Hohe Personalkosten durch starke Fluktuation und fehlende Ausbildung

Deutsche Call-Center suchen vergeblich nach Mitarbeitern

16.10.1998

Standen bisher eher technische Aspekte im Vordergrund, gehören heute Ausbildung und Personalauswahl zu den vorrangigen Problemen der Branche. Darin waren sich die Teilnehmer der von Communic in Düsseldorf veranstalteten Konferenz zum Thema "Call-Center-Trends: Fokus Personal-Management" einig. Mit einem Anteil von 70 bis 80 Prozent stellen die Personalausgaben den größten Kostenfaktor für Call-Center dar, während sich die DV- und Telefonkosten nur auf 20 Prozent belaufen - so eine Untersuchung der Unternehmensgruppe buw in Osnabrück. Die Fluktuation der Mitarbeiter ist hoch, die IHK Düsseldorf berichtet von einer Quote von 25 Prozent pro Jahr, private Ausbilder wissen von 40 bis 50 Prozent in einigen Call-Centern. Der Bedarf an qualifiziertem Personal ist viel größer als das Angebot. Nach einer Schätzung von Gemini Consulting arbeiten zur Zeit 80 000 Call-Center-Agents in Deutschland, in drei Jahren werden es 140000 sein. Allein in Düsseldorf könnten zur Zeit weitere 1500 Mitarbeiter beschäftigt werden. Mit dem Wissen, daß Personal die größte Kostenkomponente ist, Fluktuation teuer und die Mitarbeiter der wesentlichste Erfolgsfaktor sind, rücken Fragen der Personalauswahl und Qualifizierung in den Vordergrund.

Professionell Reklamationen, Bestellungen und Fragen entgegenzunehmen, erfordert mehr als nur eine freundliche Telefonstimme. Da es in der jungen Branche noch keine geregelten Ausbildungswege gibt, bringen die meisten Mitarbeiter auch nicht die passenden Qualifikationen mit. Viele Unternehmen schulen intern und bedienen sich privater Bildungsträger.

Beate Middendorf, Geschäftsführerin der Profitel Telefon-Marketing Akademie, Hamburg, schätzt, daß private Anbieter in den letzten zwei Jahren rund 20000 Mitarbeiter ausbildeten. Doch diese Institute allein schaffen es nicht, die Nachfrage zu befriedigen. Auch die Arbeitsämter können keine geeigneten Kandidaten vermitteln.

Auf Initiative von Unternehmen sind im vergangenen Jahr die Industrie- und Handelskammern (IHKs) tätig geworden. Inzwischen bieten bundesweit 47 IHKs Weiterbildungsmaßnahmen mit dem Qualifikationsziel Call-Center-Agent an. Sie vermitteln Grundlagen im DV-Bereich, aber auch Basisqualifikationen wie Tele-Marketing, aktive Gesprächsführung, Phonetik, Strategie von Verkaufsgesprächen, Zeit-Management, Bewerbertraining oder Simulation. Karl Kuntz, Personalleiter von Intercall, Düsseldorf, bevorzugt Agents, die eine IHK-Maßnahme durchlaufen haben, da sie intern weniger geschult werden müssen.

Allerdings gibt es kontroverse Diskussionen zu den IHK-Kursen. Neben der Qualität der Ausbildung steht in erster Linie die Auswahl der Teilnehmer in der Kritik. Die IHKs prüfen nur, ob Lernbereitschaft und eine positive Grundhaltung zum Service vorhanden sind.

Ein weiteres Problem der Branche ist die Auswahl der passenden Mitarbeiter. Das Personal als Erfolgsträger und eine Verringerung der Fluktuation rechtfertigen Zeitaufwand und kostspielige Testverfahren. Bei allen unterschiedlichen Verfahren ist man sich einig, daß Call-Center-Agents Lernfähigkeit, sprachliche Gewandtheit, Freude am Kontakt mit Menschen, Frustrationstoleranz und eine hohe Leistungsmotivation mitbringen müssen.

