Die kaum glaubliche Geschichte des Mannes, der GRASP, EPAT, FLEET und GRASPVS erfand

Die Boyd Munro Story

23.01.1976

Es war einmal ein australischer Programmierer namens Boyd Munro. Geboren irgendwo im Hinterland des fünften Kontinents, Mathematik-Studium an der Uni Melbourne, dortselbst dann für zwei Jahre bei der IBM Australia. Als er 1967 mit 27 Jahren die Idee hatte, wie man durch ein Spooling-Verfahren aus 360/DOS-Anlagen erheblich mehr Throughput herausholen könnte, kündigte er, schrieb das GRASP-Programm - zunächst nur mit Unterstützung für einen Drucker - und bot es der IBM an - ohne Erfolg. Vielleicht suchte man mittlerweile bei der IBM den Schuldigen, der "nein!" sagte, denn GRASP wurde das erfolgreichste System-Software-Paket der Welt.

Von seinen Ideen überzeugt, ging Munro nach London, wo Freunde beim Flugzeughersteller Hawker Siddley ihm 360-Maschinenzeit gewährten, damit er das Programm verbessern konnte - Bedingung: Die Ergebnisse mußten der Firma kostenlos zur Verfügung stehen. Seither hat Hawker Siddley aus Dankbarkeit jede Erweiterung und Verbesserung des GRASP-Paketes umsonst erhalten.

Die ersten Billig-Kopien

Ansonsten wurde glashart verkauft, das heißt: vermietet. Denn selbst als 1969 das Produkt fertig war und auf das Beispiel Hawker Siddley verwiesen werden konnte, wo GRASP den Throughput um nahezu 30 Prozent verbesserte, wollte keiner kaufen, bestenfalls gegen geringes Entgelt mal testen. Munro machte aus der Not eine Tugend und entschloß sich, generell nur zu vermieten - damals für Systemsoftware ein ganz neuer Gedanke. Damit aber ging der Zwang einher, das Programm ständig verbessern zu müssen, um den Vorsprung zu wahren, denn als Erfolg sich abzeichnete, gab es auch bald die ersten Billig-Kopien. GRASP hingegen war immer schon teuer, startete mit nur wenig Features um monatlich 1000 Mark und kostet heute mit sehr vielem Drum und Dran leicht über 2000, wenn nicht gar 4000 Mark pro Monat.

1000 Installationen?

Seiner zwischenzeitlich in London gegründeten Software Design Ltd. folgten 1970 eine US-Firma Software Design Inc. und Verkaufsbüros in San Francisco, Los Angeles und New York. Binnen weniger Jahre konnte GRASP annähernd 1000mal - und viele behaupten, noch häufiger - verkauft werden, denn Lizenzen wurden für alle Industriestaaten vergeben. In Deutschland wurde GRASP von Cybernetics International, später GTE Information Systems vertrieben, bis 1975 diese Lizenz auslief und an die mittlerweile 1974 in München gegründete Software Design GmbH zurückfiel.

Die Saga vom Wunderprogrammierer

Alljährlich wurde GRASP verbessert. Munro arbeitete in nächtlichen Testzeiten wie ein Besessener. Job Accounting kam hinzu, Partition Balancing, Relocatibility, Catalogued Procedures und Spooling-Unterstützung für RJE. Anregungen kamen vielfach von Kunden, Boyd Munro, mittlerweile Chef eines hochspezialisierten Mitarbeiterteams, machte die Implementierung. Und schon bald bildete sich um den jungen, erfolgreichen Australier, der mit eigenem Piper-Flugzeug von Kundenbesuchen zu Programmtests eilte, eine Saga: Tatsächlich programmiert er gelegentlich an Adreß-Wählscheiben und Bit-Schaltern der Konsole - aber nicht immer. Tatsächlich bringt er zu Demos bei Kunden gelegentlich im Flugzeug eine Kiste Bier mit, die dann im RZ-Zwischenboden klimatisiert wird - aber nicht immer. Tatsächlich trägt er meist ausgebeulte Hosen und braune Lederjacke - aber nicht immer.

