Atos übernimmt SIS

Die Chancen und Risiken der SIS-Integration

16.12.2010
Von 


Joachim Hackmann ist Principal Consultant bei PAC – a teknowlogy Group company in München. Vorher war er viele Jahre lang als leitender Redakteur und Chefreporter bei der COMPUTERWOCHE tätig.

Die Risiken des Deals

Im weltweiten IT-Service-Markt belegt Atos Origin mit anteiligen 1,9 Prozent den sechsten Rang. Das ist allein dem starken Europa-Geschäft zu verdanken. Im globalen Wettbewerb ist das deutsch-französische Unternehmen dennoch ein Leichtgewicht.
Im weltweiten IT-Service-Markt belegt Atos Origin mit anteiligen 1,9 Prozent den sechsten Rang. Das ist allein dem starken Europa-Geschäft zu verdanken. Im globalen Wettbewerb ist das deutsch-französische Unternehmen dennoch ein Leichtgewicht.
Foto: PAC

Doch auch die Herausforderungen und Risiken sind enorm. Mit der neuen Kombination entsteht ein europäisches Schwergewicht, das in den Wachstumsmärkten China, Indien, Russland und Brasilien kaum vertreten ist. Vor allem in Indien haben die Partner Nachholbedarf. Der Subkontinent ist nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als Offshoring-Standard wichtig. Dort sind sowohl SIS als auch Atos Origin zwar präsent, doch Konkurrenten wie HP, IBM und Capgemini sind weit enteilt. "Atos Origin muss mehr ins Offshoring investieren, um die internen Kostenstrukturen anzupassen. Das verlangt der Markt, dem wird man sich nicht entziehen können", betont Rothauge. "Es wird zu weiteren Personalanpassungen kommen, so dass man Auseinandersetzungen mit der Mitarbeitervertretung erwarten darf."

Dass Atos Origin trotz dieser internationalen Schwäche im Ranking der weltweit größten IT-Anbieter einen vorderen Platz belegt, ist allein dem starken Europa-Geschäft zu verdanken. Im globalen Wettbewerb ist das deutsch-französische Unternehmen jedenfalls ein Leichtgewicht. "Unser Heimatmarkt ist Europa", erwiderte Breton trotzig auf entsprechende Nachfrage. "Die zurückliegende Krise hat den Wert einer starken Verankerung unterstrichen."

Thierry Breton, CEO bei Atos Origin: "Unser Heimatmarkt ist Europa.Die zurückliegende Krise hat den Wert einer starken Verankerung unterstrichen."
Thierry Breton, CEO bei Atos Origin: "Unser Heimatmarkt ist Europa.Die zurückliegende Krise hat den Wert einer starken Verankerung unterstrichen."
Foto: Atos Origin

Auch für den Siemens-Konzern tun sich erhebliche Unwägbarkeiten auf. Der Konzern bindet sich für die kommenden sieben Jahr an einen Partner, das ist heutzutage eine ungewöhnlich lange Laufzeit für einen Outsourcing-Deal. Während dieser Zeit werden neue Techniken, Verfahren und Strategien den IT-Betrieb beeinflussen. Das können die laufenden und von Atos Origin unverändert übernommenen Verträge nicht abdecken, so dass der Dienstleister auf kräftiges Zusatzgeschäft mit Siemens hoffen darf. Nicht zuletzt deshalb wird der Wert des Abkommens auf mindestens 5,5 Milliarden Euro taxiert. "Es besteht das Risiko, dass die Kosten für den an Atos Origin ausgelagerten IT-Betrieb deutlich steigen", warnt Rothauge.

Doch der Handlungsdruck war offenbar so übermächtig, dass das Siemens-Management sich trotz hoher Kosten nicht vom SIS-Verkauf abhalten ließ. Mit der Veräußerung schließt der Konzern nun endgültig das Kapitel der Kommunikations- und IT-Lösungen aus dem eigenen Haus, nachdem zuvor schon die Hardware an Fujitsu und die Kommunikationsprodukte an BenQ, Nokia sowie verschiedenen Investoren abgestoßen wurden. Löscher kann Siemens nun ganz auf die drei Kernsektoren Energie, Industrie und Gesundheit ausrichten. "Abschließend beurteilen lässt sich der Deal erst in drei bis fünf Jahren", erwartet Rothauge. "Aufgrund der engen Verflechtung durch das Outsourcing-Abkommen können Erfolg oder Misserfolg des Vorhabens möglicherweise nie endgültig bewertet werden."

Die SIS-Historie

Januar 1995: Siemens Business Services (SBS) wird als Gemeinschaftsunternehmen von Siemens und Siemens-Nixdorf Informationssysteme (SNI) unter Leitung von Friedrich Fröschl gegründet.

Dezember 1998: Fröschl erwägt einen Börsengang in den USA und strebt eine weltweit führende Position an.

November 2001: Ein problematischer Großauftrag der britischen Sparkassen reißt SBS tief in die Verlustzone. Fröschl muss gehen. Nachfolger wird Paul Stodden.

Dezember 2001: Stodden führt SBS wieder in die Gewinnzone, indem er die hohen Ansprüche zurechtstutzt, Absatzmärkte räumt und spart. Für die von Siemens gefordert Marge von mindestens fünf Prozent reicht es dennoch nicht.

Juni 2004: Stodden geht. Adrian van Hammerstein kommt.

April 2005: Der neue Siemens-CEO Klaus Kleinfeld verpflichtet SBS auf eine Marge von über fünf Prozent in genau zwei Jahren.

September 2005: Von Hammerstein geht, Christoph Kollatz kommt. Er rückte SBS in der Folge enger an den Konzern, zulasten des externen Geschäfts.

Januar 2006: SBS trennt sich vom Wartungsgeschäft. Spekulationen über eine Veräußerung häufen sich.

April 2007: SBS geht als Siemens IT-Solutions und Services (SIS) in den Konzern eingegliedert. Zum Stichtag liefert SIS wie gefordert eine Marge von knapp über fünf Prozent.

März 2008: Erneut verhagelt ein gescheitertes IT-Projekt in Großbritannien die Bilanz.

Dezember 2009: Siemens kündigt an, SIS wieder als eigenständige Gesellschaft auszugründen. Kollatz geht, Christian Oecking kommt und verstärkt wieder den externen Vertrieb.

Oktober 2010: SIS wird als GmbH ausgegründet.

Dezember 2010: Siemens verkauft die IT-Tocher an Atos Origin.