"Wir wollen eine 360-Grad-Sicht auf unsere Kunden"

Deutsche Börse konsolidiert CRM-Systeme

23.01.2004
Das schnelle Wachstum der Deutschen Börse führte zum Einsatz unterschiedlicher Customer-Relationship-Management-(CRM-)Anwendungen. Diese ersetzt der Konzern derzeit durch ein einheitliches System und verspricht sich davon Einsparungen in Millionenhöhe. Von Frank Gerstenschläger*

Die Deutsche Börse AG stand vor einer Situation, die für viele schnell wachsende Unternehmen typisch ist: Innerhalb des Konzerns gab es zehn unterschiedliche, mehr oder weniger stark modifizierte Versionen eigenentwickelter CRM-Programme.

Diese sehr heterogene und historisch gewachsene Systemlandschaft führte zu reinen Betriebs- und Wartungskosten in Höhe von mehr als fünf Millionen Euro pro Jahr. Zudem war die Datenqualität nicht optimal. Redundanzen und fehlende Transparenz zogen beträchtlichen Aufwand für die Pflege und Aktualisierung nach sich. Außerdem konnten Cross-Selling-Potenziale nicht vollständig genutzt werden.

Einsparpotenzial in Millionenhöhe

Besseren Vertrieb und Service sollte ein integriertes CRM System bringen. "Wir wollten eine 360-Grad-Sicht auf unsere Kunden", so beschreibt Norbert Rustler, Leiter der Abteilung Office Automation, das Ziel. "Für den Erfolg ist es entscheidend, die Informationen dahin zu bringen, wo sie benötigt werden." Die Kalkulation ergab ein Einsparpotenzial von mehreren Millionen Euro. Die im Zusammenhang mit CRM üblicherweise angeführten sekundären Faktoren, beispielsweise Cross Selling, wurden dabei nicht eingerechnet.

Die Entscheidung für die Implementierung eines neuen CRM-Systems fiel jedoch nicht nur im Hinblick auf die erwarteten Kostenreduktionen. Gemäß dem Grundsatz, dass CRM keine Software ist, sondern eine Haltung, hatte die Einführung vor allem strategische Gründe: Eine realitätsnahe Abbildung der Kunden und die Hinterlegung börsenspezifischer Informationen bilden die Basis für ein konsistentes Kundenbeziehungs-Management.

Die Projektleitung übertrug die Deutsche Börse AG dem IT-Berater Entory, einem Tochterunternehmen der Gruppe Deutsche Börse. "Wir wollten ein Unternehmen mit der Leitung beauftragen, das die Anforderungen von Finanzdienstleistern wie der Börse kennt", erklärt Rustler.

In der Vorbereitungsphase musste ein geeignetes CRM-System gefunden werden, das hinsichtlich der Funktionalität und Integrationsfähigkeit in die bestehende Systemlandschaft sowie der Kosten überzeugen konnte. Für die Deutsche Börse traf dies in besonderem Maße auf "Mysap CRM" von SAP zu.

Innerhalb von vier Wochen wurde ein kundenspezifischer Prototyp entwickelt. Er umfasste die Integration von Mysap CRM und SAP R/3, Mobile Clients, die Stammdatenübernahme aus Kundensystemen, das Opportunity-Management, Call-Center und weitere börsenspezifische Themen. Entsprechend der Wirtschaftlichkeitsanalyse sollten die bisherigen Inselsysteme innerhalb der Börse sukzessive der einheitlichen CRM-Plattform weichen. Dazu wurden vier Teilprojektziele definiert:

- Migration des zentralen Adressverwaltungssystems mit mehreren zehntausend Unternehmen - bestehenden und potenziellen Kunden sowie Dienstleistern - mit Ansprechpartnern;

- Implementierung von Sales-Support-Funktionen für die entsprechenden Geschäftseinheiten bei Xetra und Eurex;

- Schulungen für die ersten Anwender;

- Planung der nächsten Phasen.

Der Schwerpunkt der ersten Projektphase lag auf der Umsetzung der börsenspezifischen Geschäftspartnerstrukturen, der Implementierung eines Kundenbeziehungs-Managements über die Kanäle E-Mail, Brief und Telefon sowie der Integration der neuen CRM-Lösung in die bestehende Systemlandschaft.

