McKinsey: Anleger rechnen mit überhöhten Wachstumsraten

Die Carrier reiben sich zwischen Börsenwert und Marktpotenzial auf

08.09.2000
MÜNCHEN (CW) - Die europäischen Carrier stehen unter enormem Druck. In einem durch die fortschreitende Deregulierung verschärften Wettbewerb fordern die Aktionäre der TK-Dienstleister satte Aufschläge auf ihre Investitionen. Zudem erwartet die Kundschaft den Zugriff auf neue und teuer zu installierende Techniken.

Eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Entwicklungspotenzial des Marktes und der Erwartungshaltung der Investoren stellten die Analysten von McKinsey bei den TK-Unternehmen fest. Die Preise für Anteilscheine der europäischen Carrier implizieren, dass die Anleger von Wachstumsraten weit über 20 Prozent pro Jahr ausgehen. Marktforscher prognostizieren diesem Geschäft allerdings nur einen Zuschlag von sechs bis sieben Prozent.

Wettbewerb um hohen BörsenwertEs werden also einige Anbieter auf der Strecke bleiben. Die Übernahmeschlachten der vergangenen Monate (etwa zwischen Deutscher Telekom und Olivetti um Telcom Italia sowie zwischen Mannesmann und Vodafone Airtouch) sind laut McKinsey nur der Auftakt zu einer Kampagne um die Marktmacht und um eine für die Anleger zufriedenstellende Börsenbewertung. Auf diese Herausforderung müssen sie in einer sich verschärfenden Wettbewerbssituation reagieren. Die Deregulierung in den hiesigen Märkten lässt zum einen die Margen schwinden, und zum anderen verteuert sie neue Dienste. Als Beleg dafür nennt McKinsey die UMTS-Auktion in Deutschland.

Die Versteigerung der neuen Mobilfunklizenzen macht zudem ein weiteres Phänomen deutlich, das den etablierten und mächtigen Carrier kräftig zusetzen wird: Neue Technologien öffnen die Märkte für weitere Anbieter - und die Kundschaft nimmt deren Offerten gerne in Anspruch. Mit neuen und günstigen Datendiensten, der Kommunikation über Kabel-TV-Netz oder der Verschmelzung von Festnetz und Mobilfunk haben es junge und innovative Einsteiger schon geschafft, den etablierten Unternehmen Marktanteile abzujagen.

Nicht minder aktiv sind Anbieter aus den Bereichen Energieversorgung und IT sowie Quereinsteiger mit starken Markennamen (etwa Virgin in Großbritannien), die vor allem im lukrativen Mobilfunkmarkt wildern. Das alles lässt den Schluss zu, dass die integrierten TK-Dienstleister vom Schlage einer Deutschen Telekom ihr Geschäft nicht wie bisher betreiben dürfen.

McKinsey gliedert den TK-Markt in drei Gruppen. In die erste Kategorie fallen die ehemals staatlichen Carrier, die so genannten Large Integrated Players, wie British Telecom, France Télécom und die Deutsche Telekom. Diese Anbieter verfügen über eine sehr große Kundenzahl, und die Anleger begnügen sich mit moderaten Zuwachsraten. Zu Recht, meint McKinsey, denn diese Carrier haben mit minimalen Margen zu kämpfen, scheitern häufig bei der Einführung neuer Dienste und sind sehr unbeweglich.

Im Gegensatz dazu konzentrieren sich die Vertreter der zweiten Gruppe ausschließlich auf die sehr schnell wachsenden Märkte für Mobilfunk- und Datendienste. Frei von Sorgen sind diese "Focused Player", zu denen Vodafone Airtouch, Telecom Italia Mobile (Tim) und Colt Telecom zählen, aber auch nicht. Sie haben nicht die starke Kundenbasis der Großanbieter und ihre Anteilseigner haben eine hohe Erwartungshaltung. Die Folgen zeigen sich etwa in den Übernahmeaktivitäten von Vodafone Airtouch, die zum Ziel haben, Kunden und Marktanteile zu kaufen.

