Management-Seminare sollen neue Erkenntnisse liefern, aber:

"Die anderen kochen auch nur mit Wasser"

01.04.1988

MÜNCHEN - Bundesdeutsche DV-Chefs drücken wieder die Schulbank. Doch weniger die fachliche Veranstaltung ist der Renner. Angesagt sind vor allem Themen mit strategischem Inhalt. Stimmt die Vorbereitungsphase der Teilnehmer nicht, gehen die DV-Entscheider häufig enttäuscht nach Hause. Wirklich unzufrieden mit dem Seminarangebot sind nur wenige, allerdings sind auch die Erwartungen nicht allzu hoch geschraubt. "Aha"-Erlebnisse erwarten die meisten schon seit langem nicht mehr.

Seminarveranstalter, die sich das Thema "Informations- oder Strategisches Management" aufs Panier schreiben, können derzeit mit einem regen Zulauf rechnen.

Um sich im Unternehmen als Informationstechnik-Manager durchsetzen zu können, tanken bundesdeutsche DV-Entscheider an den unterschiedlichsten "Nobel"-Adressen neues Know-how auf. "Dabei ist die wichtigste Erkenntnis eines Seminarbesuchs eigentlich die, daß die anderen auch nur mit Wasser kochen", meint Hans-Gerd Geisen, DV-Leiter, bei Deinhard & Co. in Koblenz. Entscheidend für die Qualität einer Veranstaltung ist für Geisen und seine Kollegen, daß die Referenten für die Probleme in ihrem eigenen Unternehmen bereits eine ganz passable Lösung gefunden haben.

Rudolf Nechutniß, Leiter Rechnungswesen/Org. bei der Maschinenfabrik J. M. Voith GmbH in Heidenheim, hält es für einen entscheidenden Vorteil, wenn die Vortragenden aus Unternehmen kommen, die vergleichbare Anwendungsprobleme plagen. "Ich muß bei dem Vortrag das Gefühl haben, mit genau dieser Situation kämpfen wir momentan auch." Angebotene Lösungen abkupfern, meint Eberhard Schaak, Leiter Org./DV MAN - B & W Diesel GmbH, Augsburg, sei nicht das Ziel, aber man bekomme doch ein Gefühl dafür, wo man mit den eigenen Überlegungen stehe.

Zwar sind sich die DV-Chefs darüber einig, daß nur hochqualifizierte Referenten gefragt sind - schließlich sitzen im Zuhörerkreis ebenfalls kompetente DV-Profis - auseinander geht indes die Meinung darüber, ob diese eher Praktiker oder Theoretiker sein sollten. Für den Praktiker plädiert Paul Maisberger, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit beim Control Data Institut in München. Er warnt davor, bei theoretischen Koryphäen auf große Namen hereinzufallen: "Es gibt Referenten, die tauchen immer wieder auf und halten zum Teil auch immer wieder denselben Vortrag." Maisberger: "Ich jedenfalls will lieber aus den Fehlern der anderen lernen, als mir tolle Konzepte anzuhören." Allein auf Erfahrung will Eberhard Schaak indes nicht setzen: "Die richtige Mischung macht ein gutes Seminar aus." Der Augsburger DV-Leiter befürchtet, daß sich bei einer Veranstaltung, die nur von Praktikern abgehalten wird, leicht "Pfuschereien" einschleichen könnten.

Fast wichtiger als das Seminar selbst, so der einhellige Tenor, ist die Vorbereitungsphase der Teilnehmer: Schließlich will man nicht auf einen wohltönenden Veranstaltungstitel hereinfallen. Der Ausbildungsprofi schlägt deshalb vor, sich vor Beginn einer Tagung mit Inhalt und Zweck des Seminars auseinanderzusetzen. Maisberger lakonisch: "Wer geht allerdings schon so exakt vor?" Ein Beispiel für Akribie ist Rudolf Nechutniß. Seiner Aussage nach bereitet er den Seminarbesuch tatsächlich sehr sorgfältig vor. Kriterien dabei sind: Kompetenz und Ruf des Veranstalters sowie der Referenten.

