DV-Ausbildung verändert auch die Berufsbilder der Kreativ-Branche:

Desktop Publishing schafft den Computer-Grafik-Designer

15.04.1988

Neue DV-Anwendungen lassen den Computer in immer mehr Arbeitsgebiete Einzug halten. Jüngstes Beispiel: Desktop Publishing. Als Folge daraus entstehen neue Berufsbilder mit neuen Ausbildungsinhalten. Dem müssen auch die DV-Bildungsinstitute Rechnung tragen. So bietet Control Data ab Mai 1988 bundesweit erstmals eine Ausbildung zum "Computer-Grafik-Designer/in" an. Christl Ziegler-Pirthauer, Mitarbeiterin von Control Data, beschreibt die Ausbildungsinhalte.

Desktop Publishing ist in aller Munde. Seit etwa zwei Jahren steht das Kürzel DTP stellvertretend für den Traum vieler Amateur-Verleger, die in Firmen, Behörden oder Vereinen Druckerzeugnisse erstellen. Zeitschriften, Broschüren oder Geschäftsberichte vom Schreibtisch aus planen, an einem PC-Arbeitsplatz texten, gestalten und realisieren die richtige Software macht's möglich, behaupten die Werbestrategen. DTP-Programme ersparen lange Wege zwischen Textredakteur, Layouter, Grafiker und Druckerei.

Erstmals gibt es Softwarepakete, die den PC-Anwender in die Lage versetzen, grafische und Textelemente integriert zu verarbeiten. DTP ermöglicht ansprechende Aufbereitungsformen, denn der Qualitätsstandard bei Dokumenten hört nicht beim Inhalt auf. Daß Desktop Publishing eine Lücke im Software-Angebot schließt, beweist nicht zuletzt der expandierende Markt, den Experten von Dataquest für das Jahr 1987 weltweit immerhin auf ein Volumen von knapp einer Milliarde Mark schätzen. IDC-Studien zufolge hält der Trend weiter an. Mit einer erwarteten Zunahme von über 20 Prozent pro Jahr gilt der Desktop-Publishing-Bereich als einer der größten Wachstumsmärkte der kommenden Jahre.

DTP: Jeder Anwender ein Verleger?

Haben sich nun die Erwartungen an ein mit so viel Vorschußlorbeeren bedachtes Produkt wirklich erfüllt? Macht DTP jeden PC-Anwender tatsächlich zum Verleger? Nachdem die erste Euphorie verflogen ist, läßt sich Bilanz ziehen. So mancher Hobby-Publizist hat längst resigniert angesichts der von ihm erzielten Ergebnisse, denen trotz DTP und guten Willens erhebliche gestalterische Mängel anhaften.

In Firmen und Verwaltungen setzt sich auf höherer Ebene allmählich die Erkenntnis durch, daß attraktive Publikationen mehr voraussetzen als einen Mitarbeiter mit Kenntnissen in der Textverarbeitung. Die beste Software ersetzt nämlich nicht Ausbildung und Erfahrung eines ganzen Berufsstandes. Ohne satz- und layouttechnisches Basiswissen, ohne grafisches Gespür und ohne den kreativen Input durch den Menschen bleibt DTP-Software für den Laien ein wenig hilfreiches Werkzeug. Professionellen Anwendern aus gestalterischen Berufen wie Werbefachleuten, Grafikern, Layoutern oder Designern eröffnet DTP nach intensivem Training jedoch interessante, vielfältige Einsatzmöglichkeiten.

Der Computer begleitet Künstler und Berufe aus der Kreativ-Branche in die Zukunft. Er revolutioniert Berufsbilder und prägt neue Berufsbezeichnungen. Symbol für diesen rasanten Umbruch in Grafik, Design und Werbung ist der Computer-Grafik-Designer. Desktop-Publishing ergänzt für ihn die konventionelle Gestaltungs- und Satztechnik oder löst sie ganz ab; Computeranimation eröffnet ihm völlig neue Dimensionen, Informationen und Werbebotschaften an eine Zielgruppe zu adressieren.

Wer den Computer als nützliches, "Werkzeug" begreift, kommt relativ schnell zu der Erkenntnis, daß er keineswegs die Kreativität tötet, sondern in Synthese mit ihr die gestalterische Arbeit erleichtert. Die Hemmschwelle gegenüber der Technik des Kommunikationszeitalters ist nämlich gerade unter den Individualisten der kreativen Berufe aus traditionellen Gründen sehr hoch angesetzt. Noch 1986 resümierte der Rat für Formgebung, Darmstadt: "Designer wissen wenig über CAD". Nur drei von zwanzig Designern, so das Resultat der Studie "Designer und Computer - neue Technologie im Designprozeß", bedienten sich CAD (Computer Aided Design).

In der Kreativ-Branche beginnt man allmählich auch, die angebotenen Arbeitserleichterungen für sich zu erkennen und zu nutzen. Computer und Kreativität sind gefragt. Der Grafiker entwickelt die Ideen, und der Rechner erledigt die Routinearbeiten präziser und schneller, als der Mensch dies je könnte. Der Rationalisierungseffekt schlägt sich in der Kalkulation nieder. Er entlastet den Grafiker durch kürzere Entwurfszeiten, zeitsparende, aber umfangreiche Variantenbildung und problemlose Änderungen. Wenn er Farbverläufe, Mustervariationen oder Proportionsveränderungen nicht mehr auf dem Papier durchspielen muß, bleiben Energie- und Zeitreserven unangetastet für die eigentlich kreativen Phasen. Sein Arbeitseinsatz wird effizienter, seine Entwürfe weisen eine höhere Qualität auf.