Richtig ist wohl, daß nur ganz wenige das DOS so kennen wie er, der nach eigenen Angaben gelegentlich nachts davon träumt und immer wieder Dinge findet, die man verbessern kann. Das allerneueste im GRASPVS ist ein "Paper Control Feature", das den völlig überflüssigen ganzseitigen Papiervorschub nach jedem Satz von JCL-Karten und Systemmeldungen unterdrückt und somit Unmengen von Papier spart - "weltweit ganze Wälder", wie Munro sich freut. Dennoch, der Wunderprogrammierer blieb glasharter Geschäftsmann.

EPAT und FLEET

Zunächst wurde diversifiziert. 1972 kam EPAT auf den Markt, das für die Arbeitsvorbereitung Magnetbänder automatisch kontrolliert und verwaltet, 1974 kam FMAINT, später nach Erweiterung auf FLEET umgetauft, als Quellenprogramm- und Bibliotheksverwaltung mit Funktionen zur logischen, multiprogrammingunterstützten Sicherung der Bibliotheken. Diese Systemsoftware wurde zunächst geschrieben, um die eigene Arbeit zu unterstützen, aus "Ärger, wenn man sieht, daß IBM Dinge nicht anbietet, die doch jeder braucht". Mittlerweile hat Software Design nämlich zur Unterstützung der GRASP-Kunden zwei eigene Rechenzentren (gekaufte 360/40) in den USA und in London, denn jeder Kunde erhält mit jeder neun GRASP-Version ein jeweils nach individuellen Parametern (Konfigurations-Daten) assembliertes GRASP-Tape, für dessen Erstellung jeweils bis zu 30 Minuten CPU-Zeit anfallen können. Des weiteren wird Maschinenzeit gebraucht, um die Produkte weiterzuentwickeln.

370 für Bermuda

Dafür vor allem wurde 1975 in Hamilton, Bermuda, ein Forschungs- und Entwicklungszentrum eingerichtet - unweit des Royal Bermuda Yacht Club -, an einer Hafenkaistraße, wo Munro und seine engeren Mitarbeiter, alle Australier wie er, Software Design International als Holding für die zahlreichen SD-Firmen in allen großen westlichen Ländern gründeten. Da IBM ihm mitteilen mußte: "Wir haben die 370 für Bermuda nicht freigegeben" - auf den verzauberten Inseln gibt es nur einige NCR-Maschinen -, entschloß sich Munro, zu seinen zwei 360-Systemen eine 370 hinzuzukaufen, gleich dazu auch einen IBM-Service-Techniker, mit dem er die Maschine in eigener Regie wartet. "Das ist auch erheblich billiger."

Im Dezember I975 stellte er auf einer internationalen Pressekonferenz, bei der aus Europa Computer Weekly und die Computerwoche vertreten (...), sein kleines Königreich einem Dutzend Fachjournalisten vor - nicht ohne Stolz: "Wir sind in diesem Geschäft die Besten und werden es bleiben." Als Beweis führt er an, daß er und seine derzeit vier Systemprogrammierer - weitere DOS-Spezialisten werden gesucht - die 370/135 mit 192 K ausschließlich für Weiterentwicklung bestehender und kommender Systemsoftware-Pakete nutzen.

"Wir bleiben bis auf weiteres beim DOS. Das ist teilweise so schlecht und unvollkommen, daß es noch unendlich viel zu verbessern gibt."

Auf die Frage, ob IBM's POWER/VS, das doch jetzt viele GRASP-Features bietet und zudem kostenlos ist, nicht GRASP-Kunden reumütig zur IBM zurückbrachte, antwortet Munro: "Es wurde Zeit, daß IBM ihr Spoolingpaket verbesserte. Aber wir haben das mit GRASPVS auch. Während wir früher verkauften, weil (...) in erster Linie zusätzliche Feature und Komfort boten, schlägt GRASPVS heute POWER/VS, weil wir mehr Performance bieten." Angeblich soll - von vielen zusätzlichen Leistungen wie Tuning-Hilfen und 3741-Unterstützung abgesehen - GRASPVS 27 Prozent schneller als POWER/VS sein. "Heute verkaufen wir, wie auch bei FLEET, über Schnelligkeit. The game has changed."