Koordinationsbestrebungen der öffentlichen Verwaltung:

Dezentralisierung und Portabilität

30.05.1980

MÜNCHEN (gr) - Die fehlende Übertragbarkeit von Anwendungssoftware stellt besonders für die vielschichtige öffentliche Verwaltung ein Problem dar. Nicht nur die Bundesregierung befaßt sich in ihrem Fördeprogramm mit seiner Lösung. Ursula Schrader-Gaddum aus dem Bundesministerium des Innern weist in nachfolgend abgedrucktem Vortrag auf die Ansätze hin, die die Behörden über Koordination und Normung selbst in Angriff nehmen Langfristig, so meint die Referentin, ist die Übertragbarkeit von Software nur auf Grundlage international abgestimmter Normen zu lösen.

Für die Zusammenarbeit der öffentlichen Verwaltung in übergreifenden DV-organisatorischen und -technischen Fragen besteht ein Kooperationsausschuß ADV Bund/Länder/ Kommunaler Bereich (KoopA ADV). Dem KoopA ADV gehören für den Bund der Bundesminister des Innern, für den Länderbereich die jeweiligen Koordinierungsstellen der Länder, aus dem kommunalen Bereich die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung und die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände an. Bei den Beratungen des KoopA ADV nimmt die Abstimmung in DV-Standardisierungsfragen und Normung einen breiten Raum ein. Hierbei fällt dem Bundesminister des Innern insbesondere die Aufgabe zu, auf die Entwicklung geeigneter Normen aus der Sicht der DV-Anwendung hinzuwirken sowie die Nutzung dieser Normen für technische Regelungen in Rechts- und Verwaltungsvorschriften und bei Beschaffungsvorgängen durch Stellungnahmen und Empfehlungen zu fördern.

Portabilität - im Sinne von "Anpaßbarkeit" an unterschiedliche Trägersysteme (Hardware und Basissoftware) - sehe ich als Qualitätsmerkmal eines Softwareproduktes an, das erst in Verbindung mit weiteren, ebenso wichtigen Software-Eigenschaften Bedeutung erlangt.

Die gegenwärtige Situation zum Problemkreis Portabilität von Anwendungssoftware läßt sich mit einem Satz beschreiben:

Das Problem ist das Fehlen der Portabilität!

75 bis 80 Prozent der Programmierkapazität bei den Anwendern ist allein für Wartungs- und Umstellungsarbeiten gebunden.

Software-Standards für Schnittstellen

Die Lösung des Problems wird in einer Verbesserung softwaretechnologischer Methoden, im Einsatz von Standard-Anwendungssoftware und der Verbesserung der Software-Qualität gesehen. Es müssen Software-Standards erarbeitet werden, um Schnittstellen als Voraussetzung für die Portabilität der Anwendungssoftware zu definieren.

Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung (Quelle: GMD-Spiegel, Sonderheft November 1979) nennt folgende Zahlen als durchschnittlichen Anteil der Anwendungssoftware am Gesamtumsatz: Bezüglich der großen und mittleren DV-Anwender wird angenommen, daß vor allem die Nachfrage nach Standard-Anwendungssoftware steigt. Auch die kleinen DV-(Neu)Anwender werden sich vermutlich am Anwendungssoftware-Markt versorgen und ihre Nachfrage vor allem auf Standard-Lösungen richten. Nach Ansicht der befragten Software-Marktexperten können sich auf diese wesentlichen Nachfragetendenzen vor allem die Hardware-Hersteller und die größeren Softwarehäuser einstellen. Weiter heißt es in der Studie, die Software-Branche werde die vorhandenen Wachstumschancen nicht ausschöpfen können, da ihr technisches Know-how und ihr wirtschaftliches Leistungspotential begrenzt seien.

"Flaschenhals: Software" noch länger aktuell

Somit muß also davon ausgegangen werden, daß das Wort vom "Flaschenhals: Software" noch längere Zeit aktuell sein wird. Die Herstellung von Software ist personalintensiv, risikoreich und teuer. Immer häufiger hört man auch das Wort von der "Softwarekrise". Damit wird ein Zustand umschrieben, bei dem Betriebssoftware oder große Anwendungssoftware einen so hohen Komplexitätsgrad erreicht hatten, daß Änderungen an einer Stelle Fehler oder Verschlechterungen an anderer Stelle nach sich ziehen. Nur ganz wenigen Spezialisten gelingt es, den Gesamtzusammenhang der Softwarekonstruktion zu durchschauen.

