American Dream vs. deutsche Gründlichkeit

Die "bessere" Zukunft kommt NICHT aus dem Silicon Valley

Kommentar  24.02.2017
Von 
Guido Bosbach begleitet Organisationen jeder Art auf ihrem Weg in Richtung Zukunft der Arbeit. Seine Sicht auf kommenden Entwicklungen hat er mit Hilfe von 50 Mitautoren im Buch „ArbeitsVisionen2025“ veröffentlicht. Im Rahmen von „ZUKUNFTheute.verstehen |gestalten |begleiten“ arbeitet er in den Unternehmen an der Gestaltung ihrer organisationsindividuellen, nachhaltig tragfähigen Zukunft. Er ist Lehrbeauftragter für lösungsorientierte Führung und Unternehmenskultur an der HS Fresenius.
Das Silicon Valley ist berühmt und berüchtigt für seinen technologischen Vorsprung. Doch die digitale Technik alleine wird kein Unternehmen in die Zukunft führen.

Ich war zugegeben nie ein Fan von Vorstandsreisen ins „Tal der Träume“, vielleicht habe ich einfach selbst zu lange im Technologiebereich gearbeitet habe oder es liegt daran, dass das Managementverständnis dort so gar nicht das meinige ist. Insbesondere damit scheine ich nicht ganz alleine da zu stehen, wie ich dem Artikel von Arlat von Kittlitz in der „Zeit“ entnehme.

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Foto: Shutterstock.com - Malgara

Natürlich kann man südlich von San Francisco, gerade aus Sicht eines ansonsten persönlich eher toptechnologie-agnostischen Top-Managements Einiges mitnehmen. Man kann sich ansehen, an welchen Ideen Start-ups arbeiten, wie schwer entrepreneurische Leichtigkeit ist und vor allem kann man sich Argumentationshilfe dafür beschaffen, warum die Digitale Transformation für uns hier so wichtig ist - dies auch, weil oftmals so schmerzlich bewusst wird, dass wir den Entwicklungen dort um 5 - 10 Jahre hinterherhinken.

Natürlich geht es dabei immer um „die Zukunft“, konkreter die technologische Zukunft. Die jedoch hat mit einer „besseren“ Zukunft, wie wir sie und alle in der einen oder anderen Form erhoffen, sicherlich nur am Rande zu tun.

Haben Sie sich schonmal selbst gefragt:

Was ist Zukunft?

Was ist eine „gute“ Zukunft?

Was ist eine „bessere“ Zukunft?

Wie sieht meine „beste“ Zukunft aus?

Der Digitale Wandel - als einer der Treiber in diese „Zukunft“ - ist kein technologisches Ding. Der Wandel hat (mindestens) drei Komponenten, von denen „das digitale“ nur den aktuellen Auslöser für umfassende Entwicklungen darstellt.

Der Wandel beinhaltet zwar, wie die Nutzung von Technologie unser Arbeitsleben verändert, etwa indem ganz anders als vor 5 Jahren kommunizieren, zusammenarbeiten und uns immer mehr durch „Maschinen“ jedweder Form dabei unterstützen lassen. Er beinhaltet darüber hinaus - und das halte ich für viel wesentlicher - allerdings auch, wie wir durch die Nutzung dieser Technik neue Organisations- und Managementsysteme gestalten können (und müssen) und dabei uns selbst und der Zwischenmenschlichkeit Raum geben sollten.

Doch gerade diese letzten beiden Punkte lassen sich selbst bei einem 6-monatigen Tripp über den großen Teich nicht abkupfern - allein, weil sie dort oftmals auch nicht gelebt werden. Und selbst wenn dort alle Unternehmen auch in diesen Bereichen führend wären, würde der Versuch all das zu kopieren an den gleichen Problemen scheitern, wie schon vor 25 Jahren, als europäische (und damals auch amerikanische) Manager die Ansätze von Kaizen und - wie wir es heute nennen - „Lean" in Fernost zu internalisieren versucht haben: An den unterschiedlichen Kulturen, an unterschiedlichem Verhalten und unterschiedlichen Haltungen.

American Dream vs. deutsche Gründlichkeit

Der (wenn man genauer hinschaut maßlos überschätzte) amerikanische Traum, die Chance zu scheitern und wieder aufzustehen, das „Hire & Fire", das im Rampenlicht Stehen und viele weitere andere kleine Elemente der Kultur, die dem Valley zugrunde liegt, passen einfach nicht zur deutschen Gründlichkeit, dem schnurgeraden Lebenslauf, der beruflichen Kontinuität, dem Respekt (und manchmal Duckmäusertum) vor Alter und Stellung. Er passt einfach nicht zu den vielen kleinen Elementen unserer alten Kultur, unserer alten Sozialisierung und unserer alten Bildungs- und Managementsysteme.

Wir sind noch nicht an der Stelle angekommen, an der Ideen möglich sind und gewürdigt werden - egal von wem sie kommen -, wo Kreativität und Querdenken als wichtig und gut angenommen werden, wo alte Regeln ungestraft in Frage gestellt und reflektiert werden dürfen. Wir leben hier noch nicht in einem Land und einem Gemeinverständnis, das es gutheißt Neues auszuprobieren, Fehler und Irrtümer zu machen, daraus zu lernen und dieses Lernen womöglich öffentlich zu machen, damit alle daran partizipieren können.

Um an dieser Stelle zu kommen und mit „dem digitalen“ eine „bessere Zukunft“ für uns - und manchmal tatsächlich in jedem einzelnen Unternehmen - zu gestalten, brauchen wir Organisations- und Managementstrukturen, die zu uns passen, die diese Freiräume geben, die in der Lage sind den organisationsindividuellen Entwicklungsweg mitzugehen, sich den Gegebenheiten anzupassen und dennoch gleichzeitig den weiteren Wandel unterstützen. Wir brauchen dazu das Verständnis, wie die Systeme - die Technik, die Menschen und die sie umgebenden Strukturen - ineinandergreifen und was dies unterstützt, und was es behindert.

Noch etwas ist im Tal unserer Hoffnung anders, als wir es mit unserem Glauben an die Propheten aus dem ehemals wilden Westen wahrnehmen. Es geht dort im Kern nicht um Technologie. Es geht um Geld! Es geht nicht um DIE Zukunft der Menschheit, sondern um die Zukunft der Gründer, der CEOs, der Investoren und all jener, die nach der Gründung vor allem ihre Schäfchen im trockenen haben wollen. Denn attraktiv ist dieser amerikanische Traum noch immer! Gerade auch dort, wo, wie es aussieht, manche es eben doch geschafft haben. Wie bei jedem Goldrausch sieht man die Gewinner und vergisst die Verlierer.

Auch wenn es dort gelingt, Silizium zu vergolden, liegt hier bei uns anderes Gold auf der Straße. Doch scheitern wir noch immer daran, diesen Stein der Weisen zu erkennen und zu gebrauchen.