In der Gemeinde der "Small Integrated Players" finden sich die vom Staat in die Unabhängigkeit entlassenen TK-Anbieter aus Belgien (Belgacom), den Niederlanden (KPN Telecom), Portugal (Portugal Telecom) sowie Sonera (Finnland) und Swisscom wieder. Zum Teil versuchen diese Firmen ihre Position durch Hochzeiten zu stärken, häufig sind sie jedoch selbst Akquisitionsziel.

Den großen der Branche rät McKinsey, sich auf bestimmte Märkte zu konzentrieren. Damit seien sie in der Lage, auf die Attacken der kleinen Spezialisten flexibel zu reagieren, neue Geschäftsideen aufzugreifen und an schnell wachsenden Märkten teilzuhaben. Den Weg dorthin weist die spanische Telefónica. Der ehemals integrierte Staatskonzern wurde in sieben separate Geschäftseinheiten zergliedert.

Die Deutsche Telekom verfolgt ähnliche Pläne: Mit T-Mobil und T-Online gibt es bereits zwei nahezu selbständige Töchter. Vier sollen es insgesamt werden. Solche unabhängigen Ableger haben die Möglichkeit, sich auf ihr Geschäft zu konzentrieren, ohne Rücksicht auf den Konzern nehmen zu müssen. Sie können schnell auf Marktveränderungen reagieren und ihren Wirkungskreis durch Partnerschaften ausdehnen.

Damit sind die Hausaufgaben allerdings noch nicht erledigt, denn nach der Fokussierung müssen die Anbieter für Größe sorgen. Umfangreiche Netze bergen Synergiepotenzial und vermeiden Interconnection-Gebühren. Zudem bilden sie die Basis für neue Dienste und das Großkundengeschäft. Gewichtige Unternehmen können sich den Eintritt in neue Märkte (wie bei der UMTS-Versteigerung) sowie Partnerschaften und Akquisitionen leisten.

Derartige Strategien gelten übrigens nicht allein für die Töchter der Konzerne, sondern auch für die kleinen, spezialisierten Anbieter. Fokussiert haben sie bereits, die Größe müssen sie noch anstreben. Den kleinen, einst staatlichen Carrier hält McKinsey die Beispiel Sonera und KPN vor Augen. Der finnische Carrier hat sich als Mobilfunk- und Internet-Dienstleister aufgestellt. Und die niederländische KPN räumt ihrem Partner, dem US-Carrier Qwest, den Zugang zum europäischen Markt ein. Mit einem solch finanzkräftigen Investor im Rücken hat das Unternehmen das Kunststück vollbracht, und sich den deutschen Mobilfunker E-Plus für 18 Milliarden Mark geschnappt und dabei die France Télécom ausgebootet.

Sicher ist, dass sich das Bild des europäischen Marktes verändern wird. In nationalen Grenzen gefangene Carrier wird es künftig nicht mehr geben. McKinsey skizziert heute zwei mögliche Szenarien: Es wird starke regionale Anbieter ebenso wie globale Player geben. Vor allem im investitionsintensiven Festnetzgeschäft und in Märkten mit einem riesigen Kundenpotenzial streiten einige wenige mächtige Firmen um Marktanteile. Sie werden in friedlicher Koexistenz mit kleinen innovativen Anbietern leben, die Dienste über die Infrastruktur der großen Carrier vertreiben.

Denkbar ist zudem, dass sich die integrierten Carrier weiter aufspalten, es in den einzelnen Märkten jedoch zu einer Häufung von Hochzeiten und Akquisitionen kommt. Möglicherweise werden kleine, unabhängige und integrierte Carrier morgen nicht mehr existieren.

Abb: Je höher das Verhältnis aus Marktwert und Umsatz (links) , desto größer ist die Erwartungshaltung der Anleger in die künftige Entwicklung. Quelle: Mc Kinsey