Hierfür wurden die Funktionen zur Speicherung von Adressen und internen Kategorien aus dem bisherigen System in Mysap CRM implementiert. Das umfasste unter anderem Design und Realisierung der Schnittstellen, Tests sowie die produktive Datenmigration. Für Letztere mussten die vorhanden Daten über die Geschäftspartner so modelliert werden, dass sie in die Formate des neuen CRM-Systems passten. Das klingt relativ einfach, weist aber im Detail erhebliche Tücken auf, wenn beispielsweise eine Stadt auf verschiedene Arten geschrieben werden kann, etwa Brüssel, Brussels oder Bruxelles.

Komplexe Kundenstrukturen

Neben den reinen Adressdaten wurden die Zulassungsinformationen von Unternehmen zum Börsenhandel, die Teilnehmerhistorie und die komplexen Kundenstrukturen abgebildet. Darauf bauten die Konzeption und Implementierung eines Marketing- und Kampagnen-Managements auf. Die Anbindung an SAP R/3, Lotus Notes und das System zur Verwaltung der Börsenteilnehmer stellt dabei die Integration in die systemübergreifenden Prozesse der Deutschen Börse sicher. Durch die Abbildung der Kundenstrukturen in einer einheitlichen Plattform wurden in enger Zusammenarbeit mit den Sales- und Support-Bereichen zusätzliche Funktionen etwa zum Kampagnen- und Opportunity-Management für die Anforderungen angepasst. Damit kann die Börse ihre Kunden jetzt zielgerichteter ansprechen und Erfolg effektiver kontrollieren.

Hilfestellung am Arbeitsplatz

Da der Erfolg eines CRM-Systems maßgeblich von seiner Nutzung abhängt, legt die Gruppe Deutsche Börse großen Wert auf intensive Schulungen ihrer Mitarbeiter. Um die Akzeptanz des Systems bei den Anwendern weiter zu erhöhen, führte sie neben einem telefonischen auch einen On-Site-Support ein, der Hilfestellung direkt am Arbeitsplatz geben kann, zum Beispiel von der Planung bis zum Versand von Rundschreiben.

Die Deutsche Börse verschickt pro Jahr mehrere hundert Rundschreiben auf elektronischem Weg oder per Post an unterschiedliche Zielgruppen mit jeweils über tausend Adressaten auf verschiedenen Kontinenten. Die direkte Hilfestellung habe sich, so Gerold Ruf, Leiter des CRM-Projekts, als wesentlich effizienter erwiesen als reine Schulungen. "Je intensiver wir in der Nachbearbeitung die Nutzer mit dem neuen System schulen, desto schneller können wir von den Vorteilen eines gruppenweiten CRM-Systems profitieren."

Mittlerweile konnte Entory rund 30 Prozent der Altanwendungen durch das neue System ersetzen. Bis Ende 2004 sollen 90 Prozent der Legacy-Systeme abgelöst sein. (rg)

*Frank Gerstenschläger ist Vorstandsvorsitzender der Deutsche-Börse-Tochter Entory AG.

Steckbrief

Projektart: Konsolidierung mehrerer CRM-Systeme.

Branche: Finanzdienstleister.

Zeitrahmen: Abschluss 2005.

Stand heute: 30 Prozent der Legacy-Systeme abgelöst.

Produkt: Mysap CRM.

Dienstleister: Entory AG.

Umfang: Für den Gesamtkonzern.

Ergebnis: Einheitliche CRM-Plattform.

Herausforderung: Schnittstellen-Design und Datenmigration.

Nächster Schritt: Umstellung der verbliebenen Altsysteme.

Die Deutsche Börse

Mit einer Marktkapitalisierung von rund fünf Milliarden Euro, mehr als 3000 Mitarbeitern und zirka 2000 Kunden auf drei Kontinenten ist die Deutsche Börse eine der größten Börsenorganisationen der Welt. Ihr Produkt- und Dienstleistungsportfolio umfasst die gesamte Prozesskette von der Order-Eingabe bis zur Verwahrung von Aktien und Derivaten. Die Deutsche Börse bedient Kunden in Europa, den USA und Asien. Der Transaktionsdienstleister unterhält Standorte in Deutschland, Luxemburg, der Schweiz und den USA sowie Repräsentanzen in London, Paris, Chicago, New York, Hongkong und Dubai.