Arbeitsplatz-Auswirkungen ambivalent:

Die Bundespost wirbt für Bildschirmtext

23.02.1979

MÜNCHEN (CW) - Ungefähr um die Jahrtausendwende wird die zweite industrielle Revolution zu Ende gehen, denn dann werden die physikalischen Grenzen der Integrationsfähigkeit elektronischer Schaltungen erreicht sein. Diese These vertrat Professor Hans Marko, Inhaber des Lehrstuhls für Nachrichtentechnik an der Technischen Universität München, in einem kürzlich gehaltenen Vortrag zum Thema "Kommunikation der Zukunft" . Auf der gleichen Veranstaltung warb die Bundespost mit einer Demonstrationsvorführung für ihr Projekt Bildschirmtext.

Es traf sich alles so gut: Aus der Mitte des Arbeitskreises Münchener Corporations-Altherrenverbände (AMC-AH) war das Begehren gestellt worden; der dafür zuständige Lehrstuhl der Technischen Universität (TU) München fühlte sich geehrt; und das Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen sah erklärtermaßen eine Chance, das Image der Post zurechtzurücken, sofern da jemand sei, bei dem das boshafte Bild von den "Bremsern auf dem gelben Wagen" (DIE ZEIT über die Post) haften geblieben war.

Am 8. Februar versammelten sich in einem Hörsaal der TU München mehrere hundert Zuhörer, um sich in zwei Vorträgen über zukünftige Kommunikationssysteme - vornehmlich Bildschirmtext - zu informieren. Das erlesene Auditorium bestand aus farbentragenden Alten Herren und Studenten, Vertretern aus Politik und Wirtschaft, Wissenschaftlern, Vertretern der OPD München, dem Rektor der TU, Prof. Ulrich Grigull, und last not least dein Alt-Bundespostminister Siegfried Balke.

Integrationsgrenzen elektronischer Schaltungen im Jahr 2000 erreicht

Im einführenden Vortrag wies Professor Marko auf die in allen Lebensbereichen zunehmende Bedeutung der Information hin, die es gerechtfertigt erscheinen lasse, von einer zweiten industriellen Revolution zu sprechen. In ruhigere Bahnen werde diese stürmische Entwicklung erst um das Jahr 2000 herum einmünden; dann nämlich stoße das stetige Erhöhen des Integrationsgrades elektronischer Schaltungen an physikalische Grenzen.

In einem kurzen Abriß stellt Marko die von der Post bereits vorgehaltenen oder erst geplanten Kommunikationsdienste, unterteilt nach Schmalband- und Breitbanddiensten, vor. Er schloß seine Ausführungen mit dem Hinweis darauf, die Schnittstelle "Mensch - Kommunikationssystem" erfordere in Zukunft verstärkte Aufmerksamkeit.

Ministerialrat Jürgen Kanzow, Referent für Breitbandkommunikation und Forschung im Bundespostministerium, hatte mit "Bildschirmtext" zwar ein Thema aus dem Bereich der Schmalbanddienste zu behandeln, doch konnte er dieses Handicap mehr als kompensieren, indem er sich gleich zu Anfang als ehemaliger Korpsstudent auswies.

Technologisch liegen England und Deutschland an der Spitze

Den äußeren Rahmen seiner Bildschirmtext-Show bildete ein speziell zu diesem Zweck installiertes (ITT-)Farbfernseher-Ensemble, das den Zuhörern von allen Plätzen des Hörsaals aus ein ungetrübtes Mitverfolgen der Demonstration ermöglichte. 24 Minuten und 16 Sekunden lang war der Münchner Hörsaal mit dem Fernmeldetechnischen Zentralamt (FTZ) der Bundespost in Darmstadt per Fernsprechleitung verbunden. Das FTZ fungierte als Bildschirmtextzentrale, mit der Kanzow (fast) so kommunizierte, wie es später jedem Bildschirmtext-Teilnehmer mit "seiner" Zentrale (zum Ortstarif) möglich sein soll.

Einige Erklärungen Kanzows seien hier herausgestellt:

- Bei der nächsten Berliner Funkausstellung kann man Bildschirmtext als Live-System erleben.

- Wissenschaftlich begleitete Feldversuche in Berlin und Düsseldorf stehen bevor.

- Technologisch liegen England und Deutschland an der Spitze; weit hinterher hinken die USA und Japan (hier große Schriftzeichenprobleme).

- Bildschirmtext wird die Kommunikation über eine X.25-Schnittstelle im Paketvermittlungsverfahren mit 64 Kilobit pro Sekunde ermöglichen.

- Die Arbeitsplatz-Auswirkungen von Bildschirmtext sind als ambivalent zu betrachten. Sicher dürfte sein, daß die Entlastung von Routinearbeiten den Angestellten beispielsweise in Banken und Reisebüros mehr Zeit für echte Beratungsaufgaben einbringt.