Lokale Netze und ihre Normierung in den internationalen Gremien:

Die Annäherung an weltweite Standards macht Fortschritte

06.07.1984

Am 20. September 1983 wurden von ISO/TC 97/SC 6 in Tianjin (Volksrepublik China) die IEEE-Standards für CSMA/CD und Token Bus als ISO Draft Proposal (DP) übernommen. Als Ergebnis der schriftlichen Länderabstimmung werden diese DPs voraussichtlich noch im Sommer 1984 den Status eines ISO Draft International Standards (DIS) erreichen. Damit hat die LAN-Standardisierung einen bedeutenden Schritt vorwärts getan.

Um dieses Ziel zu erreichen, bedurfte es allerdings der Bemühungen mehrerer Standardisierungsgremien und damit der jahrelangen Arbeit vieler LAN-Experten. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die beteiligten Organisationen.

Warum Standardisierung?

Die Vielfalt der LAN-Techniken hinsichtlich Topologie, Zugriffsverfahren, Medium, Datenrate etc. ist so verwirrend und die Zahl der angebotenen Systeme so groß, daß sowohl Anwender als auch Hersteller Hilfe in diesem Dschungel benötigen. Die Standardisierung einiger weniger LAN-Typen erleichtert die Auswahl, erhöht die Stückzahl und senkt damit die Preise für Komponenten und ermöglicht den Aufbau von Multivendor-Systemen.

LAN-Standardisierung bei IEEE und ECMA

Die Optimierung des Standardisierungsprozesses gelang bei LANs durch das Zusammenwirken mehrerer Gremien. Im Februar 1980 wurde vom Institute of Electrical und Electronics Engineers (IEEE) die Projektgruppe 802 gegründet mit dem Ziel, einen Standard für Lokale Netze zu erarbeiten. Die von den Firmen DEC, Intel und Xerox erstellte "Ether-Spezifikation", das sogenannte "Blue Book", wurde vorgelegt und galt aufgrund seiner sorgfältig definierten und erprobten Technik als aussichtsreicher Kandidat für einen baldigen Standard. Dem standen jedoch die Interessen der Token-Ring-Anhänger, insbesondere IBM, entgegen. Um den Konflikt zu lösen, wurde im Dezember 1980 entschieden, daß beide Zugriffsverfahren standardisiert werden sollten, und zwar gemeinsam, das heißt zum gleichen Zeitpunkt. Dies mußte zu einer unnötigen Verzögerung für CSMA/CD führen, da bezüglich Token Ring noch viele offene Fragen zu klären waren.

Deshalb beschlossen einige an Ethernet interessierte Europäer, eine LAN-Gruppe bei der European Computer Manufacturers Association (ECMA) zu gründen, was im November 1981 gelang.

Im Rahmen einer Liaison zwischen ECMA TC 24 (Communications Protocols) und IEEE 802 war es möglich den Standardisierungsprozeß zu beschleunigen. Bereits im Juni 1982 wurden von ECMA drei Standards für CSMA/CD verabschiedet und wenig später wurde auch von IEEE über das CSMA/CD-Dokument abgestimmt. Durch das Zusammenwirken von IEEE 802 und ECMA TC 24 wurde in relativ kurzer Zeit ein technisch einwandfreier Standard für CSMA/CD geschaffen. Etwas später wurde ebenfalls zuerst bei ECMA und dann bei IEEE der Standard für Token-Bus-Systeme verabschiedet.

Als Endziel der LAN-Standardisierung wurde die Anerkennung des IEEE-Standards durch die International Standard Organization (ISO) als weltweite Standards angestrebt.

ISO/TC 97/SC 6 hatte bereits 1981 das Thema LAN in seine Projektliste aufgenommen. Außer gelegentlichen Diskussionen über die Einbettung lokaler Netze in das ISO-Referenzmodell geschah jedoch nichts. Deshalb wurde ein ähnliches Vorgehen notwendig wie vorher bei IEEE. Zu Hilfe kam die Tatsache, daß innerhalb der International Electrotechnical Commission (IEC), einer Schwesterorganisation der ISO, ein neues Technisches Komitee TC 83 mit dem Titel "Information Technology Equipment gegründet wurde, in dessen Rahmen das Thema LAN paßte. Eine mögliche Abgrenzung zur ISO wurde zwischen den deutschen Spielegremien DIN (ISO) und DKE (IEC) diskutiert und akzeptiert.

