Shareholder Value und Internet-Hype bestimmen die Produktstrategie

Deutsche Anwender üben heftige Kritik an SAP

10.12.1999
MÜNCHEN (bs) - Die derzeitigen Pläne und Strategien der SAP AG, Walldorf, sind anscheinend nicht kompatibel mit den Wünschen der hiesigen User-Gemeinde. Vertreter der Deutschen SAP Anwendergruppe (DSAG) sprechen deutliche Worte.

Während das Softwarehaus seit Monaten mit viel Marketing-Rummel für seine Internet-Produkte "Mysap.com", die bunte Browser-basierte Oberfläche "Enjoy SAP" und die "New-Dimension"-Produktfamilie wirbt, vernachlässige es den Ausbau der R/3-Kernsoftware und liefere dringend benötige Anpassungen an gesetzliche Änderungen mit Verspätung, lautet der Vorwurf der DSAG.

"Die SAP schafft sich ständig neue Baustellen, bevor sie alte fertigstellt", macht sich Paul Wenzel, Geschäftsführer der DSAG, Luft. So wurden beispielsweise gesetzliche Bestimmungen im Modul Personalwesen (Human Resources = HR) so spät implementiert, daß Betriebe währen des Wartens auf entsprechende Upgrades Gehälter nur mit Verspätung auszahlen konnten. Das sorgte für Verdruß: "Es ist Betrieben nicht zuzumuten, daß sie ihre Mitarbeiter auf die Zahlung der Gehälter um mehrere Monate vertrösten, nur weil die Software nicht aktualisiert werden kann."

Warum diese grundlegenden Arbeiten nur schleppend angegangen werden, ist für die DSAG-Mitglieder klar: Das übertriebene Wachstumsstreben zwingt SAP dazu, ständig neue Produkte auf den Markt zu bringen und zusätzliche Geschäftsfelder aufzutun. Ein ERP-Anbieter, der heute keine Internet-Strategie vorweisen kann, ist out, befinden die Finanzanalysten. Ihr Urteil über die Strategie und Vision der Anbieter und nicht die Zufriedenheit der Käufer ist ausschlaggebend für deren Börsenwert - ob die Pläne an den Kundenwünschen vorbeigehen oder nicht. Die Devise für SAP kann hier also nur lauten: mitmachen, sonst geht der Aktienkurs in den Keller, und es droht ein Imageverlust.

Die enormen Anstrengungen der SAP, die New Dimensions (Lösungen für das Customer-Relationship- und Supply-Chain-Management) aus dem Boden zu stampfen und sich als Internet-Company zu präsentieren, blockieren allerdings reichlich Entwicklungskapazitäten: Rund 80 Prozent der SAP-Programmierer seien mit Mysap.com beschäftigt, schätzt DSAG-Mann Wenzel: "Das mag aus strategischer Sicht richtig sein, um in diesem Markt mitzumischen. Doch die Anwender sind sauer, wenn die Basisfunktionen nicht entsprechend weiterentwickelt werden."

SAP verspreche zwar das Kernsystem und branchenspezifische Funktionen zu pflegen, aber das nächste Release zeige dann, daß meist weniger in die Tat umgesetzt wurde als zugesagt. Ganz am Anfang stehe R/3 vor allem noch in den Bereichen Produktdaten-Management, Workflow sowie Produktionsplanung und -steuerung: "Hier fehlen noch sehr viele Funktionen", sagt Alfons Wahlers, erster Vorsitzender der DSAG und Leiter Organisation und Informationssysteme beim Automobilzulieferer Keiper, Remscheid. Mit Mysap.com und den New-Dimensions habe SAP speziell auf den Druck des amerikanischen Marktes reagiert, doch an den Anforderungen hiesiger Betriebe vorbeientwickelt: "Deutsche SAP-Anwender haben mit der Umstellung der Hauswährung auf den Euro im nächsten Jahr alle Hände voll zu tun. Für E-Commerce-Implementierungen bleibt da wenig Zeit."

Durch den wachsenden Einfluß des US-amerikanischen Marktes auf die Produktentwicklung von SAP befürchten die DSAG-Mitglieder zudem, daß es ihnen künftig so ergehen könnte wie deutschen Unternehmen, die Produkte von US-Softwarehäusern einsetzen:

Die Belange dieser User werden schlechter abgedeckt, Änderungswünsche nur mit Verspätung oder überhaupt nicht berücksichtigt - Argumente, die Anwender der Pakete von Peoplesoft, Oracle, J.D.Edwards und SSA bestätigen.

