Desktop-Betriebsssteme/Windows 95 bringt Apple-Komfort auf Intel- basierte PCs Ein Generationswechsel mit geringen Risiken fuer Microsoft

04.08.1995

Von Peter Monadjemi*

Knapp vier Jahre nach der Einfuehrung von Windows 3.1 steht mit Windows 95 eine neue Windows-Generation vor der Tuer. Auch wenn vieles fuer einen ueberwaeltigenden Erfolg spricht, bleibt der Umstieg gerade fuer Unternehmen nicht ganz ohne Risiken.

Am 24. August steht der Softwarebranche ein Mega-Ereignis bevor. An diesem Tag soll Windows 95 nicht nur offiziell vorgestellt werden, sondern bereits in den Laeden zu haben sein - zumindest in den USA, bei uns wird es voraussichtlich erst am 5. September soweit sein.

Die Bedeutung der bevorstehenden Einfuehrung wird weniger durch den enormen Marketing-Aufwand bestimmt, der nach den Vorstellungen von Microsoft den Markennamen Windows so bekannt machen soll wie Mickey Mouse und Coca-Cola. Sehr viel wichtiger ist, dass nahezu die gesamte Soft- und Hardware-Industrie der Verfuegbarkeit von Windows 95 schon seit Monaten entgegenfiebert.

PC-Industrie unterwirft sich einem Unternehmen

Gruende dafuer, dass sich die PC-Industrie fast ausnahmslos der Strategie einer einzelnen Firma unterwirft, sind nicht schwer zu finden. Mit weltweit ueber 70 Millionen Benutzern ist Windows inzwischen die mit Abstand wichtigste Betriebssystem-Plattform und damit zum benoetigten Standard geworden.

Microsoft ist es in den letzten zwei Jahren mit beispiellosem Erfolg gelungen, die Produktplaene aller fuehrenden Hard- und Softwarehersteller auf Windows auszurichten. Eine Grafikkarte, fuer die kein Windows-Treiber existiert, ist inzwischen genauso undenkbar wie ein Neuwagen, der nicht mit bleifreiem Benzin faehrt. Selbst einst erbitterte Konkurrenten wie Novell, Lotus und Borland sind inzwischen mehr oder weniger auf den Windows-Erfolg angewiesen.

Dabei fing alles ganz harmlos an. Als Windows im Jahre 1984 als Antwort auf den Apple-Macintosh auf den Markt kam, wagten auch die kuehnsten Optimisten bei Microsoft nicht, von einem Erfolg zu traeumen. Jahrelang fristete Windows ein Dasein als "Nischenoberflaeche", bis mit der Version 3.0 im Jahre 1990 der Durchbruch gelang.

Gemaess der Erkenntnis, dass ein Uebernachterfolg stets das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit ist, dauerte es aber noch ein paar Jahre, bis sich Windows als Standard fuer den PC etablieren konnte. Glaubt man den Marktprognosen, vor allem aber der derzeitigen Stimmung in der Industrie, steht der Hoehepunkt des Erfolgs mit der Einfuehrung von Windows 95 erst noch bevor.

Windows 95 ist nicht nur der direkte Nachfolger von Windows 3.11 und Windows fuer Workgroups, es soll gleichzeitig auch die MS-DOS- Aera beenden. Microsoft musste daher nicht nur einen Anreiz fuer den Umstieg schaffen, sondern auch dafuer sorgen, dass niemand Nachteile in Kauf zu nehmen hat.

Die Verbesserungen von Windows 95 lassen sich auf drei Punkte reduzieren:

- ein optimierter Betriebssystem-Unterbau,

- eine zentrale Konfigurationsdatenbank, die dank Plug-and-play- Unterstuetzung den Einbau von Hardwarekomponenten und das Konfigurations-Management fuer Systembetreuer erleichtert, sowie

- eine grafische Benutzeroberflaeche, die vor allem durch eine konsistente Benutzerfuehrung besticht.

