Betriebswirtschaftlich orientierte Ansätze fehlen

Die Anbieter sind immer noch zu sehr auf die Technik fixiert

28.06.1991

Seine Pionierphase hat der Softwaremarkt längst hinter sich gelassen. Doch die betriebswirtschaftlichen Probleme der Anwenderunternehmen finden auf der Anbieterseite noch wenig Gehör. Rolf Gawrich und Hans Jürgen Möller* beleuchten die Anforderungen eines sich wandelnden Marktes an die Produzenten von Standardsoftware.

Betriebswirte in Forschung und Praxis, die mit Softwaretechnologie in engere Berührung kommen, haben den Eindruck gewonnen, daß die Entwicklung von Standardsoftware-Lösungen eher auf Zufälligkeiten beruht. Zumindest aber, so haben sie festgestellt, spielen betriebswirtschaftliche Belange, insbesondere Anforderungen aufgrund neuer betriebswirtschaftlicher Paradigmenbildung, bei der Software-Entwicklung eine zu geringe Rolle. Eine Ausnahme bildet natürlich solche Anwendersoftware, bei der Kriterien aus der Betriebswirtschaft sowie aus dem Wirtschafts- und Steuerrecht die bestimmenden Konstanten sind.

Diese Vorwürfe lassen sich allerdings keineswegs nur von der einen Seite erheben. Auch innerhalb der betriebswirtschaftlichen Forschung müssen sich die Verantwortlichen die Frage stellen, wie sie rechtzeitig auf Entwicklungstrends der Standardsoftware reagieren und diese in die Entwicklungen neuer betriebswirtschaftlicher Konzepte integrieren können.

Die Komplexität der Probleme, denen die Unternehmen gegenüberstehen, wird durch die Geschwindigkeit des Wandels noch verschärft. Sie verlangt ein "strategisches Management", das sich beim Erfassen von Entwicklungen und deren analytischer Überprüfung auf umsetzbare betriebswirtschaftliche Konzepte verlassen kann.

Auf der anderen Seite sind die Formulierung und die Weiterentwicklung betriebswirtschaftlicher Konzepte dadurch noch stärker auf einen DV-Einsatz angewiesen, der weit über die Unterstützung für numerische Lösungen diverser Modellansätze hinausgeht. Zentrale Aufgaben des Managements lassen sich, wie Beispiele aus Controlling, Materialwirtschaft, Revision sowie Forschung und Entwicklung belegen, ohne eine kohärente, umfassende, transparente, schnelle sowie - insbesondere - sichere Informationsverarbeitung und -steuerung nicht mehr bewältigen.

Aufgrund der daraus resultierenden Erwartungen sowie des Konkurrenzdrucks in einem immer komplexeren Markt werden auch die Anbieter von Standardsoftware gehalten sein, ihre Innovationsfähigkeit nicht nur rein technologisch unter Beweis zu stellen. Diese Herausforderungen verlangen von den Softwarehäusern ein Produkt-Management, das diesen Namen verdient, Marketing-Konzepte, die die Erwartungen des Marktes tatsächlich erfassen, sowie eine Vertriebsstrategie und -organisation, die ihre Mittlerfunktion ernstnehmen .

Die Auseinandersetzung mit neuen Herausforderungen darf jedoch vorhandene Probleme nicht ignorieren. Einige der bestehenden Schwierigkeiten verdeutlichen bei intensiver Auseinandersetzung, wo die Grenzen der Reaktionsmöglichkeiten liegen; andere zeigen auf, wo die Softwarehäuser offensiv agieren müssen: Marketing-Studien zeigen, daß trotz zunehmender Anforderungen an den DV-Bereich die Skepsis wächst, ob die DV "in besonderer Weise" zur Lösung unternehmerischer Probleme beitragen kann. Zumindest ist die Euphorie vorüber.

Innovative Anpassungen im RZ und seinem Umfeld sind zudem mit einem tiefgreifenden Timing-Problem behaftet. In Phasen der unternehmerischen Hochkonjunktur fehlen Manpower und sonstige Kapazitäten, die Auslastung sinkt, und die Kosten stehen im Vordergrund . Es fehlt also das Budget für Neuanschaffungen.

