für ein optimales PPS-System vor? Was müßte hier schwergewichtig gegenüber der jetzigen Computertechnologie geändert werden? Beispielsweise: Höhere Geschwindigkeit in der Verarbeitung oder tatsächlich nach wie vor einfach noch größere und billigere Angebote vom Speicherplatz?

Für die Reihenfolgeplanung, die kolossale Rationalisierungsreserven birgt, wären höhere Geschwindigkeiten bei der Verarbeitung und höhere Kapazität die Simulationsläufe notwendig, Ein ist sicher, daß wir auch in den nächst Jahren noch nicht die Computerkapazitäten haben werden, weil die Möglichkeiten bei der Kombinatorik gleich Milliarden auftreten. Hier wird sich gewiß eine große Möglichkeit des Comptereinsatzes und auch ein Monopol der Computerfunktion entwickeln.

- Sie tendieren dazu - wenn ich Ihre bisherigen Veröffentlichungen richtig gelesen habe -, Softwarefragen bei PPS-Systemen durch Standardlösungen totschlagen zu lassen. Im Gegensatz zu Ihnen stand eine Unternehmeraussage auf einem RKW-Seminar in München" auf jeden Fall den unternehmerischen Wettbewerbsvorsprung durch die individuelle Lösung zu suchen, Empirisch haben Sie in Ihrer Untersuchung nachgewiesen, daß Pilotanwender zwar herbe Einführungs - und Entwurfsschwierigkeiten hatten, wenn aber das System am Laufen ist, wesentlich besser damit zurechtkommen. Also im Zweifelsfalle lieber doch individuell?

Ich wurde sagen: Der Tenor unserer Untersuchung ist nicht der, daß wir Standardlösungen predigen, keineswegs. Sondern wir schneidern, aufgrund der Einflußgrößen, aufgrund der Anforderungsprofile, aufgrund der sich ergebenden Zielerreichungsgrade, Maßanzüge. Aber: Wo wir für den Beginn eine Standardlösung haben, wo noch keine Software geschneidert wurde, da versuchen wir, diese einzubauen. Grundsätzlich bemühen wir uns, gleichartige Elemente zu erkennen, aber aus den Elementen Gebilde herzustellen, die keineswegs standardisiert sind.

- Wobei die individuelle Lösung, der sich der Anwender mehr identifiziert, die Abhängigkeit des Anwenders von Herstellerkonzept verringert.

Ja, das stimmt. Wir sind der Ansicht, daß der Anwender sehr viel geistiges Potential investieren sollte und sich in Zusammenarbeit mit dem Hersteller einem Maßanzug schaffen müßte. Das wäre optimale Lösung. Es wird da eine konstruktive Zusammenarbeit gegeben s und es wird auch die Abhängigkeit vom Hersteller gemildert. Auf der anderen Seite werden wieder Impulse vom Anwender auf den Hersteller übergehen soweit es sich um Elemente handelt. als Bausteine wieder in einen anderen Maßanzug eingebaut werden können