"Rekrutierung ist der Schlüssel von allem", sagt Kirsten Schrick, Leiterin Service-Management und Call-Center bei der Advance Bank. "In keinem anderen Fall merkt man so schnell, wenn man falsch eingekauft hat." Häufig erlebe man den Fall, daß Akademiker wie etwa Betriebswirte unterfordert seien. Die Folge sei, daß sie schlechte Stimmung verbreiten und den anderen das Gefühl vermitteln, sie seien nicht geschätzt. Überforderte Kollegen dagegen berieten falsch und würden häufig krank. Mitarbeiter, die ununterbrochen neue Herausforderungen suchen, seien für Call-Center nicht geeignet, besser aufgehoben seien diejenigen, denen es auf Beständigkeit ankomme.

Bei der Advance Bank durchlaufen die Bewerber ein mehrstufiges Verfahren. Vor dem persönlichen Kennenlernen steht der erste Telefonkontakt: Können sich Bewerber fernmündlich nicht verkaufen, haben sie keine Chance auf ein weiteres Gespräch. Im Assessment-Center der Bank werden die aktuellen Leistungsfähigkeiten überprüft, in einem weiteren Test die Entwicklungspotentiale, Über- und Unterforderungsmerkmale. Beobachtungskonferenzen und persönliche Gespräche runden das Bild ab. Laut Schrick ist im Call-Center der Advance Bank keine hohe Fluktuation der Mitarbeiter zu beobachten - nicht zuletzt deshalb, weil bei Einstellungen darauf geachtet wird, daß die Bewerber sich für die Stelle eignen.

Karsten Wulf, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensgruppe buw in Osnabrück, plädiert für eine Nutzenanalyse der Personalauswahl-Verfahren. Einzelinterview oder Fragebogen seien zeit- und kostensparend, eine sichere Ermittlung der Mitarbeiterpotentiale ließen sie aber nicht zu. Computergestütze Telefoninterviews mit späteren Rollenspielen und Assessment-Centern seien teurer, aber angesichts der hohen Personalausgaben in Call-Centern wohl angebracht. Middendorf von Profitel nennt Zahlen: So koste die Ausbildung im ersten Monat etwa 3000 bis 6000 Mark pro Mitarbeiter.

Mitarbeiter in Call-Centern sind Einzelkämpfer im Team, haben wenig Kommunikation mit den Kollegen, arbeiten im Schichtdienst und haben keinen eigenen Arbeitsplatz. Ihre Arbeit ist stark durchorganisiert und läßt kaum Handlungs- und Gestaltungsspielraum zu. Die Folge davon sind Burnout-Effekte, nachlassende Leistung und eine hohe Fluktuation. Agents der Telefonauskunft nehmen in einer Sechs-Stunden-Schicht etwa 300 Anrufe entgegen.

Christine Forstner von Telegate, München, und Peter Höfl von Servco, Gernlinden, haben sich überlegt, wie diese Situation zu verbessern sei. Der Call-Center-Dienstleister Telegate beschäftigt die Mitarbeiter höchstens 30 Stunden in der Woche, da die permanente Servicebereitschaft Kraft kostet, und der Qualitätsstandard anders nicht gehalten werden kann. Die Mitarbeiter müßten aus der Isolation herausgeholt werden. Ideal sei, wenn im Call-Center über die einzelnen Prozesse Transparenz herrsche und der Servicelevel klar definiert werde. Ebenso empfehle es sich, die Agents in Probleme und Lösungsversuche einzubinden. Nur dann fühle sich der Mitarbeiter auch geschätzt und verstehe die Zusammenhänge besser.

Der Schlüssel zum Erfolg eines Call-Centers sind die Teamleiter. Sie haben es in der Hand, ob die Mitarbeiter die Arbeit gern machen. Auch wenn das Team sehr groß ist, sollten sie jeden Agenten kennen und sich für ihn Zeit nehmen. Motivation dürfe nicht dadurch entstehen, daß die Agents Strichlisten über die Telefonate führen. So bleibe die Qualität auf der Strecke. Häufig besteht laut Forstner kein direkter Zusammenhang zwischen Länge und Qualität eines Telefonats. Wenn etwa das Marketing etwas Erklärungsbedürftiges verbreitet hat oder eine Pressemitteilung erschienen ist, könne sich die Gesprächsdauer verlängern. Vorgesetzte sollten sich deshalb Statistiken näher anschauen, bevor sie Kritik üben.

Christiane Siemann ist freie Journalistin in Düsseldorf.