Bereits 150 flexible Fertigungssysteme in Betrieb, aber

Die CIM-Projekte in der DDR benötigen noch viel Zeit

18.05.1990

Ungefähr 150 flexible Fertigungssysteme gibt es heute in der DDR. Neben anderen Betrieben, die Pilotprojekte mit massiver staatlicher Unter stützung realisieren, gilt das VEB Werkzeugmasehinenkombinat Fritz Heckert als Vorzeige-Unternehmen in bezug auf rechnerintegrierten automatisierten Betrieb.

Eines dieser Pilotprojekte ist das Stammwerk des VEB Werk zeugmaschinenkombinat Fritz Heckert in Chemnitz. Ähnlich wie hier liegen die Probleme auch im VEB Niles Stellantriebe in Dresden, beim Druckmaschinenhersteller Planeta in Radebeul und im VEB Rotasysm Pößneck.

Der stellvertretende Generaldirektor des Chemnitzer Kombinats, Karl-Heinz Arnold, berichtete Anfang März dieses Jahres auf dem "Internationalen Kongreß Metallbearbeitung" über die -Situation in diesem "CIM-Vorzeigebetrieb": "Gegenwärtig arbeiten im Betrieb bereits sechs flexible Fertigungssysteme beziehungsweise automatisierte Fertigungsabschnitte. Insgesamt beträgt im Betrieb der Anteil von NC-Fertigungseinrichtungen an den Ausrüstungen der Hauptproduktion etwa 40 Prozent, das sind etwa 160 NC/CNC-Einheiten, auf denen 60 Prozent des gesamten Fertigungsaufwandes der Teilefertigung realisiert wird."

Zur Zeit werden im Heckert-Werk zwei weitere flexible Fertigungssysteme (FMS) auf den Einsatz vorbereitet: Ein FMS P 500, die aus fünf Bearbeitungszentren, einer Waschmaschine und einem Regaltransport-Roboter besteht, mit dem prismatische Stahlteile mit Kantenlängen zwischen 50 und 400 Millimeter bearbeitet werden können.

Vernetzung ist das Hauptproblem

Und ein FMS R 315, das sich aus drei Fertigungszellen für die Drehbearbeitung, drei CNC-Drehmaschinen, zwei Bearbeitungszentren CW 500, zwei Innenrund-Schleifmaschinen, zwei Außenrund-Schleifmaschinen, weiteren handbedienten Werkzeugmaschinen und Handarbeitsplätzen zusammensetzt.

Hauptproblem auf dem Wege zu CIM ist im Heckert-Werk die Vernetzung der unterschiedlichsten Rechnersysteme mit voneinander abweichenden logischen und technischen Schnittstellen. Arnold: "In allen entscheidenden Prozeßbereichen kommt es schon heute zum Rechnereinsatz und zur Realisierung einer Vielzahl von Rechnerlösungen. Beispiele sind unter anderem das eingesetzte 2D-CAD-System, die rechnergestützte technologische Prozeßausarbeitung (CAP) und NC-Programmierung an grafischen 16-Bit-Arbeitsplatz-Computern mit grafisch-dynamischer Simulation der Bearbeitungsabläufe. Als Grundlage dafür dient ein umfangreiches System rechentechnischer Mittel als verteiltes Rechenverbund-System mit betrieblichem Großrechner. Dazu gehören auch 80 direkt angeschlossene Terminals für alle Betriebsbereiche, ein Supermini als Bereichsrechner im CAP-Bereich, 14 grafische CAD-Stationen, vier Prozeßrechner-Systeme zur Prozeßsteuerung sowie einer Vielzahl von PCs und Arbeitsplatz-Computern in fast allen Reproduktionsphasen."

Arnold prognostiziert für die nächsten Jahre einen "gemischt automatisierten Betrieb mit ständig steigenden Automatisierungsanteilen und -objekten". Bis der rechnerintegrierte und flexibel automatisierte Betrieb funktioniere, sei es noch ein langer und beschwerlicher Weg, auf dem bestenfalls die erste Zwischenetappe erreicht sei: "Das strategische Ziel des Übergangs von der Automatisierung einzelner Systemlösungen zur komplexen Betriebsautomatisierung ist nur durch stufenweise und ergänzende Automatisierung über einen langen Zeitraum von etwa zehn bis 15 Jahren realisierbar. Damit kommt es zur Existenz teilweise stark differenzierter Automatisierungsniveaus in den einzelnen Funktionsbereichen."

