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Desktop-Linux: hochgelobter Außenseiter

19.10.2004
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Wolfgang Herrmann war Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.
Kostenvorteile und Stabilität versprechen sich deutsche IT-Manager von Linux als Desktop- Betriebssystem. Trotzdem ist die Revolution auf dem Schreibtisch bislang ausgeblieben.

Sechs Prozent der deutschen Unternehmen nutzten 2003 Linux-Desktops. Gemessen an der installierten Basis lag der Anteil nur bei drei Prozent. Quelle: Techconsult 

Es war keine religiöse Entscheidung, auf Linux zu wechseln", sagt Lars Kloppsteck, IT-Leiter bei Heinrich Berndes Haushaltstechnik. "Ausschlaggebend waren Kostengründe, aber auch Vorteile, die sich aus dem Umstieg von Windows-PCs auf Thin Clients ergaben." Der mittelständische Hersteller von Kochgeschirr und -zubehör ist Pionieranwender in Sachen Linux auf dem Desktop. Bereits 1998 stellte das Unternehmen aus Arnsberg seine damals rund 35 PCs von Windows auf das quelloffene Betriebssystem um. Heute arbeiten rund 80 Thin Clients unter Linux, Anwendungen wie Open Office liegen auf mehreren zentralen Servern.

Bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) in Hamburg zog die Entscheidung für Open Source ein Großprojekt nach sich: Der gesetzliche Unfallversicherer migrierte rund 2000 Desktops von Windows auf Linux, weil ihm die Upgrade-Politik der Redmonder ein Dorn im Auge war. "Im Lizenzmodell von Microsoft ist nicht vorgesehen, einen älteren Release-Stand einzufrieren, auch wenn der für die Bedürfnisse des Unternehmens voll ausreicht", begründet IT-Leiter Bernd Kieseler den Wechsel. Für nicht benötigte Microsoft-Upgrades im 18-monatigen Abstand wären den Hanseaten Kosten von 200 bis 250 Euro pro PC und Jahr entstanden.

Dass es auch andere Motive gibt, Open-Source-Clients zu nutzen, zeigt das Beispiel der ebenfalls in Hamburg ansässigen Firma Tröber. "Sicherheit und Stabilität waren die Hauptgründe für Linux auf dem Desktop", erklärt IT-Chef Günter Stoverock. Lizenzkosten hätten bei der Entscheidung kaum eine Rolle gespielt. Zum Jahresende 2003 stellte der Import/Export-Betrieb seine rund 60 Arbeitsplatzrechner von Windows NT 4.0 auf Linux um. Zuvor waren bereits mehrere Server auf das Open-Source-System migriert worden.

"Wir wollten keine Blue- screens mehr auf den PCs", so Stoverock. Mit Linux gebe es weniger Abstürze und mehr Sicherheit vor Viren: "Die Mitarbeiter können produktiver arbeiten." Auch Berndes-Manager Kloppsteck lobt die Stabilität seiner Installation: "Die Rechner laufen und laufen und laufen." Vorteile bringe Linux zudem hinsichtlich der Administration. Wartung und Support lässt er von nur einer Mitarbeiterin erledigen.

Vereinfachte Administration

Ähnliche Gründe gaben beim Versicherungskonzern Debeka den Ausschlag für Linux in den Geschäftsstellen: "Für uns stand die Frage im Vordergrund, wie wir 4000 Desktop-Systeme vernünftig administrieren können", erläutert Projektleiter Axel Meier. Die Koblenzer greifen für die deutschlandweit verteilten Thin Clients auf das Smart-Client-Konzept von Suse Linux zurück. Damit lasse sich die Verwaltung der Desktops erheblich vereinfachen. Wichtig sei auch die Anpassbarkeit der Open-Source-Software gewesen. Dennoch laufen die rund 2000 PCs in der Hauptverwaltung weiterhin unter Windows. Meier: "Die Mitarbeiter nutzen noch zu viele Anwendungen, die nicht unter Linux verfügbar sind." Strategische Ausrichtung sei aber, Linux dort einzusetzen, wo es die Applikationen ermöglichten.

Folgt man den Argumenten der Open-Source-Befürworter, gibt es noch viele weitere Gründe für Linux auf dem Desktop, darunter insbesondere die Unabhängigkeit von einem einzelnen Hersteller, sprich Microsoft. Doch trotz aller Bemühungen der Anbieter und einiger spektakulärer Projekte wie dem der Stadt München hält sich der Erfolg in engen Grenzen. In vielen Fällen handelt es sich um Thin-Client-Installationen oder um Rechner mit sehr begrenztem Funktionsumfang.