Unter dem Einfluß von Informations- und Kommunikationstechnik wird sich der Arbeitsmarkt für kreative Berufe neu strukturieren. Wer sich weiter qualifiziert, steigert in jedem Fall seine beruflichen Chancen. Die allgemeine Beschäftigungssituation bei den gestalterischen Berufen verspricht auf absehbare Zeit keine Entspannung. Im ersten Halbjahr 1987 standen 2747 arbeitssuchenden Grafikern, Layoutern und Designern nur 77 offene Stellen gegenüber. Die Fachvermittlungsdienste (FVD) der Bundesanstalt für Arbeit bestätigen Bewerbern mit Computererfahrung allerdings eine günstigere Startposition. In den ANBA (Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit) Nr. 5/1987 war zu lesen: "Kenntnisse in der grafischen Datenverarbeitung machten diese Bewerber zu gesuchten Fachkräften." Die Schlußfolgerung, die die Bundesanstalt daraus zieht, heißt Zusatzqualifikation, da "der grafischen Datenverarbeitung für diese Berufe immer größere Bedeutung zukommt, aber entsprechende Kenntnisse an Hochschulen nur selten vermittelt werden".

Mit Desktop Publishing als Basis stehen nun geeignete Software Produkte zur Verfügung, nicht nur einer kleinen Minderheit unter Grafikern und Designern den Zugang zum Computer zu öffnen. Das Control Data Institut hat diesen Trend erkannt und bietet als einer der Vorreiter ab Mai 1988 bundesweit erstmals die 6 (Vollzeit) beziehungsweise 12 Monate (Teilzeit) dauernde Qualifizierungsmaßnahme "Computer-Grafik-Designer/in" an. Ausgebildete und/oder berufserfahrene Bühnenbildner, Grafiker, Gebrauchsgrafiker, Industriedesigner, Innenarchitekten, Kommunikationsdesigner,

Kunsterzieher, Layouter, Modedesigner, Trickfilmer, aber auch interessierte Werbe- und DV-Fachleute trainieren den Umgang mit der entsprechenden Software.

Der Schwerpunkt für diese Zielgruppe liegt nach einer Einführung in die DV-Grundlagen zunächst auf GEM, Autocad und Pagemaker. Daran schließen sich Btx-Grafik, 2D-, 3D- und Animationssoftware an. Raymond J. Tuleweit, Produktplaner beim Control Data Institut: Wir arbeiten mit marktgängiger Software, um wirklich eine große Anzahl von Benutzern unter Grafikern und Designern anzusprechen." Kleinere und mittlere Betriebe können nämlich nur dann einen Computer-Grafik-Designer beschäftigen, wenn das Preis/Leistungs-Verhältnis bei Hard- und Software stimmt, und die Personalaufwendungen nicht den finanziellen Rahmen sprengen. Auf Großanlagen sowie die mit ihnen vertrauten Spezialisten müssen sie aus Kostengründen ohnehin verzichten.

Da die computergerechte Bereitstehung von Daten und Informationen in Kommunikationsberufen zunehmend an Bedeutung gewinnt, zählt der Umgang mit Standardsoftware wie MS-Word, Lotus

1-2-3 und dbase für den Grafiker der Neuzeit zum Handwerkszeug. Mit GEM setzt er Tabellen und Statistiken in Übersichts- und Präsentationsgrafiken um. Autocad, ein weitverbreitetes, leistungsfähiges Konstruktionsprogramm, dient ihm zur Erstellung von Feindesign- und normgerechten Zeichnungsvorlagen. Der Umgang mit Digitalisiertablett und Tablettmenüs wird ihn im Grunde an die Arbeit am Zeichentisch erinnern: Geometrische Grundelemente wie Linien, Kreise und Kreisbögen lassen sich mit vom Programm zur Verfügung gestellten Konstruktionshilfen arrangieren. Fertige Zeichnungselemente speichert Autocad abrufbereit im Bibliotheksteil.

Professionelle Layout-Gestaltung zum Zwecke eine optimalen Koordination von Texten, Bildern und Grafiken auf Folie oder Papier erreicht der Computer-Grafik-Designer durch den Einsatz eines DTP-Programmes, zum Beispiel Pagemaker. Beim Umbruch von Texten, Plazieren und Ändern von Design-Vorlagen oder bei der Verwaltung von Layout-Seiten erweist sich Pagemaker als hilfreiches Instrument. Die innovativen Ideen jedoch, die die entstehende Publikation über ein Primitivst-Layout hinausheben, müssen aus dem Kopf des Anwenders kommen. Sie spiegeln seine Erfahrungen aus Ausbildung und beruflicher Praxis wider.

Animationssoftware ist das Stichwort, wenn es um bewegte Bilder geht. Der Computer-Grafik-Designer erweckt durch Verschieben, Rotieren oder Kopieren dreidimensionale Körper auf dem Bildschirm zum Leben. Mit handwerklichem Geschick, Phantasie und einer entsprechenden DV-Qualifizierung sind ihm so in der Industrie- und Kommunikationsgesellschaft Aufträge sicher.