Dezentral macht's transparent und einfach

01.02.1980

Mit Harro D. Welzel, Geschäftsführer der Philips Data Systems GmbH, Siegen, sprach Dieter Eckbauer

- Herr Welzel, viel Gehirnschmalz und Druckerschwärze ist verwendet worden, die Tatsache der Jahrzehntwende gebührend zu würdigen. Was wird für Sie, vorausschauend, das Besondere an den 80ern?

Das Besondere an den 80er Jahren ist für Philips Data ohne jeden Zweifel die jetzt ganz deutlich sichtbare, sich beschleunigende Entwicklung in Richtung integrierter Systeme. Damit meine ich solche Systeme, in denen einzelne Komponenten der Bürorationalisierung zu integrierten Systemen der Informations- und Kommunikationstechnik zusammengefaßt werden.

- Mit dem Firmennamen "Philips" assoziiert man eher "Fernsehen " und "Licht" als "Computer". Empfinden Sie das als Nachteil?

Philips hat in der Vergangenheit natür ich im Geschäft mit Investitionsgütern hin und wieder auch ein wenig gegen das Konsumgüterimage ankämpfen müssen. Die normale Assoziation in der Vergangenheit, wenn man die Marke Philips sah oder hörte, war zwangsläufig der Fernseher. Lange Zeit war allein den Eingeweihten bekannt, daß die Konsumgüteraktivität bei Philips nur etwas weniger als 50 Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht. Ich bin überzeugt, daß gerade in der Entwicklungsphase des Zusammenwachsens einzelner Komponenten der Bürorationalisierung zu Systemen ein Unternehmen im Vorteil ist, das in seiner Technik breit aufgestellt ist.

- Herr Welzel, Sie sagten, die 80er Jahre werden gekennzeichnet sein durch die Verschmelzung von Datenverarbeitung, Textverarbeitung und Telekommunikation. Das hörte sich so an, als stünde eine "Kernreaktion" unmittelbar bevor. Ist das nicht noch Zukunftsmusik?

Nun, über Zukunftsmusik kann man natürlich lange philosophieren. Solche Entwicklungen in der Vergangenheit haben sich ja nie schlagartig durchgesetzt, sondern sie sind - und das sagt bereits der Begriff Entwicklung - Prozesse, die sich über eine ganze Reihe von Jahren vollziehen. Auch die Industrialisierung ist ein Prozeß gewesen, der sich über viele Jahrzehnte hin abwickelte. Ähnlich wird der Weg zur Informationsgesellschaft aussehen.

- Nun ist der Weg zur informierten Gesellschaft mit Stolpersteinen gepflastert - ich denke da an Normungs- und Akzeptanzprobleme.

Wir rechnen natürlich nicht damit, daß diese Systeme schlagartig innerhalb von zwei, drei Jahren überall beim Anwender eingeführt und genutzt werden. Ich gebe schon zu, daß die Normung eine gewisse Rolle spielt. Wir bei Philips sind in den Normungsgremien, auch in der Bundesrepublik, sehr stark tätig und können ganz gut übersehen, welche Bedeutung der Standardisierung zukommt. Wir glauben, daß ein sehr viel stärker retardierendes Moment ab die Normung die Akzeptanzprobleme beim Anwender selbst sind - Akzeptanzprobleme, die nicht so sehr beim Management, sondern beim eigentlichen Benutzer im Unternehmen, in der Verwaltung auftreten werden.

- Worin liegen denn Ihrer Meinung nach die Ursachen für diese Widerstände?

Die Ursachen sind zweifellos nicht so einfach mit einem Satz zu beschreiben. Ich denke, daß sie sich aus einer ganzen Reihe von Quellen nähren, die wiederum sehr unterschiedlich sind. Sicherlich stellt eine wichtige Einflußgröße die notwendige Abkehr des einzelnen von alten und vielleicht auch liebgewordenen Gewohnheiten dar. Er muß mit neuen Instrumenten, mit neuen Techniken umgehen. Wir sind da als Anbieter alle miteinander sicher auch nicht immer besonders geschickt gewesen, dem Benutzer diejenigen Bedienungshilfen an die Hand zu geben, die die Maschine wirklich hätte zum Werkzeug werden lassen.