Durchlaufzeit wurde kürzer

Aber bereits heute zieht er schon eine positive Bilanz der gegangenen Automatisierungsschritte: "Neben der erfolgten Erhöhung des Automatisierungsniveaus und dem sich daraus ergebenden Gewinn an Produktivität und Flexibilität sind vor allem die Effekte bezüglich der Durchlaufzeitverkürzung hervorzuheben. Sie liegt in den flexiblen Fertigungssystemen bei etwa 70 bis 90 Prozent und, bezogen auf das gesamte Sortiment bei zirka 20 Prozent. Das entspricht einer Verkürzung der Durchlaufzeit für wichtige drei von zwei bis drei Monaten auf nur zwei bis drei Tage."

Den Begriff "Prestigeobjekte" will Peter Ulrich für die fünf bis sechs CIM-Pilotprojekte in der DDR nicht gelten lassen. Er ist Leiter des Forschungszentrums des Werkzeugmaschinenbaus in Chemnitz und einer der besten Kenner der CIM-Szene in der DDR. Ulrich: "Es ist doch selbstverständlich, daß man auch etwas vorzeigt, was man geschaffen hat und worauf man stolz ist". Gerade im Heckert-Werk sei sehr früh mit der Arbeit an integrierten Fertigungssystemen begonnen worden "Prisma 2" - das erste rechnergesteuerte Maschinensystem für prismatische Teile - sei eine solche Pionierleistung gewesen Seit seiner Inbetriebnahme im Jahre 1971 arbeite das System in rollender Schicht. Zu der damaligen Zeit hätte die Bundesrepublik einen Rückstand gegenüber der DDR auf dem Gebiet der integrierten Fertigungssysteme gehabt. Damals sei kaum ein westdeutsches Unternehmen bereit gewesen, die hohen Kosten dieser Innovation zu übernehmen.

Cocom-Liste bremst den Fortschritt

Über die Zahl der heute realisierten flexiblen Fertigungssysteme in der DDR gibt es unterschiedliche Angaben. Für Ulrich ist das auch eine Definitionsfrage: "Nach unserer Definition gibt es über 150 flexible Fertigungssysteme in der DDR, nach anderen Definitionen sind das dann eher flexible Fertigungszellen." Aber die genaue Zahl sei auch nicht die Haupt frage: "Entscheidend ist, daß die flexible Automatisierung in unserem Land noch nicht so verbreitet ist, wie wir uns das wünschen. Das hängt mit den zur Verfügung stehenden Investitionsmitteln zusammen."

In der DDR beträgt heute der Anteil der NC-Maschinen insgesamt nur ein Drittel des Anteils in der Bundesrepublik. Was die Zahl der eingesetzten numerisch gesteuerten Werkzeugmaschinen angeht, räumt Ulrich einen Nachholbedarf ein, bezüglich Leistungsfähigkeit und Qualität dagegen sei der DDR-Werkzeugmaschinenbau mit einer ganzen Reihe von Erzeugnissen in der Weltspitze einzuordnen. Das gelte auch für manche Softwareprodukte und zahlreiche Erzeugnisse im Umfeld der Werkzeugmaschine. Ulrich: "Probleme hat es bei der Realisierung von CIM in unserem Lande insbesondere bei den Fragen gegeben, die mit der Mikroelektronik im Zusammenhang stehen. Durch die Cocom-Bestimmungen waren wir nicht in der Lage, unsere Steuerungen und die Rechentechnik mit international verfügbaren Bauelementen aufzubauen. Das hat dazu geführt, daß die hier entstandenen Hardwarelösungen sich mit internationalen Spitzenprodukten nicht messen können."

*Erny Hildebrand ist freie Journalistin in Düsseldorf.