Novell profitiert vorerst nur wenig

Die Branche glaubt Unix jetzt bei der X/Open in guten Haenden

22.10.1993

MUENCHEN (CW) - Unix wird zum Qualitaetssiegel. Nach der Uebertragung der Betriebssystem-Bezeichnung von Novell an X/Open duerfen die Anbieter ihre Systeme nur noch dann Unix nennen, wenn sie die strengen X/Open-Richtlinien einhalten.

Zur Erleichterung der Branche endet der ueber Jahre erbittert gefuehrte Unix-Krieg nicht mit dem Sieg einer Partei, sondern mit einem Kompromiss, der zudem die Offenheit des Betriebssystems bewahrt. Mit X/Open garantiert jetzt ein als unabhaengig geltendes Industriekonsortium, dass es im Hinblick auf die Anwendungen nur noch ein einziges Unix gibt (vgl. CW Nr. 42 vom 15. Oktober 1993, Seite 1: "Kuenftig wacht X/Open ueber die Einheit und Offenheit von Unix").

"Wenn schon jemand die Rechte am Unix-Betriebssystem haben muss, dann lieber die X/Open als ein einzelner Hersteller", macht SCO- Marketier Frank Welsch-Lehmann seiner Erleichterung Luft und gibt damit die einhellige Meinung in der Branche wieder. Seine Freude ist um so groesser, als er noch vor wenigen Wochen befuerchten musste, Novell werde den Unix-Kernel gegen die Eingriffe der Anbieter abschotten. Anbieter wie SCO leben jedoch davon, dass sie den Kernel fuer die Beduerfnisse ihrer Kunden optimieren.

Hier liegt der eigentliche Wert der jetzigen Loesung. Die Hersteller koennen Unix weiterhin nach ihren Wuenschen optimieren, solange sie sich an die X/Open-Vorgaben halten.

Ebenso einheitlich wie Windows NT

Diese Vorgaben wiederum garantieren, dass Unix sich dem Benutzer und dem Anwendungsentwickler als ein ebenso einheitliches Betriebssystem praesentiert wie etwa Windows NT.

Von dieser Loesung, die sowohl den Wettbewerb als auch die Vereinheitlichung foerdert, wollte Novell lange Zeit nichts wissen, auch wenn Unternehmenssprecher das heute leugnen. Die Analysten der International Data Corp. (IDC), bestaetigen die Absicht Novells, nach der Akquisition des Unix-Herstellers USL die Unix- Gemeinde unter dem Dach ihrer eigenen Betriebssystem-Variante Unixware zu einigen.

An dieser starren Haltung scheiterte nach Informationen des britischen Brancheninformationsdienstes "Unigram" der erste Versuch eines Abkommens mit X/Open, wie es heute existiert. Mit einem Bonmot versuchte Novell-Gruender Ray Noorda vor drei Wochen, die Schuld dafuer auf Sunsoft-Chef Ed Zander abzuwaelzen. "Wir haben alles von A bis Z durchgesprochen", so Noorda, " Schwierigkeiten tauchten erst auf als wir zum Z kamen."

Laut "Unigram" haben die Verhandlungsfuehrer von Novell jedoch hartnaeckig darauf bestanden, dass das Unix-Betriebssystem Unixware vom XPG4-Standard der X-Open abweichen duerfe. Ausserdem habe der Unix-Besitzer ein Vetorecht fuer alle kuenftigen Entscheidungen ueber die Unix-Zukunft gefordert.

Nun, da sich die offenere Unix-Loesung durchgesetzt hat, konnte Novell von der Vereinbarung mit X/Open kaum profitieren. Als Bezahlung fuer das Unix-Branding hat die Organisation dem Netzwerk- Spezialisten lediglich fuer drei Jahre einen kostenlosen Sitz im Board of Directors eingeraeumt. Ausserdem muss das Unternehmen sogar auf die Lizenzeinnahmen fuer das Unix-Branding verzichten. Den finanziellen Wert des verlorenen geistigen Eigentums an Unix veranschlagt Novell/USL-Vice-President Don McGovern darueber hinaus mit weiteren 15 Millionen Dollar.

Angesichts solcher Daten glauben die IDC-Analysten allerdings nicht, dass die Netzwerker auf derartige Bedingungen eingegangen waeren, wenn sie nicht noch ein As im Aermel haetten. Die Branchenkenner vermuten vielmehr, dass die Abtretung des Unix- Brandings an X/Open Teil eines gross angelegten Plans zur Vermarktung von Unixware sein koennte.

Vorerst allerdings muss sich Novell - obwohl Lizenzgeber - wie alle Mitbewerber um das Unix-Zertifikat bemuehen. "Es waere eine unglueckliche Entwicklung", meldete Don McGovern bereits im Vorfeld der X/Open-Entscheidung seine Bedenken an, "wenn Novell seine Unix-Rechte abtritt, um dann moeglicherweise die von der Industrie geforderten Spezifikationen nicht erfuellen zu koennen."

Inzwischen gibt sich Novell - wie die Mitbewerber Siemens-Nixdorf, HP und IBM - optimistisch. Sie alle propagieren, dass sie zu den ersten gehoeren werden, die ihr Betriebssystem Unix nennen duerfen. Konkreter wird Workstation-Hersteller ICL. Das Unternehmen will bereits Mitte 1994 eine Unix-Version vorstellen, die Spec 1170 unterstuetzt (siehe Kasten). Ueberraschend gut im Rennen liegt die OSF mit ihrem OSF/1-Betriebssystem. Bisher galt diese derzeit fast nur von DEC unterstuetzte Unix-Variante als Aussenseiter. Da das Konsortium gerade erst eine SVID-Erweiterung vorgenommen hat und zudem zu den Hauptlieferanten der Spec-1170-Festlegungen gehoert, hat es den geringsten Aufwand fuer die Unix-Zertifizierung zu treiben. Die derzeit gueltigen X/Open-Bedingungen zum Tragen der Bezeichung Unix erfuellt OSF/1 laut Digital schon jetzt. Ob der Produktname veraendert wird oder ob die Bezeichnung Unix quasi als Attribut zu OSF/1 dazugesetzt wird, ist hier wie auch bei den meisten anderen Anbietern noch nicht geklaert. "Momentan fehlt uns nur noch die XPG4-Zertifikation - und die beantragen wir noch in diesem Jahr", verbreitet SCO-Marketier Welsch-Lehmann Optimismus, auch wenn das XPG4-Branding dem bisherigen Marktfuehrer fuer PC-Unix lediglich eine Atempause bis zum Ablauf der Uebergangsregelung verschafft. Voraussichtlich Ende 1994 muss die Santa Cruz Operation - wie auch die Konkurrenten - beweisen, dass ihr Betriebssystem dem Spec 1170 entspricht.