Nach dem allgemeinen Stand der Erkenntnis muß das Gesamtsystem so konzipiert sein, daß separierbare und für eine Mehrfachnutzung geeignete Teile entstehen. Diese Teile können dann auch arbeitsteilig entwickelt und gepflegt werden. Zur Schaffung solcher autonomer Teilsysteme, die miteinander korrespondieren können bedarf es der Vereinbarung von Schnittstellenbedingungen.

Begünstigt wird diese Entwicklung durch die enormen Fortschritte in der Hardware, die zu erheblichen Verbesserungen im Leistungsstandard bei gleichzeitiger Reduzierung der Preise geführt haben. So ist anzunehmen, daß sich die neuen technischen Entwicklungen auf die Programmiertechnik auswirken und zu neuen Gütekriterien bei der Programmierung führen werden. Nicht mehr die speicherplatzsparende Programmierung wird vorrangiges Ziel sein, sondern Anpassungsfähigkeit, Verständlichkeit, Änderbarkeit, Funktionssicherheit und Kontrollierbarkeit der Software. Dies führt zwangsläufig zu Verbesserungen hinsichtlich der Gebrauchsfähigkeit und Zukunftssicherheit von Anwendungs-Software, wobei die Kontrollierbarkeit der Software auch unter Datenschutzgesichtspunkten von besonderer Bedeutung sein wird.

Die Regierung nennt einige Eigenschaften, die auf längere Sicht für die DV-Anwendung wichtiger werden als die alten, an der Technologie orientierten Leistungsmerkmale:

- Die Herstellerbindungen lockern

- die Informationstechnik leichter beherrschbar machen

- den Zugang zur Informationstechnik erleichtern

- die Verarbeitungsvorgänge transparenter und nachvollziehbar machen - ihre Zuverlässigkeit und Sicherheit erhöhen

- sie möglichst unempfindlich machen gegen technische Störungen und Bedienungsfehler

- sie flexibel an die Arbeitsanforderungen anpassen und

- in die Organisationsstrukturen integrierbar machen

In der öffentlichen Verwaltung sind bereits Schritte in diese Richtung getan, die auch dazu beitragen können, das Portabilitätsproblem in den Griff zu bekommen. Die Dezentralisierung der DV-Anwendung und die Schaffung der Voraussetzungen für standardisierte und portable Anwendungssoftware müssen Hand in Hand gehen. Die Entwicklungsprobleme verlagern sich zwar zur Zeit von der Hardware auf die Software; bei der Standardisierung wird aber zu berücksichtigen sein, daß die Grenzen zwischen Hardware und Software im Zuge der technischen Weiterentwicklung fließend sind.

In folgenden Fällen wirkt sich das Fehlen der Portabilität aus:

- Systemänderungen (Hardware oder Software) durch den Hersteller die Änderungen in der Anwendungssoftware mit sich bringen

- Systemwechsel (Hardware oder Software) innerhalb der Systeme eines Herstellers, sofern der Hersteller nicht für Kompatibilität zwischen seinen Systemen sorgt

- Herstellerwechsel, meistens mit Umprogramierung der Anwendungssoftware verbunden

- Mixed-Hardware oder -Software ergeben Schnittstellenprobleme, falls standardisierte Schnittstellen nicht vorhanden sind oder nicht eingehalten werden.

Alle diese Probleme erfordern in der Regel einen erheblichen Anpassungsaufwand, wenn nicht die Anpassungsfähigkeit der Software von Anfang an Bestandteil der Gesamtkonzeption ist. Durch das Akzeptieren firmenspezifischer Standards begeben sich die Kunden nun einmal in eine weitreichende Abhängigkeit von Herstellerentscheidungen.

Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung

In der öffentlichen Verwaltung dient die Anwendungssoftware dem Verwaltungsvollzug und der Bereitstellung von Planungs- und Entscheidungshilfen für Parlamente, Regierungen und Verwaltungen. Die Nutzung von DV-Leistung ist für das Verwaltungshandeln unverzichtbar geworden. Diese Tatsache hat bei den Verantwortlichen das Bewußtsein für Maßnahmen zur Kostendämpfung und Kontrolle der Datenverarbeitung gestärkt. Dies wiederum führte dazu, daß sich der Kooperationsausschuß ADV Bund/Länder/Kommunaler Bereich mit der Festlegung von Schnittstellen zwischen Anwendersoftware und Herstellersoftware und mit anderen Regelungen zur Erzielung einer systemneutralen Anwendungsprogrammierung befaßt hat.

