Deutsche Anbieter sind besonders betroffen:Wachstumskurve im SW - Markt flacht ab

20.03.1987

MÜNCHEN (qua) - Auch für die Softwareproduzenten scheinen sich die fetten Jahre ihrem Ende zuzuneigen. Die großen Hardwarehersteller steigen zwar noch voll in den Softwaremarkt ein und rechnen sich erhebliche Wachstumschancen aus. Einige Insider warnen jedoch bereits vor allzu optimistischen Erwartungen.

"Die gesamte Branche tanzt auf dem Vulkan", formuliert es Michael Hoffmann, Sprecher der Geschäftsführung bei der Dortmunder mbp Software & Services GmbH. Er schätzt das Marktwachstum der kommenden Jahre nur mehr auf 10 bis 15 Prozent. Es stehe zwar außer Frage, daß Zuwächse in der von ihm vorhergesagten Höhe immer noch als außerordentlich stark bezeichnet werden müssen. Der Kulminationspunkt sei jedoch überschritten.

Trotz des bislang ungebrochenen Wachstums hält Hoffmann übersteigerte Euphorie für unangebracht: "Ich warne davor, zu glauben, Steigerungsraten von 20 bis 30 Prozent könnten beliebig nach oben extrapoliert werden." Erfahrungsgemäß würden nämlich die Entwicklungen auf dem Hardwaremarkt mit einer Verzögerung von oft nur einem halben Jahr auf den Softwaremarkt übergreifen.

Wachstum ist für Hoffmann eine qualitative Größe: Er geht von Umsatz -, nicht von Stückzahlen aus. In diesem Zusammenhang verweist er zunächst auf einen rein quantitativen Fehler in den meisten der gängigen Prognosen: Die ihnen zugrunde liegenden Statistiken addieren seiner Ansicht nach in unzulässig vereinfachender Weise die Umsätze der Softwareunternehmen. Ein Großteil dieser Anbieter verkaufe jedoch auch Komplettlösungen; also würden bei diesen Zahlen die Erlöse aus dem Vertrieb von Fremdhardware eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Der statistische Fehler, der sich daraus ergebe, sei laut Hoffmann beachtlich.

Dafür, daß zwar die Umsätze nach Stückzahlen nach wie vor steigen, die Preise gleichzeitig jedoch rapide verfallen könnten, macht er eine Reihe von Faktoren verantwortlich: vor allem die Softwarestandards, die Kernels und Tools sowie die Konkurrenz der Softwareanbieter untereinander.

Aus der zunehmenden Verbreitung von Standards resultiere ein größerer Verbreitungsgrad, der sich in der Preisgestaltung niederschlage. Vorgefertigte Programmkerne und Software - Werkzeuge ermöglichen Hoffmann zufolge eine Reduzierung des Entwicklungs - Aufwands und tragen damit zur erhöhten Multiplizierbarkeit der Software bei. Das ziehe ebenfalls eine Senkung der Lizenzgebühren nach sich.

Besonders betroffen von dieser Entwicklung sind laut Hoffmann die deutschen Softwareunternehmen. Die US - Hersteller seien wesentlich vertriebsstärker und vor allem exportorientierter. Insbesondere bei der von sprachlichen, politischen und anderen nationalen Unterschieden unberührten Systemsoftware würden die europäischen Anbieter im allgemeinen den Amerikanern hinterherhinken .

Aber auch auf dem amerikanischen Mark sind die Zukunftsaussichten nicht immer ganz so rosarot wie bisher: Die Steigerungsrate wird in diesem Jahr voraussichtlich auf 14 gegenüber 22 Prozent in 1986 zurückgehen. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls das amerikanische Wirtschaftsmagazin "Business Week" aufgrund einer Umfrage bei 2400 US -Anwendern. Im Bereich der Softwareprodukte für Minirechner, so das Ergebnis dieser Untersuchung, würde zwar noch eine Steigerungsrate von 20 Prozent erzielt, die PC -Programme mit 16 vom Hundert und die Mainframe - Software mit 11 Prozent nähern sich hingegen an die von Hoffmann genannten Zahlen an.

Auf der Siemens - Pressekonferenz im Hannoveraner CeBIT prognostizierte Heinz Schwärtzel, Leiter des Hauptbereichs Zentrale Aufgaben Informationstechnik, für die nächsten fünf Jahre ein jährliches Wachstum des Weltsoftwaremarktes von 20 bis 25 Prozent. Dem hält Hoffmann entgegen, daß diese Werte auf Siemens bezogen durchaus korrekt sein mögen, weil der Elektronik - Riese erst relativ spät in das Geschäft mit der Software eingestiegen sei, also jetzt erst seinen Boom erlebe. Für den internationalen Markt ließen sich diese Vorhersagen aber keieswegs halten.

Markt in konventionellen Bereichen ist gesättigt

Schwärtzel räumte denn auch ein, daß im Bereich der "klassischen kommerziellen Anwendungssoftware" eine Abflachung der Wachstumskurve möglich sei. Immerhin betrage der Vorlauf in diesem Sektor fünfzehn Jahre. "Es ist in gewissen Bereichen schon ein ziemlich großer Bodensatz da, so daß die Zuwachsraten dort nicht mehr so groß sind", führt der Siemens - Manager aus. Grundsätzlich sei er jedoch davon überzeugt, daß die von ihm vertretene Prognose dem Trend näherkomme als die von Hoffmann geäußerte.

Drei Bereiche der Softwareproduktion nimmt Hoffmann selber aus der von ihm vorausgesagten moderaten Wachstumssteigerung aus. Es handele sich dabei um die relativ jungen Gebiete Industrieautomation, Telekommunikation und Künstliche Intelligenz. Hier sei das Marktangebot noch überschaubar und die in den konventionellen DV - Bereichen schon spürbare Marktsättigung noch lange nicht erreicht.