Die Computerindustrie vor dem Super-GAU

01.08.1986

Das schöne Bild von der heilen Wirtschaftswelt, in der alles immer besser wird, trügt. Wir stehen kurz vor der größten Wirtschaftskrise der bisherigen Geschichte. Das klingt vielleicht etwas zu dramatisch, aber die nüchterne Betrachtung der Tatsachen läßt keinen anderen Schluß zu. Die wichtigsten will ich kurz in Erinnerung rufen:

Die Außenschulden der Entwicklungsländer belaufen sich auf derzeit etwa 1000 Milliarden Dollar. Die internen Staatsschulen der Industrieländer liegen bei 50 bis 100 Prozent ihres jeweiligen Bruttosozialproduktes, bei einigen bereits über 100 Prozent, und die Konsumenten stehen ebenfalls mit etwa einem Jahreseinkommen in der Kreide. Na und, könnte jetzt der gelangweilte Zeitgenosse fragen.

Es kommt nun darauf an, möglichst viele der alten Forderungen zu vernichten (je größer die Entschuldung, um so größer der neue Verschuldungsspielraum), die sozialen Probleme dabei möglichst klein und die Übergangszeit möglichst kurz zu halten und anschließend genügend Liquidität unters Volk zu bringen, damit der Kreislauf möglichst rasch wieder in Schwung kommt.

Der vorausschauende Zeitgenosse hat es allerdings dadurch etwas leichter, daß es nur zwei prinzipielle Varianten der Forderungsvernichtung gibt: die inflatorische und die deflatorische. Die inflatorische ist weithin bekannt, sie läuft langfristig ab, und gegen Ende des Kreditzyklus hat sich so ziemlich jeder durch Schuldenmachen und Sachwertverkäufe darauf eingestellt, so daß Forderungsvernichtung damit eigentlich nicht mehr funktioniert, es sei denn durch eine plötzliche Hyperinflation. Die dramatischen Geldmengensteigerungen der letzten Monate deuten zwar in diese Richtung, viel mehr spricht aber dafür, daß wir kurz vor der deflatorischen Variante stehen.

Sie ist kaum bekannt, weil sie immer nur einmal in einer Generation abläuft, sie kommt daher überraschend, geht sehr schnell und auch der muntere Zeitgenosse kann sich gar nicht so richtig darauf einstellen, weil er halt nicht im Traum daran denken würde, daß die Deutsche Bank oder Amerika pleitegehen kann.

Also wie wirkt sich so ein deflatorischer Zusammenbruch nun bei der Computerindustrie aus? Überall fallen derzeit die Preise: bei Rohstoffen, Lebensmitteln, Öl, Autos, Häusern und Grundstücken und auch bei Computern. Seit langer Zeit sind die Lebenshaltungskosten erstmals rückläufig.

Derzeit wird das zwar noch als Sieg über die Inflation und als Stabilitätsgewinn verkauft, aber fallende Preise haben eine fatale Wirkung: Sie zerstören die Beleihungsgrundlagen, auf denen die Kreditpyramide aufgebaut ist, sie machen die Kalkulationen kaputt, Investitionen lassen sich über den Marktpreis nicht wieder einspielen. Und wenn dieser Prozeß einmal allgemein in Gang gekommen ist, läßt er sich kaum mehr stoppen, sondern beschleunigt sich immer mehr, wie beim Super-GAU im Kernkraftwerk.

Allerlei Multiplikatoren, die im Aufschwung so segensreich wirken, treiben jetzt in die umgekehrte Richtung. Auf die Computerindustrie übertragen heißt das einfach: Es lohnt sich nicht mehr zu investieren. Es ist besser, Kasse zu halten und den weiteren Preisverfall abzuwarten.

Geld wird immer wertvoller, in Sachwerten gebundenes Kapital verfällt. Dies ist wohl auch der Grund, warum zum Beispiel Siemens mehr als 20 Milliarden Mark Kasse hält, weil man keine lohnenden Investitionsmöglichkeiten sieht, zumal keine, die mit Marktzinsen von acht oder zehn Prozent konkurrieren können. Freilich werden diese acht oder zehn Prozent Prozentanteile von anderen auch nicht erwirtschaftet (wie denn auch, wenn Siemens es schon nicht kann?). Die werden dann beispielsweise über Staatsanleihen gezahlt, um den Offenbarungseid hinauszuschieben.