- Sie sprechen ein Informationsproblem an. Hat hier der DV-Spezialist beim Anwender als "Dolmetscher" versagt?

Ich glaube, es ist gar nicht gut, dabei Schuldfragen klären zu wollen. Ich glaube, hier ist ein ganz natürlicher Prozeß abgelaufen. Wir alle miteinander - der Anwender, der Entwickler, der DV-Spezialist und selbstverständlich auch der Hersteller-mußten beim Umgang mit diesen neuen Techniken Erfahrungen sammeln - und diese Erfahrungen mußten ausgewertet werden. Das sind wieder Entwicklungsprozesse, die halt einige Zeit in Anspruch nehmen. Auf der anderen Seite bin ich ziemlich sicher, daß in der Vergangenheit auch ökonomisch bedingte Barrieren existierten, die heute nicht mehr im Wege stehen.

- An welche Restriktionen denken Sie jetzt?

Die Hardware ist sehr viel billiger geworden. Die Speicherkapazität eines Rechners kostet zum Beispiel heut nur noch einen Bruchteil dessen, was die gleiche Kapazität früher kostete. Außerdem können Sie heute einfach durch den Einsatz von mehr Speicherkapazität und mehr Prozessor-Power wesentlich einfachere Bedienungssysteme schaffen.

- Sie sprachen zwei Gründe an, die die Verbreitung des Computers behinderten oder einengten: die schlechte Handhabbarkeit und die Kosten. Die Gefahr einer "überinfomierten" Gesellschaft stellt für Sie kein Hindernis dar?

Ich weiß zwar, daß dieser Aspekt sehr häufig diskutiert wird, aber es gibt im Grunde heute keine verbindlichen Untersuchungsergebnisse, die etwas aussagen über Sinn und Unsinn oder Nutzen und Schaden von Informationsmengen. Diese Fragestellung kommt meiner Ansicht nach aus der Theorie. Ich glaube, daß ein anderes Moment sehr viel prekärer in seinem Einfluß gewesen ist, nämlich die Tatsache, daß wir hier über Rationalisierungsmittel sprechen, und Rationalisierungsmittel sind natürlich auch immer Mittel, die Arbeitsplätze bedrohen.

- Nun muß man doch wohl sehen, daß es Aussagen gibt, diese neue Technologie schaffe Arbeitsplätze, und daß andere ganz klar von Arbeitsplatzvernichtung sprechen. Nur: Abgesicherte Zahlen liegen nicht vor - oder spricht sie nur keiner aus?

Ich fürchte, Sie haben recht. Das ist ein Gebiet, das natürlich gern vorsichtig behandelt wird. Doch ist uns allen damit nicht geholfen. Denn heute besteht allgemeiner Konsens - und darüber können wir froh sein -, daß wir uns gegen die Einführung dieser Techniken und dieser Systeme nicht verschließen können, wenn wir weiter konkurrenzfähig bleiben wollen. Das ist, Gott sei Dank, heute eine akzeptierte Tatsache, und es geht dann wohl nur darum, zu analysieren.

- Und zu weichem Ergebnis sind Sie gekommen?

Natürlich werden neue Arbeitsplätze durch diese Techniken geschaffen, aber wir sollten nicht den Anschein erwecken, als wenn nicht auch Arbeitsplätze vernichtet werden. Hinzu kommt ein ganz wesentliches Moment: Es werden auch Arbeitsabläufe, Arbeitsinhalte in sich eine enorme Wandlung erfahren, ohne daß sich die Zahl der Arbeitsplätze vielleicht dann jedesmal verändert. Und alle diese Änderungen schaffen bei dem Betroffenen Unbehagen, ob er nun seinen Arbeitsplatz in Gefahr sieht oder ob er fürchtet, daß sich der Ablauf seiner bisherigen Tätigkeiten wandelt.

- Andererseits ist den meisten Datenverarbeitern selbst gar nicht bewußt, welches Rationalisierungspotential auf den "Spielwiesen der Verwaltung und Organisation", so ein Anwender, brachliegt.

