Generationswechsel unter den Anwendern von DV-Systemen

Die DV hat einen hohen Grad an Selbstverständlichkeit erreicht

04.10.1991

Für die Jugend ist sie ein Medium, welches in die Zeit gehört wie Pop-Musik und Skateboard und dessen Beherrschbarkeit so selbstverständlich ist, wie die eines Taschenrechners. Aber auch für den Berufstätigen hat die DV ihren Stellenwert merklich verändert. Ulrich Dickamp* analysiert das gegenwärtige Selbstverständnis der DV.

Aus dem Jobkiller der siebziger Jahre ist ein Instrument geworden, dem man vertraut, dem man sogar qualitative Verbesserungen nicht nur der Arbeitsprozesse selbst, sondern auch der Arbeitsbedingungen zurechnet. Produktivität und Profitabilität sind ohne DV-Einsatz selbst im Zwei-Mann-Betrieb heute nicht mehr zu realisieren.

Ärzte und Juristen, die sich lange gegen die Automatisierung von geistigen Prozessen wehrten, geben heute zu, daß sie bestimmte qualitative Tätigkeiten nicht mehr ausweiten könnten, wenn die Abwicklung von Routineaufgaben nicht automatisiert wäre. Die Pioniere der angewandten DV, die in den nächsten Jahren in Pension gehen, werden mit Befriedigung feststellen, daß die Mühen der ersten Jahre nicht umsonst gewesen sind.

Die Wehmut der Erinnerung überfällt zur Zeit vor allem diejenigen, die vor ihrer Karriere als DV-Chefs oder Abteilungsleiter nächtelange Testsitzungen absolvierten, die von den Gewerkschaften als Rationalisierer gebrandmarkt und von den eigenen Chefs mit reichlich Unverständnis versehen wurden, wenn trotz ständiger Mehrkosten, trotz permanenter Überstunden die Ergebnisse zu spät, falsch oder in zentimeterdicken Listen erschienen, die kaum jemand lesen konnte.

Studium auf den Schulbänken der Hersteller

Damals wurden die Basisdaten der Unternehmen erfaßt und in Massendatenverarbeitungsprozesse überführt. Die Männer der ersten Stunde waren meist Praktiker, die als Programmierer oder Systembediener angefangen und sich in den Chefsessel emporgearbeitet haben. Das Informatikstudium fand bei den meisten auf den Schulbänken der Hersteller in Sindelfingen oder München statt und die Kultur der Abendkurse hatte Hochkonjunktur. Statt Fertigsoftware kam Eigenware zum Einsatz, die Heerscharen von Programmierern erstellten, testeten und dokumentierten; in voluminösen Lochsäulen wurden nicht nur die Daten des Unternehmers erfaßt, sondern manche DV-Verbindung auf menschliches Niveau gebracht. In den Maschinenräumen sammelten sich Dutzende von Operatoren und Hilfskräften, die all das, was in den Maschinen automatisiert und elektronisch ablief, vornehmlich manuell steuerten.

Rechenzentrem als Informationsburgen

Diese arbeitsreiche Urzeit der DV ist der technokratischen Neuzeit gewichen. Rechenzentren sind heute zum Teil Informationsburgen in atombombensicheren Bunkern, die nur noch von wenigen Spezialisten bedient werden. Die Automation ist inzwischen selbst rationalisiert worden. Die Systembediener steuern heute aus Büros heraus mehrere Großmaschinen gleichzeitig; hochsensible Software steuert und überwacht den reibungslosen Ablauf der DV-Produktion; Roboter bestücken Speichermedien mit den erforderlichen Datenträgern und laden diese in Archive zurück. Die Produktion von Information ist heute automatisiert, wie jeder andere materielle Fertigungsprozeß. Die Produktion umfaßt aber nicht nur die Gewinnung von Informationen, sondern auch den zielgerichteten Transport derselben. Endbenutzer, Kunden und Kooperationspartner werden mit Hilfe von Übertragungstechnologien mit zentral produzierten Informationen versorgt und können diese wiederum als Basis für weiterverarbeitende Prozesse verwenden.

Waren früher die Datenerfassung und die produktionsbezogene Verarbeitung von Informationen die dominante Zielsetzung der DV (übrigens das aktuelle DV-Problem in den neuen Bundesländern), so sind es heute die funktionsübergreifende Prozeßverarbeitung und die Unternehmenskommunikation, die die beherrschenden Herausforderungen der DV darstellen, und wir stehen hier nicht nur erst am Anfang, sondern vor entscheidenden Umwälzungen. Dies bewirkt einen neuen analytischen Anspruch an die DV-Chefs von heute.