"Die Marktzahlen sind aktuell ernüchternd", urteilt Andreas Zilch vom Kasseler Marktforschungs- und Beratungshaus Techconsult. Zwar lag der Anteil deutscher Unternehmen mit Linux-Desktops im vergangenen Jahr bei sechs Prozent. Doch gemessen an der installierten Basis sämtlicher Arbeitsplatzrechner kommt das Open-Source-System auf magere drei Prozent. Für das laufende Jahr erwartet Techconsult eine minimale Steigerung auf 3,1 Prozent.

Zu den Haupthindernissen zählt Zilch die unzureichende Kompatibilität mit Windows-Formaten. Von der COMPUTERWOCHE befragte Anwender bestätigen diese Einschätzung. Open Office sei zu Microsofts Office nur zu 95 Prozent kompatibel, beklagt etwa Bernd Hilgenberg, IT-Leiter bei der Fressnapf Tiernahrungs GmbH. "Über die restlichen fünf Prozent stolpern wir immer wieder." Anwender hätten vor allem mit Formatierungsproblemen zu kämpfen. So komme das Open-Source-Paket beispielsweise nur schlecht mit Grafiken zurecht, die unter Microsoft Excel erstellt wurden.

Killerapplikation Open Office

In den Franchise-Märkten des Krefelder Unternehmens hat Hilgenberg rund 600 PCs mit Open Office ausrüsten lassen. Das Betriebssystem heißt derzeit noch Windows. Der IT-Manager sieht die Office-Umstellung als strategische Vorbereitung für die künftige Plattformauswahl: "Vor dem Launch der nächsten Windows-Version 'Longhorn' möchten wir entscheiden können, welches Desktop-Betriebssystem wir wählen. Open Office ist die Killerapplikation, wenn es um den Einsatz von Linux auf dem Desktop geht."

Der Faltschachtelhersteller Colorpack aus Rüdersdorf bei Berlin ist schon einen Schritt weiter. Nach guten Erfahrungen mit Linux auf dem Server stellte Systemadministrator Roland Winkler vergangenes Jahr 25 der 55 Firmen-PCs von Windows 98 auf Suse Linux um. Obwohl sich viele Anwender mit den Vorteilen des Linux-Desktops angefreundet hatten, musste er seine Entscheidung nach einem Jahr teilweise zurücknehmen und etliche PCs auf Windows 2000 umstellen.

"Unsere Kunden arbeiten ausschließlich mit teils sehr alten Microsoft-Umgebungen, mit denen es Datenaustauschprobleme gibt", begründet er den Schritt. Auch die Datenübernahme aus der Branchensoftware "Comix" in Excel war nicht unter Linux einzurichten. Dazu hätten die Mitarbeiter Dynamic Data Exchange (DDE) benötigt, eine Technik, die unter Linux nicht verfügbar ist. Open Office konnte Winkler ohnehin nicht einsetzen: Für die Neuprogrammierung bestehender Excel-Makros unter dem Open-Source-Paket fehlte ihm die Kapazität.

Zu wenige Anwendungen

Der Linux-Desktop sei der Windows-Oberfläche zwar ebenbürtig, resümiert er. Das alleine reiche aber nicht. Damit sich das offene Betriebssystem gegen die Microsoft-Konkurrenz durchsetzen könne, müsse vor allem die Verfügbarkeit sämtlicher Anwendungen unter Linux gegeben sein. Auch Techconsult-Experte Zilch sieht hier einen gravierenden Nachteil: Größere Unternehmen nutzen nach seiner Erfahrung im Durchschnitt 200 verschiedene Desktop-Anwendungen. Vor allem viele kleine Applikationen liefen nicht unter Linux; der Zugriff über das Programm "Crossover" von Codeweavers funktioniere nicht immer und bedeute einen zusätzlichen Overhead.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich die skeptische Haltung vieler deutscher IT-Verantwortlicher. Nach Techconsult-Erhebungen glauben nur zehn Prozent, dass Linux breitflächig bestehende Desktop-Landschaften ablösen wird. 38 Prozent hingegen sehen das Open-Source-System auf dem Desktop auch zukünftig als Nischenplattform für Entwickler und Workstations.