DEC am Scheideweg - Mips vor dem Aus?

"Die Alpha-CPU könnte auch für ACE-Mitglieder interessant sein"

28.02.1992

MÜNCHEN (jm) - "Für uns ist Alpha die wichtigste Ankündigung der DEC-Firmengeschichte, sie ist noch wichtiger als die Einführung der VAX." Die Aussage von Wolfgang Stübich, Leiter Marketing für die Alpha-CPU bei der Digital Equipment GmbH in Unterföhring bei München, macht deutlich, daß es für DEC mit dem selbstentwickelten RlSC-Chip ums Ganze geht. Mit dem Erfolg dieser Prozessorgeneration scheint die Zukunft des Minicomputer-Herstellers aus Maynard, Massachusetts, aufs Engste verknüpft zu sein.

Die technologischen Einzelheiten der 64-Bit-Architektur wurden schon in den letzten

Wochen von der Presse kolportiert. Die jetzt präsentierte stabile 150-Megahertz-Version -

intern unter der Bezeichnung "E:V4" geführt - hört offiziell auf den Namen "21064", was

Programm sein und gleichermaßen den Anspruch verdeutlichen soll, den DEC mit

dem RISC-Chip erhebt: Akronymisch weist die 21 auf das nächste Jahrhundert, in welchem

DEC die Alpha-Technologie "per Quantensprung" angesiedelt wissen will. 64 steht für die

Bit-Breite des RISC-Chips, die Null ist Platzhalter für zukünftige Produktauszeichnungen.

Prototypen (EV5) eines mit 300 Megahertz getakteten Alpha-Prozessors würden - sollten sich die von DEC angegebenen 200 Specmarks realisieren - in der Tat in neue Rechenleistungsdimensionen stoßen.

Achim Apel, Leiter des strategischen Vertriebsprogrammes in Sachen Alpha, versuchte sich vor der Presse denn auch gleich in Abgrenzungen gegenüber Konkurrenzprodukten: Die 150-Megahertz-Version erziele 100 Specmarks, als Prototyp und kurz vor der Serienreife existiere auch schon die 200-Megahertz-Variante (150 Specmarks). Demgegenüber seien bei Spitzenprodukten von Intel schon bei 50 Specmarks die Kapazitäten ausgeschöpft.

Hellhörig macht aber vor allem die Bemerkung von Digital Equipment, die RISC-Hardwareplattform des ACE-Konsortiums - der Mips-RISC-Prozessor - sei bei 100 Specmarks ausgereizt: "Da fangen wir erst an", stellt Apel klar. Sein Kollege Stübich konnte auf Nachfragen denn auch nicht abstreiten, daß DEC mit der Alpha-Entwicklung unter Umständen Konfliktpotential in das Industriekonglomerat hineinträgt: "Alpha ist möglicherweise auch für andere ACE-Mitglieder interessant." Beide DEC-Mitarbeiter bemühen sich jedoch, den Eindruck zu verwischen, mit Digitals Alleingang könne der ACE-Initiative ein derber Schlag versetzt werden.

Zumindest Apels Aussage, "ACE ist im Gegensatz zu Alpha softwarebasiert", beide Architekturen kämen sich deshalb nicht ins Gehege, hält einer Prüfung nicht stand. Die 21 ACE-Gründungsmitglieder hatten im Frühjahr 1991 vor der Presse ausdrücklich betont, daß die Industriegruppe nicht nur auf eine Vereinheitlichung der divergierenden Betriebssystem-Welten auf SCOs ODT-Unix-Umgebung und Microsofts NT-Entwicklung ziele.

Den Anwendern wolle man vielmehr auch insofern aus Entscheidungsengpässen heraushelfen, als mit der Intel-CISC- und Mips-RISC-CPU eine Einschwörung auf zwei für ACE-Mitglieder verbindliche Hardwareplattformen geschaffen werde. Chuck Boesenberg, damals President von Prozessorentwickler Mips, versprach Usern, die Zeit der Unklarheiten über sich am Markt durchsetzende Standards und Architekturkonzepte sei mit ACE vorbei.

Kubota-Lizenznehmer gefährdet ACE-PIattform

Ein deutliches Zeichen in dieser Diskussion hat allerdings Cray Research gesetzt: John Rollwagens Company wurde schon seit längerem als heißer Lizenznehmer-Kandidat für die Alpha-CPU gehandelt. Auf der Pariser Supercomputer-'92-Messe fanden diese Gerüchte jetzt ihre Bestätigung, Cray wird in zukünftigen massiv-parallen Superrechnern DECs RlSC-Entwicklung verwenden. Mit den Worten: "Wir haben alle RISC-Architekturen auf ihre Tauglichkeit und Leistungsfähigkeit intensiv geprüft, und da blieb dann nur noch der Alpha-Chip übrig", gab Rollwagen pikanterweise auch Sun einen Korb. Deren Sparc-Prozessor arbeitet in den Parallelrechner-Systemen "Series 500" der von Cray Research aufgekauften Floating Point Systems. Rollwagens Begründung gibt der Alpha-Implementierung nun den Segen von anerkannter Seite.

Unklar ist bislang noch, wer als Second-Source-Partner neben DEC die Prozessoren produzieren wird. "Wir haben uns die wenigen in Frage kommenden Unternehmen am Markt angesehen, Verträge sind allerdings noch nicht unterzeichnet", beschreibt Stübich den Stand der Dinge. Branchenbeobachter glauben, daß Digital sich bei der Suche nach einem Partner schwer tun wird. Nicht zuletzt dürften die extrem hohen Anfangsinvestitionen eine Hemmschwelle für den Schulterschluß mit DEC sein. Hierzu Apel: "Allein für den Bau der Produktionsstätte des 300-Megahertz-Prozessors auf 0,5-Mikron-Basis mußten wir etwa 460 Millionen Dollar locker machen."

Nur DEC sei momentan in der Lage, das Alpha-Allround-Talent zu produzieren, auf dem sowohl VMS ("Open VMS"), als auch Ultrix und die SCO-Unix-Variante in der OSF/1-Implementation ablauffähig sein sollen, ferner DOS und Windows über Windows-NT. Bei den Japanern winkten die DEC-Manager indirekt ab: Die Söhne Nippons würden, was ihre technischen Fähigkeiten betrifft, immer wieder überschätzt, Geld hätten sie zwar, aber ob sie in der Lage seien, die von DEC entwickelte extreme Submikron-Technologie zu produzieren, sei durchaus fraglich. Entgegen dieser Aussage scheint sicher, daß die Kubota Ltd. aus Japan erster Lizenznehmer des Alpha-Chips sein wird. Das wäre insofern pikant, als ACE-Mitglied Kubota im Juni 1990 einen Deal mit der Mips Computer Corp. bekanntgab, wonach sie für die Amerikaner deren RISC-Prozessor produzieren würden.