Nun erinnerte sich ISO wieder an das Thema LAN und bestand darauf die IEEE-Standards zu bearbeiten. Eine Einigung zwischen ISO und IEC wurde unter der Bedingung erzielt daß die LAN-Dokumente innerhalb eines Jahres nach der Verabschiedung durch IEEE zu ISO-Standards werden. Diesem Abkommen ist es unter anderem zu verdanken, daß die IEEE-Standards für CSMA/CD und Token Bus bereits 1983 zu ISO DPs wurden.

Token Bus für Prozeßsteuerung

Von den in Abbildung 1 dargestellten Gremien ist die Rolle von IEC SC 65C noch nicht geklärt. Dieses - auch "Proway" genannte - Komitee befaßt sich seit Jahren mit der Standardisierung von Bussystemen im Industriebereich (Prozeßsteuerung). Der Name leitet sich von seinem Vorschlag für einen "Process Data Highway" ab. Die Anforderungen können jedoch auch von dem Token-Bus-Vorschlag (IEEE 802.4) im wesentlichen erfüllt werden.

Da es aus wirtschaftlichen (Chipentwicklung) und technischen Gründen wünschenswert ist, den zunächst für die Bürocomputer entwickelten IEEE-Standard auch in Industrieumgebung einsetzen zu können wurden in enger Zusammenarbeit der beiden Gremien einige Änderungen beziehungsweise Ergänzungen am Token-Bus-Standard vorgenommen, so daß dieser nun auch die "Proway"-Forderungen vollständig erfüllen kann.

Aktueller Stand der LAN-Standardisierung

Der gegenwärtige Status der LAN-Standards ist in Tabelle 1 zusammengestellt. Daraus geht hervor, daß die Standards für CSMA/CD und Token Bus von allen Gremien verabschiedet und damit einigermaßen stabil sind. Die relativ große Zahl der verfügbaren CSMA/CD- Controllchips beweist, daß diese Spezifikation sich in den letzten Jahren nur noch unwesentlich verändert hat. Damit ist ein wesentlicher Zweck der LAN-Standardisierung bereits erfüllt.

Ein weiterer, nämlich die Möglichkeit, Multivendorsysteme aufzubauen, soll von 15 überwiegend amerikanischen Herstellern auf der diesjährigen National Computer Conference demonstriert werden. Endgeräte dieser Hersteller werden Nachrichten über LANs (CSMA/CD und Token Bus entsprechend IEEE-Standard) austauschen. Während CSMA/CD als LAN für die Bürokommunikation vorgestellt wird, ist die für Token Bus gewählte Anwendung auf den Fertigungsbereich abgestimmt. Von der Anwenderseite sind Boeing an der CSMA/CD- und General Motors an der Token-Bus-Demonstration maßgeblich beteiligt.

IBM hat sich der Token-Bus-Gruppe angeschlossen, vermutlich weil der von IBM favorisierte Token Ring noch nicht als IEEE-Standard verabschiedet ist. Hierbei sind neuerdings wieder Schwierigkeiten aufgetreten, da einer Entscheidung des IEEE Exekutive Committee zufolge die Reihenfolge der Bitübertragung im Token-Ring-Dokument geändert werden soll, um mit den Standards für CSMA/CD und Token Bus konform zu sein.

Die Themen, welche bei IEEE 802 und ECMA TC 24 TGLN derzeit in Bearbeitung sind, beziehen sich einerseits auf eindeutige Installationsvorschriften für LANs, die je nach Typ verschieden und nicht immer einfach sind. Andererseits wird an Ergänzungen gearbeitet, wie zum Beispiel der Spezifikation von Repeatern, Einsatz anderer Medien (Lichtwellenleiter, flexibles Koaxialkabel) und Systemen mit niedriger Datenrate.

Hochgeschwindigkeits-LANs

Die Aufgabe der IEEE-Projektgruppe 802, LAN-Standards für die beiden untersten Ebenen des ISO-Referenzmodells (siehe Abbildung 3) im Geschwindigkeitsbereich von 1 bis 20 MBit pro Sekunde zu entwickeln, ist weitgehend abgeschlossen.

