Die Anwender bis 1981 vertröstet:

Die /38 zielt auf den Snob-Appeal

23.11.1979

HANNOVER - Der Marktserreißt sich das Hemd - IBM selbst verhält sich nach außenhin wie die berühmten drei Affen: Sie hört nichts, sieht nichts, sagt nichts. Die Ursache für dieses Verhalten auf Anbieter-, Nachfrager- und Marktbeobachterseite dürfte klar sein: Genau vor einem Jahr kündigte der IBM-Geschäftszweig Basisdatenverarbeitung auf der Orgatechnik 1978 in Köln das Datenbank-System /38 an. Jetzt sollte es ausgeliefert werden - wird aber nicht: Und daraufhin entwickelte sich bundesweit, gelinde gesagt, eine Unruhe im Kundenkreis.

Selten kommt es vor, daß ein bedeutendes deutsches Nachrichtenmagazin Produkten aus dem Bereich der Büro-und Informationstechnik eine Story widmet.

Der /38 von IBM kam im "Spiegel" 36/1979 diese zweifelhafte Ehre zu "Langsamer Denker". Auch Fragen wie die, die ein Vertriebsbeauftragter des Marktführers öffentlich stellte, gehören kaum zum Alltag: "Wir wissen allmählich echt nicht so recht, wieso die Kunden weiter so irre bei uns ordern, ohne daß die IBM das Produkt schon richtig da hat, oder gar zeigen und einsetzen kann."

Die /38 wurde allerdings life gezeigt, damals in Köln '78, und den Kunden die Lieferung ab 3/79 versprochen.

Sogar Rolf-Dieter Leister, seinerzeit Leiter des Geschäftszweigs "Basisdatenverarbeitung" bei der IBM Deutschland, also damals verantwortlich für den Vertrieb der /38 und jetzt Boß bei IBM für die Groß-DV, hat ungute Gefühle: "Ich hätte lieber erst die Sache mit dem System /38 in Ordnung gebracht, und erst später meinen neuen Job angetreten." Nur, Leister ist weder für "die peinlichen Planungsfehler" (so der "Spiegel") bei der Liefer-Verzögerung des Systems /38 letztverantwortlich, noch hat er seinen Job-Wechsel allein in der Hand.

Die jetzige Kundenmisere im Umfeld der /38 ist keine rein deutsche Angelegenheit. Ein Schweizer IBM-Kunde mit deutschen Filialen (Getränkehandels-Gesellschaft) äußert: "Ich weiß überhaupt nicht, ob ich jemals für unsere deutsche EDV-Zentrale oder auch nur für mein Stammhaus die /38 bekommen kann."

Ihm ist die Botschaft bekannt: Die schon im Oktober 1978 in Köln bestellte und für September 1979 versprochene Maschine wird erst im Februar 1981 (in Worten: neunzehnhundertundeinundachtzig) von IBM geliefert, und zwar an C. Weißhaupt von der Osnadat GmbH in Osnabrück. "Nach der unumstößlichen Information standen wir ganz schön auf dem Schlauch", so der EDV-Leiter der Dienstleistungs-GmbH in Osnabrück.

Ähnlich geht es Unternehmen diverser Branchen und fast überall im Bundesgebiet. Ein gut informierter, langjähriger IBM-VB, unlängst dort ausgeschieden, meint: "Das hat es bei der IBM Deutschland in diesem großen Stil noch nie gegeben."

Die Konkurrenz frohlockt

Nach dem Motto, "da freut sich der dritte", ergreift die IBM-Konkurrenz in diesem Marktsegment die Strategie nach vorn. Henri Aebischer, Produkt Marketing-Spezialist in der Pariser Europa-Zentrale von Data General, erklärt dazu: "Natürlich gehen wir jetzt bei diesem /38er-Fall verstärkt in den kommerziellen Bereich bei den mittelständischen Unternehmen - gerade in der Bundesrepublik." Liefer- und Verfügbarkeits-Hinweise, extra wegen der augenblicklichen angespannten Liefersituation bei der IBM /38, gibt es denn auch zuhauf seitens der Mitbewerber des Marktführers. So bei Kienzle oder CII Honeywell Bull. "Unsere Anlagen stehen heute schon in vollem Umfang zur Verfügung, nicht erst in einigen Jahren" - dieser deutliche Hinweis steht auf einer Einladungskarte des letztgenannten Herstellers zu einem Kunden-Seminar in Hannover.

Gezielt wird von der Konkurrenz auch auf die Datenbank-Konzeption des Systems /38. Datenbanken und Netzwerke müssen nach CII HB "sehr viel können", sollen sie "Datenbank-Computer genannt werden".

Die auf bis zu zwei Jahren verschobene Lieferung der /38 läßt auch ganz andere Gruppen auf dem Bit-Markt optimistisch in die Zukunft schauen. So meint der Inhaber der Computer Systeme Müller (CSM), Horst Müller aus Hemmingen bei Hannover: "Alle diese Leute kommen in der Not zu uns." Mit Alternativen, wie einer 370-125, -135 oder einer /3, Modell 12, wollen /38-Geschädigte die lieferlose /38-Zeit überbrücken.

"Die Leute hängen buchstäblich in der Luft, sie wissen nicht, was tun", erklärt der Hemmingener. Bei Müller kaufen sie dann nicht selten aufgearbeitete Systeme /3. Wenn auch genau das Müllers Geschäft ist, fragt sich der Markt-Kenner und Second-hand-Computer-Profi nun genau das, was viele IBM-Geprellte im Markt zu dem /38-Desaster denken: "Bei jeder neuen, lange im voraus angekündigten Maschine, und wenn sie noch so sehr mit Software-Problemen behaftet ist, stürzen sich die Leute mit einer solchen Wucht auf IBM und verlassen sich auf deren Aussagen - warum? Eigentlich müßten sie doch längst wissen, was da Sache ist."

*Georg Wadehn ist freier EDV-\fachjournalist in Hannover.