Folgende Regelungen sind geeignet, zur Portabilität von Anwendungssoftware beizutragen:

- Verwendung höherer Programmiersprachen und Verzicht auf maschinen- und herstellerspezifische Sprachen

- Beschränkung auf die genormte Menge aus dem Befehlsvorrat der gewählten Programmiersprache und Einsatz normenkonformer Compiler wie

ALGOL DIN 66 026

FORTRAN DIN 66 027

COBOL DIN 66 028

PL/I DIN 66 255 E.

- Parametrisierung von Konstanten

- Trennung von technischen und logischen Programmfunktionen

- Verzicht auf spezielle Abhängigkeiten von der Systemumgebung

- Konzentration der unvermeidbaren Abhängigkeiten in einem oder wenigen Programmbausteinen (das gleiche gilt für änderungsanfällige Komponenten wie Fehlerbehandlung)

- Festlegung über Programmstruktur und Struktur von Programmbausteinen

- Genormter Programmablauf für die Verarbeitung von Dateien nach Satzgruppen gemäß DIN 66 220 (Gliedern des Programmablaufs in bestimmte Programmbausteine, Bilden von Satzgruppen, Reihenfolge der Verarbeitung von Satzgruppen). Entsprechende Norm für die Verarbeitung von Daten aus Datenbanken ist in Vorbereitung.

- Verwendung kompatibler Basissysteme für Dateiverwaltung, Datenbankverwaltung und Datenkommunikation sowie Einhaltung entsprechender Schnittstellen in den Anwendungsprogrammen

- Anwendung genormter Beschreibungsmittel wie

Sinnbilder für Datenfluß und Programmablaufpläne DIN 66 001

Entscheidungstabelle DIN 66 241

Programmdokumentation DIN 66 230 E

Datei- und Datendokumentation DIN 66 232 E

(Erweiterung für Datenbanken ist in Vorbereitung)

- Verwendung nichtprozeduraler Beschreibungsmittel bei der Dokumentation der logischen Programmfunktionen

- Programmaustausch auf genormten Datenträgern, im genormten Code, entsprechend den Normen für Datenaustausch (Kennsätze, Dateianordnung, Code) wie

für Magnetband DIN 66 029

für Magnetbandkassetten DIN 66 229

für flexible Magnetplatten (Disketten) DIN 66 239 E

Code DIN 66 003

Entkopplung von Anwendungsprogrammen

Kompatible Basissysteme sind Dateiverwaltungssysteme, Datenbanksysteme und Datenkommunikationssysteme, zu denen auf der Basis der Kompatiblen Schnittstellen direkt oder mit Hilfe von Umsetzern ein Zugang für Anwender realisiert wird. "Kompatible Schnittstellen" ist der Oberbegriff für folgende Schnittstellentypen, die aufwärtskompatibel und ausbaufähig konzipiert wurden:

KSDS: Kompatible Systemdateischnittstelle

KDBS: Kompatible Datenbankschnittstelle

KDCS: Kompatible Datenkommunikationsschnittstelle

Der Anwendungsprogrammierer verwendet jeweils die in den Schnittstellenbeschreibungen definierten Sprachmittel ohne Kenntnis davon haben zu müssen, wie sie im einzelnen herstellersystemspezifisch realisiert sind. Durch die Entkopplung von Anwendungsprogrammen und Herstellersystemen wird in der öffentlichen Verwaltung eine Trennung des Verantwortungsbereiches des Trägers öffentlicher Aufgaben (als Nutzer von DV-Dienstleistungen) und des Verantwortungsbereiches des Herstellers (als Anbieter von DV-Dienstleistungen) bewirkt. Dies hat den Vorteil daß einerseits die Weiterentwicklung der DV-Anwendungen in der öffentlichen Verwaltung nicht durch herstellerspezifische Konditionen behindert wird und andererseits die Weiterentwicklung der Herstellersysteme unabhängig von der bereits vorhandenen Anwendungssoftware vorgenommen werden kann.