Deutlich ist vor diesem Hintergrund eine neue Generation von DV-Managern erkennbar; auch ist deutlich ablesbar, daß die Einstufung der DV und der Informationsverarbeitung in den Unternehmen und Behörden eine neue Qualität bekommt. Die Informationsverarbeitung sowie die hochtechnologische elektronische Kommunikation dienen nicht mehr nur einer nachvollziehenden Rationalisierung, sondern greifen aktiv in die Produktivität und die Servicefähigkeit der Institutionen ein.

DV-Bereiche als Profit-Center

Nach automatisiertem Verwalten von einst kommt der DV jetzt das kommunikative Gestalten zu. Diese Entwicklung erfordert neue oder gar zusätzliche Investitionen.

Nicht zuletzt deshalb werden die DV-Bereiche heute bereits zunehmend als Profit-Center oder gar als eigenständige Servicegesellschaften für Konzerne organisiert. Dies macht deutlich, daß die neue DV-Führungsgeneration nicht mehr notwendigerweise aus den Tiefen der Datenverarbeitung rekrutiert werden muß, sondern ökonomisches Managementpotential an den Tag legen muß. Dies natürlich auch deshalb, weil entgegen allem Schönreden die DV nicht billiger, sondern ständig teurer wurde. Eine Antinomie, die häufig Kopfzerbrechen bereitet, da die arrivierten PC-Freaks ihren Vätern in Amt und Würden mit völliger Berechtigung klarmachen, daß der Amiga-Preis schon wieder um 20 Prozent gesunken sei. Sei der Groß-DV liegt die Sache aber etwas anders. Zwar werden die Hardware-Preis-Leistungs-Verhältnisse ebenfalls ständig verbessert, jedoch führen verschiedenste Zusatzkosten dazu, daß die Gesamtrechnung der Hersteller ständig steigt. Networking und Software nehmen einen steigenden Anteil ein.

Dem DV-Management obliegt heute in stärkerem Maße die Evaluierung ökonomischer Alternativen und eine differenzierte Optimierung der Budgets. Die Servicegesellschaften großer Konzerne unterhalten daher bereits in einigen Fällen eigene Abteilungen oder Tochtergesellschaften für den An- und Verkauf von gebrauchtem DV-Material; Outsourcing sowie Facility-Management werden wichtige Themen.

In der Tat werden zunehmend DV-Chefs gesichtet, die keinen historischen Konnex zur Datenverarbeitung haben, sondern aus dem Rechnungswesen, Fachabteilungen oder sogar aus dem Vertrieb kommen. Die gesunde Management-Fähigkeit steht bei diesen Selektionen im Vordergrund. Aufgrund der tiefen Einblicke in die substantiellen Prozesse des Unternehmens gewinnen diese Manager in kurzer Zeit einen guten Überblick über den gesamten Organismus eines Unternehmens und bilden daher ein interessantes Potential für weitergehende Verantwortung.

DV-Personal läßt sich nicht reduzieren

Für die Unternehmen bedeutet dies eine zusätzliche Selektionsnotwendigkeit, denn die traditionelle Form der Beförderung aus der existenten DV-Funktion stößt unter den aufgeführten Aspekten zunehmend an ihre Grenzen.

Die Reorientierung des Personals im Hinblick auf die sich verändernden fachlichen Verantwortungen wird eine wesentliche Herausforderung des DV-Managements der Neunziger Jahre sein. Der erreichte Servicegrad für die Benutzer ist der wichtigste Gradmesser.

Falsch ist daher die Annahme, das DV-Personal ließe sich reduzieren. Die Kommunikationstechnologie der kommenden Jahre wird viel Aufmerksamkeit und Qualifikation erfordern.

Zudem streuen sich einige Organisationen ohnehin Sand in die Augen, indem eine Verringerung des DV-Personals durch multiplikative Verlagerung in die Fachabteilung praktiziert wird; es entsteht eine DV-Schattenorganisation, die sehr teuer werden kann. Der Transfer von DV-Intelligenz zum Arbeitsplatz erfordert paradoxerweise eine Rezentralisation von Steuerungsfunktionen in der Zentrale, die ein geordnetes Miteinander der zum Teil weltweit verzweigten Benutzer erst

ermöglicht.

So tritt neben das ökonomische Management ein hochgradig spezifiziertes operationales Servicemanagement. Die Frage "buy" oder "build" war lange Zeit den Produzenten vorbehalten; sie wird zunehmend auch auf Anwender zukommen. Daher kann sich der scheidende DV-Veteran eines gewiß sein: Seine Nachfolger werden auch ihre Schwierigkeiten haben, aber auf einem anderen Niveau.

*Ulrich Dickamp ist Geschäftsführer der U-D-M Unternehmensberatung in Kronberg/Taunus