Snowden-Vertraute Sarah Harrison im CW-Gespräch

"Desto einfacher wird es für den nächsten Whistleblower"

30.03.2015
Von 


Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.

Ohne Manning kein Snowden

CW: Wie beeinflussen solche unwürdigen Strafverfahren wie das von Manning die Bereitschaft von Menschen ganz allgemein, Missstände öffentlich zu machen? Leidet das Whistleblowing an sich - erreichen Regierung wie die der USA also das, was sie wollen?

HARRISON: Nein, eher im Gegenteil. Hätte es Manning nicht gegeben, wäre Edward Snowden niemals an die Öffentlichkeit gegangen. In meiner Arbeit mit Edward hatte ich immer in Hinterkopf, ihm nicht nur persönlich helfen zu wollen, sondern auch medial eine weitere Symbolfigur zu erschaffen - mit dem Ergebnis, dass er es jetzt viel besser hat als Manning. Edward ist zwar im Exil und durchaus eingeschränkt, aber er hat ein Haus zur Verfügung, seine Freundin ist bei ihm - und das ist schon eine ganze Menge. Je besser seine Situation, desto einfacher wird es auch für den nächsten Whistleblower, an die Öffentlichkeit zu treten. Ich hoffe, dass das einen Schneeball-Effekt auslöst.

CW: Welche Erkenntnis war für sie in den vergangenen fast zwei Jahren die wichtigste im Rahmen der Snowden-Enthüllungen? Gibt es Menschen, Institutionen, Regierungen, von denen Sie ganz besonders enttäuscht wurden oder auch solche, die Sie sehr positiv überrascht haben?

HARRISON: Am interessantesten an der ganzen Geschichte finde ich, dass sich genau zeigt, wie westliche Regierungen heute agieren. Die Dokumente beweisen, dass massenhaft Recht gebrochen wird - und was tun die meisten westlichen Regierungen? Sie beginnen damit, ihre illegalen Handlungen zu legalisieren. In den meisten anderen demokratischen Ländern ist es doch eher so, dass Gesetze dann geändert werden, wenn es eine große Mehrheit gegen etwas gibt. Es zeigt sich deutlich, dass unsere Regierungen uns nicht beschützen wollen, nicht auf uns Bürger hören wollen - nicht das tun, was man von einer Demokratie erwartet. Hoffentlich sorgt diese Erkenntnis immer mehr dafür, dass die Bürger die Demokratie selbst in die Hand nehmen - wir sehen eine erste Entwicklung in diese Richtung.

CW: Sie leben nun schon seit einiger Zeit im Großraum Berlin, weil Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat Großbritannien Verhöre und Verhaftung fürchten müssen. Warum ist Deutschland derzeit der beste Aufenthaltsort für Sie und nicht ein anderer Drittstaat?

HARRISON: Das Problem in Großbritannien derzeit ergibt sich aus einem bestimmten Paragraphen des Anti-Terror-Gesetzes, den Schedule 7 des Terrorism Act, der aber nur an der Staatsgrenze gilt. Dieses Passage verbietet es auch Journalisten, bestimmte Informationen und Informanten zu verschweigen - tut man es doch, kann man selbst ebenfalls als Terrorist angeklagt werden. David Miranda, Guardian-Kollege von Glenn Greenwald, wurde auf Grundlage dieser Bestimmung beispielsweise im vergangenen Jahr stundenlang am Flughafen Heathrow festgehalten und verhört. Er musste Passwörter zu seinen verschlüsselten Recherchedaten verraten.

Mir ist eine Rückkehr nach Großbritannien derzeit zu gefährlich - mein Anwalt ist sich sicher, dass ich bei einer Einreise sofort abgefangen und zumindest verhört werden würde. Da ich die Fragen aus Quellenschutzgründen aber nicht beantworten würde, stünde ich dann sofort auf der Terrorliste. Dieses Risiko will ich nicht eingehen. Auch Glenn Greenwald hält sich deshalb beispielsweise nicht mehr in Großbritannien auf - in den USA aber sehr wohl, weil es dort interessanterweise im Gegensatz zu Großbritannien kein solches Gesetz gibt.