Die Mehrzahl der heutigen LANs liegt im Datenratenbereich unter 20 MBit pro Sekunde und ist damit für den Großteil der Anwendungen, insbesondere im Bürobereich, geeignet. Es gibt jedoch Anwendungen (zum Beispiel Kopplung von Mainframes) die höhere Datenraten erfordern. In den USA wurde bereits begonnen, LANs mit Datenraten über 50 MBit pro Sekunde zu standardisieren. Innerhalb des American National Standards Institute (ANSI) wird bei X3 T9.5 an zwei Vorschlägen für Hochgeschwindigkeits-LANs gearbeitet:

- LDDI (Local Distributed Data Interface), ein Koaxialkabel-Bussystem mit CSMA/CD (collision prevention) einer Datenrate von 70 MBit pro Sekunde;

- FDDI (Fiber Distributed Data Interface), ein LWL-Ringsystem mit Token Access und einer Datenrate von 100 MBit pro Sekunde.

Diese Aktivitäten werden von ECMA TC 24 interessiert verfolgt und möglicherweise bald als neues Arbeitsgebiet aufgegriffen werden. Das derzeitige Hauptinteresse der in der ECMA vertretenen Hersteller liegt jedoch noch bei LANs bis 10 MBits pro Sekunde und deren Kopplung mit anderen, insbesondere öffentlichen, Netzen.

ECMA TC24 hatte von Anfang an die Absicht, alle am Transport beteiligten ISO-Schichten zu bearbeiten.

Während die beiden untersten Schichten die eigentliche LAN-Technik definieren, sind die Netz- und Transportebenen davon unabhängig. Jedoch ist wegen der unterschiedlichen Eigenschaften von LANs und WANs (Wide Area Networks, entspricht im wesentlichen öffentlichen Netzen) die Protokollarchitektur sinnvollerweise bis einschließlich Ebene 4 unterschiedlich LANs werden charakterisiert durch kurze Entfernungen, extrem niedrige Bitfehlerraten und hohe Geschwindigkeiten, während öffentliche Netze durch große Entfernungen, niedrige Datenraten und relativ häufige Übertragungsfehler gekennzeichnet sind.

In einem Technischen Report (TR 14) wurde im ECMA TC 24 eine den LAN-Eigenschaften angepaßte Protokollarchitektur beschrieben, die in der Grundstruktur auch den heute existierenden realen Systemen (wie zum Beispiel Xerox Network System) entspricht. Fehlererkennung und -behebung, Flußkontrolle, Reihenfolgeprüfung werden nur in der höchsten Ebene des Transportsystems, das heißt in der Transportschicht, durchgeführt. Die Klasse 4 des ISO-Transportprotokolls (ISO DIS 8073) ist dafür geeignet und vorgesehen.

Diese Architektur wird auch von den amerikanischen LAN-Herstellern favorisiert. Die Multivendor-Demonstration auf der diesjährigen NCC hat auch die Zielsetzung, die Funktionsfähigkeit dieses Transportsystems zu beweisen. Oberhalb der Protokolle für CSMA/CD beziehungsweise Token Bus wird das ISO-Transportprotokoll Klasse 4 abgewickelt.

Von seiten der stärker Post- beziehungsweise CCITT-orientierten Hersteller wird jedoch vorgeschlagen, das Transportsystem eines LANs stärker den öffentlichen Netzen anzupassen. Ungeachtet der unterschiedlichen Eigenschaften von LANs und WANs soll, einer einfachen Kopplung wegen, gefordert werden, daß bereits in den Ebenen 2 und 3 verbindungsorientierte Protokolle implementiert, das heißt Fehlererkennung, Reihenfolgeprüfung und Flußkontrolle, durchgeführt werden. Quantitative Aussagen darüber, inwieweit dies den Datendurchsatz und das Verkehrsverhalten eines LANs verschlechtert, existieren bis heute nicht.

Noch in diesem Jahr: LAN-WAN-Gateway?

Im Auftrag des VDMA erarbeitet die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD), einen Protokollvorschlag für eine derartige Architektur und wird noch in diesem Jahr mit der Implementierung eines entsprechenden LAN-WAN-Gateways beginnen; Die praktischen Erfahrungen werden zeigen, ob dies die Protokollstruktur zukünftiger Lokaler Netze sein wird. Der ISO-Idee eines globalen Netzdienstes, der von allen unterschiedlichen Netzen erbracht wird, käme man damit allerdings näher.

*Ingrid Fromm ist bei der Firma Siemens im Bereich Privater Netze vor allem mit der LAN-Standardisierung befaßt. Sie vertritt das Unternehmen bei IEEE 802, ECMA TC 24, IEC TC 83 auf diesem Sektor und hat zwischen all diesen Gremien und zu ISO TC 97 SC 6 die offizielle "Liaison"-Funktion.