Doch nicht alle Anwender werden von diesen Vorteilen profitieren koennen. Die Aenderungen an der Architektur fuehren zwangslaeufig zu Inkompatibilitaeten. Die halten sich zwar in ertraeglichen Grenzen, fuehren im Einzelfall aber schlicht und ergreifend dazu, dass bestimmte Anwendungen nicht mehr laufen. Von der Plug-and-play- Unterstuetzung profitieren nur jene PCs in vollem Umfang, die ein Plug-and-play-faehiges BIOS und Erweiterungskarten aufweisen, die der Plug-and-play-Spezifikation entsprechen.

Die groesste Umstellung, sowohl fuer Anwender als auch fuer den Benutzersupport im Unternehmen, bringt die neue Oberflaeche mit sich. Noch nie seit der Einfuehrung von Windows hat Microsoft einen solch radikalen Einschnitt in die Bedienerfuehrung vorgenommen. Obwohl das User-Interface ausfuehrlich getestet wurde und von unabhaengigen Fachleuten durchweg gute Noten erhielt, bleibt ein Restrisiko bestehen.

Zwar stehen auf Wunsch nach wie vor sowohl der Programm- als auch der Datei-Manager von Windows 3.1 im alten Gewand zur Verfuegung, doch wer in den Genuss der vielen Verbesserungen kommen will, muss zwangslaeufig umlernen. Gerade Unternehmen koennte dies vor Probleme stellen, denn der Trainingsaufwand ist nicht zu unterschaetzen.

Die Marktforschungsfirma Gartner Group hat bereits vor einem Jahr ausgerechnet, dass sich ein Umstieg auf Windows 95 durch den Produktivitaetsgewinn bereits nach einem Jahr amortisiert. Doch muessen die Ausgaben fuer die Aufruestung der Hardware, die Anschaffung der 32-Bit-Software und fuer die Umschulung zunaechst einmal getaetigt werden. Produktivitaetseinbrueche waehrend der Umstellungsphase und Motivationsprobleme der Mitarbeiter sind in dieser Rechnung nicht beruecksichtigt.

Microsoft liefert mehr technische Informationen

Microsoft ist sich dessen natuerlich bewusst. Bei Windows 3.1 waren technisch fundierte Informationen Mangelware, und Tips zu Einstellungen in Ini-Dateien und andere Insider-Kniffe erfreuten sich groesster Beliebtheit. Nun aber will Microsoft von Anfang an sicherstellen, dass jeder die technischen Informationen erhaelt, die er benoetigt.

Dafuer sorgt zum einen das "Microsoft Windows 95 Resource Kit", das auf ueber 1400 Seiten kaum Fragen zur Installation und Konfiguration offenlassen duerfte. Dafuer sorgen zum anderen eine Trainingsallianz mit zahlreichen Schulungsfirmen und nicht zuletzt die "Microsoft Technet-CD", die in ihrer August-Ausgabe mehr als 2800 Seiten zum Thema Windows 95 enthaelt.

Die Umstiegseuphorie koennte auch durch die Hardwarevoraussetzungen ein wenig gedaempft werden. Auf dem Windows-95-Karton ist ein Arbeitsspeicherbedarf von 4 MB angegeben. Aber alle sind sich einig, dass es mindestens 8, besser sogar 16 MB sein sollten.

Auch Besitzer zu kleiner Festplatten werden an Windows 95 wenig Freude haben. Zwar belegt Windows 95 in einer Durchschnittsinstallation lediglich 30 MB auf der Festplatte, doch im Multimedia- und Online-Zeitalter kann es selbst auf einer 500- MB-Platte schnell eng werden. Wer zusaetzlich "Microsoft Plus", das Zusatzpaket installiert, das unter anderem einen Internet-Browser, einen Btx-Decoder, einen 3D-Flipper sowie zahlreiche aufwendig gestaltete Bildschirmschoner und Hintergrundmuster enthaelt, muss noch einmal 50 MB veranschlagen.