Einer der wichtigsten Ansatzpunkte zur Senkung der Kosten für DV-Anwendungen besteht im übrigen darin, die Nutzung von Herstellersystemen durch Vereinfachungen und Vereinheitlichungen zu erleichtern. So dienen die Schnittstellen auch dazu, die Entwicklung und Pflege von Anwendungsprogrammen zu vereinfachen.

Soweit im Bundesministerium des Innern bekannt, stehen folgende Kompatible Basissysteme zur Verfügung oder sind in Vorbereitung:

Im DIN-Normenausschuß Informationsverarbeitung befassen sich der Arbeitsausschuß 5 "Programmierung" mit KSDS und KDBS, der Arbeitsausschuß 16 "Offene Kommunikationssysteme der Informationsverarbeitung" mit KDCS.

Wegen der zentralen Bedeutung der Kompatiblen Schnittstellen für die DV-Anwendungen in der öffentlichen Verwaltung hat der Kooperationsausschuß ADV Bund/Länder/Kommunaler Bereich ein Verfahren zur Sicherstellung der Einsatzfähigkeit und Weiterentwicklung der Kompatiblen Schnittstellen beraten. Es ist vorgesehen, einen Unterausschuß "Kompatible Schnittstellen" (Vorsitz Bundesministerium des Innern) einzurichten der bei Erweiterung und Änderung der Schnittstellenfestlegungen (Funktionsumfang und Befehlsaufbau) eingeschaltet werden soll. Im übrigen ist für jeden Typ der Kompatiblen Schnittstellen eine Stelle der öffentlichen Verwaltung als Ansprechpartner bestimmt:

Für KSDS, KLDS

Datenzentrale Baden-Württemberg, Stuttgart,

für KDBS

Bayerische Staatskanzlei - Abteilung Datenverarbeitung, München,

für KDCS

Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf (Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik, Düsseldorf).

Weitere Vorhaben sind:

- Kompatible Datenskukturbeschreibung:

Zur Vorbereitung eines Vorschlags zur Kompatiblen Datenskukturbeschreibung führt eine Arbeitsgruppe einen Vergleich zwischen der Datenskukturbeschreibungssprache des diskutierten CODASYL-Vorschlags und einigen Datenbanksystemen durch. Ergibt sich bei dieser pragmatischen Vorgehensweise, daß die Menge der einheitlichen Beschreibungselemente ausreichend groß ist, so konnte daraus der Kern einer Kompatiblen Datenskukturbeschreibung entstehen.

- Einheitliche Zeichenschnittstelle (EZS) und graphisches Kernsystem (GKS):

Für den Bereich der graphischen Datenverarbeitung wurde in Zusammenarbeit mit Geräteherstellern, Fachbehörden, Universitäten und anderen Stellen eine einheitliche Zeichenschnittstelle (EZS) definiert. Auf dieser Basis wurden von den Herstellern automatischer Zeichengeräte die Unterprogramme entwickelt. Aufgrund der Anforderungen einiger Anwender haben sich die von den Herstellern entwickelten und angebotenen Schnittstellenprogramme unterschiedlich weiterentwickelt. Um die unterschiedlichen Definitionen wieder zu vereinheitlichen, ist eine Arbeitsgruppe eingerichtet worden, an der sich die Städte Dortmund, Düsseldorf, Köln, Wuppertal sowie die Bundesanstalt für Straßenwesen sowie die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe beteiligen. Die bereits eingeführte Stufe 1 der EZS soll zu einer Stufe 2 mit verbesserter Behandlung der Freistellungsräume und größeren Möglichkeiten der Textplazierung weiterentwickelt werden. Im DIN-Normenausschuß Informationsverarbeitung befaßt sich der Arbeitsausschuß 5 "Programmierung" mit der Normung eines graphischen Kernsystems, das als Grundlage für EZS verwendet werden soll.

Abschließend kann gesagt werden, daß die Portabilitätsprobleme langfristig nur auf der Grundlage international abgestimmter Normen gelöst werden können. Man wird aber bis zur Schaffung und Umsetzung solcher Normen mit Lösungen leben müssen, die geeignet sind, die Portabilitätsprobleme zu mindern. Hervorzuheben ist, daß eine Reihe von Software-Herstellern die Vorschläge positiv aufgenommen und sich bereits auf diese übergreifenden Standardisierungsnotwendigkeiten eingestellt haben.