Die Computer-Spione packen aus

18.04.1975

Am 22. Dezember 1974, einem Sonntag, bekam das Neckermann-Rechenzentrum in Frankfurt Besuch: Emil Schwarz und Heinrich Meier kamen zum Fotografieren. Sie hatten sich angemeldet. Schwarz hatte einem Mitarbeiter des Rechenzentrums 25 000 Mark dafür geboten, daß er die Wartungsunterlagen für die dort installierte 370/168 fotografieren dürfte. Der informierte seinen Chef, dieser die IBM und die Firma die Polizei - denn der gebotene Betrag war so hoch und stand in solchem Mißverhältnis zum normalen Preis, daß die Neckermänner mißtrauisch wurden. Die Polizei legte sich auf die Lauer, ließ die beiden eine Weile fotografieren und faßte dann zu.

Dann versprach man Schwarz - so erzählte später seine Frau - ihn wieder laufen zu lassen, wenn er alle seine Kunden verriete. Schwarz redete umgehend und man ließ ihn auch tatsächlich für einige Tage frei.

Als die Gebrauchtcomputer-Händler Karl Amann und Anton Berberich hörten, daß Emil Schwarz wieder im Büro sei, wollten sie ihn besuchen: Schwarz, der schon mehrfach als Tip-Verkäufer für Gebrauchtmaschinen-Händler aufgetreten war, hatte ihnen im Dezember berichtet, daß eine Versicherungsgesellschaft eine gebrauchte 370/158 kaufen wolle. "Das war für uns natürlich ein Brocken", berichtet Berberich. "Aber der Schwarz verlangte 200 000 Mark Provision, - das ist jemand, der schnell reich werden wollte."

Berberich sagte zu - machte der Versicherung ein Angebot - und stellte fest, daß er mit seinem Preis zu hoch lag. Der Auftrag war nur zu erhalten, wenn das Angebot durch Provisionskürzung erheblich gesenkt werden konnte. "Weil die 200 000 Mark schriftlich vereinbart waren, mußte auch die neu ausgehandelte Provision von 50 000 Mark schriftlich fixiert werden und zwar aus Termingründen noch vor Sylvester", berichtet Berberich. Am 27. Dezember fuhr er mit Partner Karl Amann zu Schwarz in Frankfurt - vor dessen Tür wurden die beiden verhaftet. "Jetzt haben wir die großen Drahtzieher erwischt", telefonierte einer der Kripo-Beamten stolz.

24 Stunden geschmort

"Die fanden uns sehr interessant. Sie dachten, bei uns wäre die Zentrale", berichtet Berberich. Er und sein Partner wurden In getrennten Räumen festgehalten. "Erst hat man uns 24 Stunden schmoren lassen, ohne überhaupt zu sagen, worum es geht. Dann bekam ich zu hören, daß man mir geheimdienstliche Tätigkeit zum Vorwurf macht - aber nicht konkret, was ich eigentlich getan haben sollte. Vier Wochen lang hat man uns schließlich über zahlreiche Bekannte verhört - und dann ließen sie uns endlich wieder laufen."

Mit Schwarz hatten die beiden - von einigen Tips abgesehen - einmal ein Geschäft gemacht: Schwarz hatte Software geliefert, "drei Programme, nichts Weltbewegendes - etwas, was für IBM-Kunden jederzeit verfügbar ist." Den Wert des Programmpaketes beziffert Berberich auf etwa 40 000 Mark. "Wir haben das an eine deutsche Firma weiterverkauft - möglicherweise hat die die Software in den Osten lanciert. Dieser Kunde von uns war auch in Haft - als einer der glorreichen Zwölf - aber Jetzt fährt er schon wieder fleißig nach drüben. Seine erste Reise ging nach Moskau."

Der Profit war sehr hoch

Amann bestätigte der Computerwoche, daß es durchaus rentabel war, DV-Anlagen in den Osten zu verkaufen: "Der Profit ist da sehr hoch gewesen, - bei Anlagen neueren Datums. Diese Zeiten sind vorbei. Meines Wissens hat die IBM inzwischen selbst eine 158 drüben installiert. Amann plaudert gern. "Da gab es vor vier Jahren mal eine schöne Geschichte: Eine süddeutsche Maklerfirma lieferte die erste 360/40 - ohne Lizenz - nach Moskau. Parallel dazu installierte IBM mit Lizenz im gleichen Gebäude ebenfalls eine 40. Wenn zwei das Gleiche tun, ist es eben noch lange nicht dasselbe."

"Wenn ich eine 145 verkaufe, dann kostet mich das einen Tag Kopierarbeit und ich hatte ein Duplikat der kompletten Wartungsunterlagen. Die Manuals gehören ja zur Maschine und werden mitverkauft, denn eine komplette Dokumentation muß jeweils dabei sein." Man könnte auch an den Hersteller schreiben - aber: "In den USA funktioniert das - in Deutschland komischerweise nicht. Das kann Monate oder gelegentlich auch Jahre dauern bis man die Wälzer erhält", berichtet ein Gebrauchtmaschinenhändler: "Da geht man eben einen anderen Weg."

50 Pfennig pro Seite

Die Kosten für die Beschaffung solcher Unterlagen veranschlagt man im Gebrauchtmaschinenhandel mit den Preisen fürs Fotokopieren: "Rechnen Sie fünfzig Pfennig pro Seite." Tipper Schwarz hat auch schon mal mehr erzielt: für 500 Seiten Manual bekam er in einem Fall sogar einen Tausender.

Keiner bestreitet, daß man von der IBM auch in Deutschland Ersatzteile bekommt: man bestellt unter Angabe der Maschinennummer. Allerdings haben die Gebrauchtmaschinen-Händler den Eindruck, daß die IBM sie diskriminiert, weil sie über den Gebrauchtmarkt nicht gerade begeistert ist. Amann: "Die sind daran interessiert, daß die alten Hobel vom Markt verschwinden - denn die verbauen den Markt für neue Systeme." Problem ist für Second-Hand-People, daß die Teile-Lieferung in Deutschland manchmal sehr lange dauert - zu lange, wenn man einen Gebrauchtcomputer als Zinsfresser am Lager stehen hat. Dann weicht man eben aus - in ein Land, wo die IBM schneller liefert.

Bevorzugte Einkaufsquelle ist die USA: dort geht's nicht nur schneller - die Teile sind dort auch 20 bis 25 Prozent billiger. Branchengerücht: IBM rechne firmenintern den Dollar mit DM 3,30 um - daher koste ein Artikel mit US-Preis von 1000 Dollar in Deutschland beispielsweise 3300 Mark. Der deutsche IBM-Finanzchef Sparberg bestreitet das: "Wir kalkulieren selber."

So gibt es in der internationalen Gebrauchtcomputer-Branche die seltsamsten Beschaffungspraktiken und Usancen. Zumindest von zwei deutschen Firmen weiß man, daß sie Ostgeschäfte machen. Ihr letzter bekanntgewordener Erfolg: eine Ende 1972 in Deutschland für zwei Millionen Mark verkaufte gebrauchte 370/145 ging erst durch drei deutsche Hände und dann durch den "Eisernen Vorhang". Nur fragen sich nicht nur Amann und Berberich, wo denn wohl der Interessent für 168-Unterlagen sitzen kann.

Fortsetzung in der nächsten Ausgabe