Eine ähnliche Sorgfalt läßt sich auch bei der Schleswag AG in Kiel beobachten. Zu den Auswahlkriterien der dortigen DV-Entscheider gehören vor allem die Erfahrungen, die bereits mit dem Anbieter gemacht wurden. In unbekannte Seminare, entsendet Miklos K. Hoffmann, Leiter Hauptabteilung DV, zunächst einmal einen Vorreiter: "Erst wenn dieser Kollege sein Okay gibt, kommt es für uns in Frage." Hoffmann hat mit Seminaren bisher wenig schlechte Erfahrungen gemacht und führt dies hauptsächlich auf die selektive Auswahl zurück. CDI-Sprecher Maisberger rät potentiellen Seminarteilnehmern, bei einer unklaren Inhaltsangabe noch einmal nachzuhaken. "Schließlich sind solche Veranstaltungen ja nicht gerade billig", so der Münchener Fachmann, "inklusive Tagungsgebühr, Übernachtung, Flug und Spesen kommen schnell 5000 Mark zusammen." Noch nicht mitgerechnet sei der Arbeitsausfall. Dafür könnten die DV-Verantwortlichen auch einen gewissen Gegenwert erwarten.

Für die Beurteilung eines Seminars spielt nach Meinung der Befragten auch die Erwartungshaltung des einzelnen eine entscheidende Rolle. Diese soll, so das realistische Fazit, nicht allzu hoch geschraubt werden, dann sei die Enttäuschung entsprechend geringer. Bekräftigt der Koblenzer DV-Profi Geisen: Auf das Erlebnis des sogenannten "I-Tüpfelchens" habe er lange genug gewartet. Die meisten DV-Entscheider sehen die Management-Seminare nicht nur als Weiterbildungsveranstaltung. So sind sie für den Kieler DV-Leiter Hoffmann vor allem eine "Informationsaustauschbörse" unter Kollegen.

Neben dem Erfahrungsaustausch wünscht sich DV-Experte Maisberger, daß es sich nicht nur um ein reines "Einweg-Seminar" handelt. "Vorne steht der Referent, legt hundert Folien auf, und am Abend gehen alle nach Hause." Genauso wichtig sei nämlich die Diskussionsmöglichkeit zwischen den einzelnen Vorträgen. "Allerdings gibt es Veranstaltungen, in denen die Diskussionen abgewürgt werden, weil das Mittagessen ruft - vielleicht aus Angst vor unangenehmen Fragen?"

Den Eindruck des jeweiligen Seminars prägt die Stellung des Teilnehmers im Unternehmen mit. Ist der Sachbearbeiter zufrieden, langweilt sich möglicherweise das Vorstandsmitglied. Da stellt sich freilich die Frage, wer von beiden Gruppen denn nun auf der richtigen Veranstaltung ist. Rudolf Nechutniß will den Schwarzen Peter für nicht seltene "Moserei" nicht nur den Seminaranbietern zuschieben: "Kollegen, die meckern, findet man überall. Nur sollten sie sich fragen, ob sie das Thema vorher sorgfältig genug ausgewählt haben." Der Heidenheimer DV-Chef kurz und bündig: "Wer lange genug im Job ist, dem darf ein solcher Mißgriff einfach nacht mehr passieren." Und gegen die Einstellung von Kollegen, die nur deshalb an der Veranstaltung teilnehmen, weil sie gerne reisen, könnte der beste Referent nichts ausrichten. Bekräftigt Maisberger: "Wer zuviel meckert, muß aufpassen, daß der Schuß nicht nach hinten losgeht." Miklos K. Hoffmann sieht das nicht so eng. Zu einem Seminar gehöre eben auch, "Sprüche zu klopfen."

Allerdings gibt es, darin sind sich die DV-Verantwortlichen durch die Bank einig, sehr wohl berechtigten Anlaß zur Kritik: Denn unter den Anbietern würden sich schon einige schwarze Schafe tummeln. Es wäre deshalb erfolgversprechender, Mängelrügen nicht unter der Hand in der Mittagspause auszutauschen. "Wenn einem etwas nicht paßt, sollte man auch den Mut haben, es während der Veranstaltung laut zu sagen", betont Miklos Hoffmann. DV-Chef Nechutniß würde es begrüßen, wenn die Referenten ihre Unterlagen bereits vor der Veranstaltung den Seminaranbietern überlassen würden. Nur so könne vermieden werden, daß einige der Redner ihre Standardvorträge vor dem Publikum ablesen. "Auf keinen Fall", betont DV-Experte Geisen, "darf eventueller Frust dazu führen, künftig keine Weiterbildungsveranstaltungen mehr besuchen zu wollen." Denn im großen und ganzen, so der einhellige Tenor, könne man mit dem Seminarangebot auf dem bundesdeutschen Markt doch recht zufrieden sein.