"Es ist schön für SAP, daß sie in Amerika tolle Umsätze erzielt. Aber wir können es nicht akzeptieren, daß der Code in den USA generiert wird und wir dann diese Lösungen übernehmen. Das müssen wir verhindern", zeigt sich DSAG-Geschäftsführer Wenzel kämpferisch. Konkrete Probleme habe es bisher zwar noch nicht gegeben, aber diese Tendenz sei zu erkennen, bestätigt DSAG-Mitglied Peter Horner, Leiter der Stabsstelle SAP bei der Teerbau GmbH, Essen. Um sich in Walldorf mehr Gehör zu verschaffen, sollen neben den Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen, die konkrete fachliche Probleme bearbeiten, künftig verstärkt Entscheider (Chief Information Officers) für die Arbeit in der DSAG gewonnen werden. Skeptisch stehen die Mitglieder der neuen Frontend-Software "Enjoy SAP" gegenüber: "Die Oberfläche ist zwar schön bunt, aber im R/3-Kern hat sich nichts geändert". SAP sollte klar sein, daß die meisten ERP-Projekte noch lange nicht zu Ende sind, auch wenn das die Walldorfer selbst auf ihren Veranstaltungen propagieren "Über ERP redet man nicht mehr, das hat man". Keiper-Mann Wahlers: "Mit unfertigen New-Dimension-Produkten und Strategien, die erst in ein bis zwei Jahren von den Anwendern umgesetzt werden, sind die Bestandskunden jedenfalls nicht zufriedenzustellen."

SAP-Usergroup

1996 wurde die Deutsche SAP Anwendergruppe (DSAG) als Verein eingetragen. Inzwischen gehören über 450 Unternehmen mit 2730 Personen dem Gremium an. Ziel sind 1000 bis 1500 Betriebe.

Arbeitskreise

Es existieren Arbeitskreise und -gruppen für Technologien (Basis, Development Workbench etc.), Anwendungen (Logistik, Personalwesen etc.) und Branchen (Krankenhaus, Automotive, Handel etc.), die mehrmals jährlich tagen.

Kontakt:

Paul Wenzel, Geschäftsführer, Altrottstraße 31, 69190 Walldorf, Telefon: 06227/381104,E-Mail: Info@dsag.de, www.dsag.de.

Enjoy SAP: schöne, neue, teure Welt

Die Umsätze von SAP im ERP-Bereich stagnieren, und die Produkte für das Customer-Relationship- und Supply-Chain-Management sind noch nicht lang genug im Markt, um die ERP-Flaute zu kompensieren. Aus dieser Not macht SAP eine Tugend und stellte auf der CeBIT ''99 eine überarbeitete Benutzeroberfläche für R/3 und alle neuen Komponenten vor. "Enjoy SAP" solle die Bedienbarkeit der Software verbessern. Das ist anscheinend gelungen (siehe Seite 24). Der Web-orientierte Bedienkomfort soll auch technisch unbedarfte User an die Produkte heranführen und somit für einen Umsatzschub sorgen.

Doch "Ohne Fleiß kein Preis" titeln die Analysten von Diebold in ihrem "Management Report 7/99" nach der eingehenden Untersuchung der neuen Desktop-Software. Allein die Einführung von Enjoy SAP, das ab der Version 4.6a zur Verfügung steht, schlage mit rund 3000 Mark pro Arbeitsplatz an zusätzlichen Kosten zu Buche. Darin nicht enthalten sind die Aufwendungen für den Release-Wechsel der Anwendungssoftware selbst. Ein Unternehmen mit 400 Arbeitsplätzen - ein typischer SAP-Kunde also - könne mit dem stolzen Betrag von 1,2 Millionen Mark durch die Enjoy-Implementierung rechnen, so die Beispielsrechnung.

Der Grund: Einerseits verschlingt die neue Oberfläche mehr Rechenleistung und benötige deshalb eine leistungsfähigere Hardware. Andererseits lassen sich die Arbeitsplätze viel individueller auf die Aufgaben (Rollen) der Mitarbeiter einstellen, dadurch steige der Pflegeaufwand.

Im Extremfall könne das bedeuten, daß für 50 SAP-Nutzer 50 unterschiedliche Desktop-Profile zu pflegen sind. Abgesehen davon, daß die DV-Mitarbeiter für diese Tätigkeiten nicht ausgebildet sind, habe SAP bisher nicht deutlich gemacht, wie diese Arbeiten automatisiert werden können, so der Vorwurf der Auguren.