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"Nerd Attack!"

Die Deutschen und das Digitale - eine schwierige Beziehung

30.08.2011
Auch wenn die digitalen Welten noch jung sind, haben sie doch ihre eigene Geschichte.

Christian Stöcker hat sie aufgeschrieben. Er erklärt, warum Politik und Medien das Internet so oft gründlich missverstehen.

Ein Graben zieht sich durch das Land: Auf der einen Seite gibt es die Internet-Versteher, auf der anderen die Verständnislosen. Das zumindest meint der Journalist Christian Stöcker und hat als Ursache der Spaltung eine "defensiv-aggressive Weigerung" ausgemacht, den Wandel zu akzeptieren. Weil die den analogen Welten verhafteten Bewohner das Sagen haben, bleiben Konflikte nicht aus - so analysiert es Stöcker in seinem Buch "Nerd Attack!". Der Titel klingt gefährlich. Doch die von ihm vorgelegte "Geschichte der digitalen Welt vom C64 bis zu Twitter und Facebook" will eher Brücken schlagen als einen Angriff auf die Verständnislosen führen.

In Deutschland ist der Graben besonders tief. Während die Hippie-Bewegung in Amerika die neue Computertechnik für ihre Visionen einer freieren Welt nutzte, sahen die ersten Grünen im Bundestag im Computer nur den Zerstörer von Arbeitsplätzen. Viele Linksalternative seien in Deutschland bis in die 90er Jahre hinein jeder Form von Technik gegenüber feindselig eingestellt gewesen.

Als "Schlüsselfigur in der Entwicklung der Beziehung zwischen den Deutschen und dem Digitalen" hat Stöcker den Hacker Karl Koch ausgemacht, der mit anderen in Computersysteme eindrang, die Daten an den sowjetischen Geheimdienst KGB verkaufte und 1989 tot aufgefunden wurde. Damals verloren Hacker ihre zunächst eher positive Beurteilung in der Öffentlichkeit. Dies brachte nicht nur die für eine eigene Ethik eintretenden Hacker im Chaos Computer Club (CCC) ins Zwielicht, sondern auch "die unheimlichen digitalen Welten, die da draußen offenbar existierten".

So bekam Deutschland auch keine vergleichbare Organisation wie die Electronic Frontier Foundation (EFF) in den USA. Mit ihrem Plädoyer für Offenheit wirkte die EFF maßgeblich an der Entwicklung eines freien Netzes mit - in einer Zeit, in der zunächst geschlossene Netze wie die von CompuServe und AOL dominierten.

Die frühen Netzaktivisten wie John Perry Barlow oder Wau Holland werden von Stöcker sehr plastisch beschrieben: "Das Hacken, das Denken, das Diskutieren und das Kiffen waren in jenen frühen Tagen des digitalen Untergrunds untrennbar miteinander verbunden."

Statt Experimentierfreude überwog in Deutschland das Misstrauen. In der Wirtschaft werden nach Ansicht des Autors eher die Risiken als die Chancen gesehen, und in der Politik wird das Netz zumeist als Gefahrenquelle wahrgenommen. "Das Internet ist ein sehr unordentliches, ungeordnetes Ding", schreibt Stöcker, "das ist lästig und gewöhnungsbedürftig, besonders für Menschen, die Ordnung lieben." Nur wer sich aktiv ins Netz hinein begibt, so Stöckers Botschaft, kann in der digitalen Welt heimisch werden. (dpa/tc)