Außerdem wird die für eine effiziente Nutzung von Standardsoftware unerläßliche Implementierungsstrategie häufig nicht oder nur halbherzig betrieben. Die Einführung von neuer Software soll zu Kostenvorteilen führen; ein zunächst zusätzlicher Aufwand läßt sich anscheinend nur schwer vermitteln.

Der Mangel an ausreichenden Implementierungsstrategien liegt nicht zuletzt in dem ständig wachsenden Aufgabenbereich des DV-Managements - Anwendungsentwicklung, RZ-Betreuung, Systemintegration, Ausbildung und Training - begründet, der, so die berechtigten Klagen, wenig Raum für "strategisches" Management lasse. Kein Zufall ist, daß sich fast zwei Drittel aller Unternehmen bei der Suche nach spezifischen Softwarelösungen und deren Implementierung auf externe Berater stützen müssen.

Ohne Implementierungsstrategie muß aber die Akzeptanz von Standardsoftware generell in Frage gestellt werden. Die Vorteile, die die Standardisierung bieten soll, verringern sich, wenn zur Anpassung an individuelle Wünsche des Anwenders umfangreiche Programmänderungen erforderlich sind (siehe dazu CW Nr. 41 vom 12. Oktober 90, Seite 20: "Standardsoftware - eine folgenreiche Entscheidung") .

Ein Beispiel für die hausbackene Bewertung von Standardsoftware-Lösungen stellen die Wirtschaftlichkeitsberechnungen vieler Betriebe dar. Zwar erlangt für die meisten Rechenzentren ein funktionierendes "Accounting-System" immer größere Bedeutung, wenn es darum geht, zu einer verursachungsgerechten Kostenrechnung zu gelangen.

Doch findet sich das Argument einer problemloseren Kostenzuweisung weder bei Anbietern noch bei Nutzern - obwohl auf diese Weise die Imponderabilien der Kostenberechnung für Systementwicklung und Programmierung reduziert werden könnten.

Das zentrale Problem dürfte aber bei einer Vielzahl von Unternehmen nach wie vor in der ungelösten "Integration" des DV-Bereiches und damit in der Organisation der vielfältig notwendigen Interdependenzen liegen .

Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob der DV-/RZ-Bereich als Dienstleistungsabteilung mit Accounting-System, als Profi- oder als Investment-Center organisiert ist; die Vor- und Nachteile dieser Organisationsformen sind bisher ohnehin zu wenig erforscht. Die Folgeprobleme ungeklärter "Integration" sind mangelnde Kommunikation, mangelndes Problemwissen - häufig aufgrund unzureichender Aus- und Fortbildung - sowie häufig auch banale Ignoranz.

Diese Herausforderungen, verbunden mit den aufgezeigten Problemen, werden die Anbieter von Standardsoftware zunehmend beschäftigen müssen. Noch basiert die Stellung dieser Häuser nur auf der Technologie. Notwendig ist zweifellos ein engeres Zusammenwirken von Entwicklung und Marketing, insbesondere der Marktforschung, also ein funktionierendes Produkt-Management.

Dies verlangt unter anderem ein gründliches Überdenken bestehender Vertriebsstrategien und -formen. Auch wenn der Erfolg des Vertriebs und des einzelnen Verkäufers mit seinem spezifischen Persönlichkeitsprofil betriebswirtschaftlich und sozialwissenschaftlich letztlich nicht erfaßbare Elemente enthält, kann festgestellt werden, daß sich die Aufgaben des Vertriebs noch stärker in Richtung Beratung und Vermittlung verlagern werden.

Auch als Instrument der Marktforschung muß der Vertrieb mit seiner Nähe zum Kunden intensiver - zum wechselseitigen Vorteil von Produzent und Kunde - genutzt werden. Im Gegensatz zur Pionierphase der Softwarehäuser hat der Vertrieb auf diese Entwicklung vorbereitet zu sein.

Das heißt heute: Er muß darauf vorbereitet werden. Aus- und Fortbildung verlangen Konzepte und Umsetzungen die einer stärker betriebswirtschaftlich orientierten und geprägten Datenverarbeitung Rechnung tragen.