Ich glaube, das ist auch sehr verständlich, denn die technischen Möglichkeiten dieser Systeme, die auf uns zukommen, werden ja teilweise sogar von den Herstellern in bezug auf Ihre Anwendungsmöglichkeiten nicht genau eingeschätzt. Wir betreten dabei in erheblichem Umfange Neuland und müssen einen Lernprozeß durchmachen. Hier liegt sicherlich auch ein Problem für unsere Volkswirtschaft und wahrscheinlich auch für unsere Gesellschaft. Wir wissen nicht so ganz genau, in welchem Umfang wir wirklich strukturellen Wandlungen im Büro ausgesetzt sein werden oder, besser gesagt, welchen strukturellen Wandlungen wir uns zu stellen haben. Ich bin auch hier der Meinung, daß ein Hersteller wie Philips kompetente Aussagen machen kann, aber ich mache gleichzeitig auch den Vorbehalt, selbst wir müssen eine Menge Analysetätigkeit absolvieren, um wenigstens in etwa einzuschätzen, was da auf uns zukommt.

- Ich möchte jetzt einmal das sogenannte Komplexitätsparadoxon ansprechen. Computer müssen in Zukunft an der Benutzerschnittstelle immer einfacher werden, sie werden folglich innen drin immer komplexer und schwerer beherrschbar, was die Software angeht. Wie kann dieses Paradox gelöst werden?

Ganz wird dieses Problem sicher nicht lösbar sein. Ich glaube aber, daß in unserer Branche - wenn auch nicht in dem Umfange, wie es die Komplexität der künftigen Systeme erfordern wird - doch schon einige Beispiele feststellbar sind, die vielleicht extrapoliert werden können. Es gibt ja eine Parallel-Entwicklung auf dem Gebiet der administrativen Datenverarbeitung, eine gleichartige Aufgabenstellung in unterschiedlicher Weise zu lösen. Ein DV-Konzept war, daß man einen zentralen Rechner immer mehr vollgestopft hat mit untereinander kommunizierenden Programmen. Damit wurde nur erreicht, daß sich der Rechner teilweise nur noch mit sich selbst beschäftigte. Im Grunde mußten die Verfechter der zentralen Lösung noch mit einem anderen Phänomen fertig werden: Die Projektrealisierung lief nämlich völlig aus dem Ruder, die Komplexität war so groß, daß man alle Zeit- und Aufwandschätzungen über den Haufen werfen mußte. Andere haben für die gleiche Aufgabenstellung den Weg der Dezentralisierung gewählt. Man hat nicht alles auf eine zentrale Anlage gelegt, sondern versucht, eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen zentralen und dezentralen Rechnern vorzunehmen.

- Welche Vorteile sehen Sie in der Dezentralisierung von Computerleistung?

Nachweislich verkürzt sich dort auch die Projekt-Realisierungsphase, weil derartige Systeme transparenter sind und auch die Software weniger komplex ist. Wenn Sie also einen Weg wählen, bei dem das Netz ein System für sich ist, mit wohldefinierten Schnittstellen für die Benutzer, und versuchen, eine gestaffelte Systemhierarchie zu schaffen, dann werden Sie sicherlich auch die Komplexität in positivem Sinne beeinflussen.

- Man hört neuerdings wieder von Kooperationsgesprächen zwischen europäischen Computer-Herstellern. Der Name Philips ist diesem Zusammenhang nicht gefallen. Heißt das, daß Sie derzeit an Gesprächen mit Siemens, Cii Honeywell Bull und ICL nicht interessiert sind?

Die beiden ersten der genannten drei Hersteller sind uns als Unidata-Kooperationspartner wohlbekannt. Diese Kooperation bezog sich auf nahezu das ganze DV-Spektrum der beteiligten Kooperationspartner. Ich kann mir kaum vorstellen, daß wir an einer Kooperation mit einem Partner interessiert sind, der nur auf dem Gebiet der Großrechner tätig ist. Ich möchte aber auch nicht ausschließen, daß es in der einen oder anderen Form auch mit Philips als Beteiligtem und vielleicht auch als Kristallisationspunkt zu Kooperationen kommen könnte. Aber Sie werden verstehen, daß ich diesen Punkt nur sehr vorsichtig anspreche, denn wir gehören sicherlich nicht zu den Unternehmen, die im Falle von Kooperationsgesprächen das Fell verteilen, bevor der Bär erlegt ist.