Wir haben auf der einen Seite Wirtschaftssubjekte mit ständig wachsenden Geldforderungsbeständen, für die sie keine rechten Anlagemöglichkeiten sehen, und auf der anderen Seite Wirtschaftssubjekte, wie beispielsweise Entwicklungsländer, Finanzministerien, Banken und neuerdings auch ÖIförderländer, die jeden Preis (Zins) für Geld versprechen, um sich nicht bankrott erklären zu müssen. Ein auf Dauer unhaltbarer Zustand, der irgendwann durch Vernichtung der Forderungsillusionen bereinigt wird, wozu natürlich auch die 20 Milliarden von Siemens gehören müssen, falls denen nicht etwas ganz Schlaues einfällt.

Was sind nun die speziellen Folgen für die Computerindustrie, wenn der zirka alle 50 Jahre fällige "finanzielle Super-GAU" eintritt? Wie bei der Wolke von Tschernobyl kann sich den Wirkungen keiner entziehen. Die um Liquidität ringenden Banken werden Kredite kündigen, die Zinssätze werden kurzfristig atemberaubende Höhen erreichen, vielleicht 20 bis 30 Prozent bei negativen Inflationsraten; die Regierungen werden erklären, daß sie ihre Staatsschulden nicht mehr bedienen können wie im Amerika der 30er Jahre, wodurch natürlich die Kurse stürzen und die Zinsen steigen - und es wird jede Menge Pleiten geben, auch in der Computerindustrie. Liquidität ist Trumpf, alle versuchen, irgendwelche Bestände und Vermögensgegenstände zu verkaufen, um ihre Zahlungsfähigkeit zu erhalten.

Kaum einer aber will kaufen, weil ja die Preise ständig fallen. Im übrigen wird vieles plötzlich gar nicht mehr gebraucht, wie etwa Homecomputer oder Rationalisierungsinstrumente, da sich die Prioritäten der Menschen dramatisch ändern. Es kommt plötzlich nicht mehr auf Geschwindigkeit, Pünktlichkeit, Präzision etc. an. Eher scheint alles in Richtung Stillstand zu laufen, eine Art Feierabendgesellschaft, in welcher der Computer sicher eine andere Stellung einnimmt als in einer auf Hochtouren laufenden Konkurrenzgesellschaft. Die paar Computerfirmen, die überleben, müssen nach dem Sturm auch noch rechtzeitig erkennen, woher der neue Wind weht.

Nun sollten wir uns von dem ausgebreiteten Szenario aber nicht allzu sehr abschrecken lassen. Zum einen hat so etwas schon oftmals stattgefunden ohne daß die Menschheitsgeschichte dadurch stehengeblieben wäre, zum anderen erleben wir den Crash diesmal von einem beträchtlich höheren Wohlstandssockel aus. Dadurch wird der Einzelne, zumindest in den entwickelten Industrieländern, weniger schmerzlich betroffen sein, als etwa in den 30er Jahren.

Zum Schluß möchte ich einen eher etwas philosophischen Gedanken anfügen. Der Verlust von Vermögenswerten ist sicher schmerzlich. Auch wenn es sich vielleicht nur um ein eingebildetes Vermögen handelte, so war damit dennoch ein Gefühl von Sicherheit und Wohlstand verbunden. Wenn nun die ganzen schönen Forderungen auf einmal futsch sind, kann man darin auch eine schöpferische Zerstörung im Schumpeterschen Sinne sehen. Unser eigentliches Vermögen liegt wohl in unseren Fähigkeiten und nicht in den vergänglichen Vermögensgegenständen, die wir damit schaffen. Und auch unsere Fähigkeit, solche Krisen zu steuern, ist ein wenig gewachsen. Wenn politisch klug gehandelt wird, haben wir eine gute Chance, daß die Leidenszeit diesmal kürzer wird und wir dann vor einer längeren Zeit mit beträchtlichen Wohlstandssteigerungen und ganz neuen Aufgaben - auch für die Computerindustrie - stehen.