Softwarestudien: Wachstum durch Kooperationen und Fusionen

Deutsche Softwerker spielen international kaum eine Rolle

30.11.1990

MÜNCHEN (CW) - Anhaltend schlechte Nachrichten von der deutschen Software-Industrie: Kein einheimischer Anbieter schaffte einen Platz unter den 30 weltweit umsatzstärksten Unternehmen der Branche. Der Grund: Während im Ausland fleißig aufgekauft und fusioniert wird, wollen die Softwerker hierzulande lieber klein, aber unabhängig bleiben.

Eine Studie der Pariser Unternehmensberatung Pierre Audoin Conseil bestätigt die weiterhin dominante Stellung der US-Anbieter auf dem Sektor Software und Services; sie belegen die ersten sechs Plätze der weltweiten Umsatz-Hitliste. Erst an siebter Stelle folgt mit der französischen Cap-Gemini-Gruppe ein europäisches Unternehmen. Die Datev liegt als größter deutscher Anbieter lediglich auf Platz 36, gefolgt von der französischen GSI und der Software AG, die beide einen Umsatz von 282 Millionen Dollar vorweisen können (siehe Tabelle).

Ähnlich schlechte Ergebnisse bescheinigt die Unternehmensberatung München GmbH (UBM) den hiesigen Softwerkern. Danach weist die deutsche Softwarebranche etliche "Entwicklungsdefizite" auf, die vor allem aus der traditionell mittelständischen Orientierung resultieren. Die Palette reicht von mangelndem DV-Personal über zu hohen betriebsinternen Software-Aufwand bis zu konservativen Grundeinstellungen.

Zwar halten die deutschen Software-Unternehmen im europäischen Vergleich mit 8,8 Milliarden Mark Umsatz und einem Marktanteil von 19 Prozent bereits seit Jahren den zweiten Platz hinter den Franzosen, die mit 25 Prozent klar führen. Doch für die Zukunft sind die ausländischen Konkurrenten laut UBM weit besser gerüstet.

In England und Frankreich wurde bereits Mitte der achtziger Jahre eine aggressive Fusions- und Akquisitionswelle eingeleitet, die zur Bildung einer Reihe von Großunternehmen führte. Allein durch Größe steigen laut UBM die Chancen, sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten.

So erwirtschaften in England und Frankreich elf beziehungsweise zwölf Unternehmen Umsätze von über 200 Millionen Mark. In Deutschland sind es dagegen nur vier.

In der Folge hinkt die hiesige SW-Industrie mit acht Prozent auch bei den Auslandsumsätzen hinterher, während die Franzosen hier bereits mit 18 und die Briten immerhin mit elf Prozent aufwarten können. Im Zuge der Internationalisierung investieren ausländische Anbieter zunehmend auch in deutsche Firmen, wie die Übernahme der ADV/Orga durch die Sema Group und die SCS-Übernahme durch Cap Gemini zeigen.

Trotz des herannahenden Binnenmarktes scheinen die deutschen Unternehmen umgekehrt nur wenig an ausländischen Firmen interessiert zu sein. Doch gerade in der internationalen Vermarktung läge laut UBM die Chance für deutsche Softwareprodukte. Um aber im Ausland erfolgreich sein zu können, müßten einige der deutschen Hauptschwächen beseitigt werden. Dies gelte für den im Mittelstand notorischen Kapitalmangel genauso wie für Mängel bei der Vermarktung und Produktpflege. Da dies aus eigener Kraft nicht zu schaffen sei, wachse inzwischen auch hierzulande die Bereitschaft zu Kooperationen und Fusionen.

Die Perspektiven klingen vielversprechend: So ermöglichte der Konzentrationsprozeß in Frankreich die Ausrichtung der dortigen Industrie auf den lukrativen Servicebereich, in dem vor allem Europas Software-Unternehmen Nummer eins, Cap Gemini, erfolgreich agiert. England zieht mit der Sema Group nach.

UBM: Der mittelständische Softwerker hat ausgedient

Die Relevanz dieses Marktsegments läßt sich daran erkennen, daß die Liste der zehn weltweiten Branchenführer von drei Dienstleistungsunternehmen angeführt wird. Einen besonders lukrativen Zukunftsmarkt hat UBM auch im Bereich Systemintegration ausgemacht.

Ob die deutsche Software-Industrie hier den Anschluß schafft, bleibt jedoch zweifelhaft, da immer mehr Konkurrenten in den Softwaremarkt drängen, die weit bessere Ausgangsvoraussetzungen mitbringen. Zu diesen Mitbewerbern zählen zum einen die klassischen Hardwarehersteller wie IBM, DEC oder Siemens Nixdorf, zum anderen die großen Wirtschaftsprüfungs-Unternehmen, deren "Auditing"-Geschäft weltweit stagniert. Außerdem lassen immer mehr Großkonzerne wie General Motors oder Daimler Benz ihre DV-Abteilungen als eigenständige Firmen am Markt agieren.

Angesichts dieser Dominanz der Großunternehmer erwartet UBM, daß sich die Eigentumsverhältnisse im deutschen Softwaremarkt grundlegend ändern werden. So soll es langfristig nur noch nationale Nischenanbieter und große multinationale Konglomerate geben. In diesem Zusammenhang verweisen die Analysten der französischen Unternehmensberatung Pierre Audoin Conseil darauf, daß bereits jetzt weniger als die Hälfte der marktführenden europäischen Softwarehäuser unabhängig sei.