Die sicherlich markanteste Neuerung ist die Benutzeroberflaeche und die damit verbundene neue Benutzerfuehrung. Diese drueckt sich zunaechst einmal in einem dezenteren Erscheinungsbild aus. Alle Elemente besitzen die fuer die meisten Betrachter sehr viel angenehmere 3D-Optik. Das zweite Plus der Benutzeroberflaeche ist die Verwendung einheitlicher Dialogfelder und das dritte schliesslich die konsequente Einbeziehung der rechten Maustaste. Unmittelbar nach dem Start wird der Benutzer durch einen aufgeraeumten Desktop begruesst.

Alle Aktivitaeten, wie das Starten von Programmen oder das Oeffnen eines Dokuments, beginnen in der Regel durch das Oeffnen der Startschaltflaeche, die Bestandteil der Task-Leiste ist. Letztere spielt die Rolle einer Fernbedienung fuer Windows 95, da alle offenen Anwendungen in Form eines Symbols auf der Task-Leiste angeordnet werden. Moechte der Benutzer zwischen Anwendungen umschalten, genuegt ein Klick auf das entsprechende Symbol.

Netzwerkfunktionalitaet spart Supportkosten

Im Gegensatz zu Windows 3.1 besitzen alle Objekte, die in den Ordnerfenstern, den Nachfolgern der Programmgruppenfenster, und auf dem Desktop angeordnet werden, ein Eigenleben. Ein Anklicken mit der rechten Maustaste oeffnet ein Kontextmenue, in dem nicht nur alle Eigenschaften des Objekts eingestellt werden, sondern wo auch eine Reihe von Aktionen bereitstehen, die sich mit dem Objekt ausfuehren lassen, so zum Beispiel Oeffnen, Drucken oder Schnellansicht.

Besonders praktisch ist die direkte Einbeziehung der Netzwerkfunktionalitaet. Das Oeffnen des Ordners mit dem bezeichnenden Namen Netzwerkumgebung genuegt, und schon stehen alle im Netzwerk freigegebenen Verzeichnisse parat: Windows 95 verfuegt ueber einen eigenen 32-Bit-Netware-Client. Die Verknuepfung mit einem Laufwerkbuchstaben ist nicht mehr erforderlich.

Vom neuen Benutzerkomfort profitiert vor allem die Konfiguration. Saemtliche Einstellungen, sei es die Mausgeschwindigkeit, die Installation eines Netzwerk-Clients oder die Vergabe einer IP- Adresse fuer den Internet-Zugriff, werden in der Systemsteuerung vorgenommen und in der Registrierung, der zentralen Konfigurationsdatenbank von Windows 95, vermerkt. Da diese netzwerkfaehig ist, koennen Systemadministratoren Konfigurationsaenderungen bequem ueber das Netzwerk erledigen. Dies ist ein enormer Fortschritt gegenueber Windows 3.1, der die Supportkosten deutlich senken koennte.

Die Plug-and-play-Unterstuetzung von Windows 95 koennte das Ende der meisten Konfigurationsprobleme bedeuten: kein Raetselraten ueber Interrupts, E/A-Ports und DMA-Kanaele und keine kryptischen Eintraege in irgendwelchen Ini-Dateien mehr. Im Idealfall genuegt es, die Karte einzubauen und den PC einzuschalten.

Nach dem Booten erkennt Windows 95 automatisch die Anwesenheit einer neuen Komponente, laedt die benoetigten Treiber und - was am wichtigsten ist - vergibt automatisch Ressourcen wie einen Interrupt oder einen E/A-Adressbereich. Voraussetzung ist allerdings, dass sowohl das PC-BIOS als auch die am und im Rechner angeschlossenen Geraete die von Microsoft in Zusammenarbeit mit fuehrenden Hardware- und BIOS-Herstellern entwickelten Plug-and- play-Spezifikationen unterstuetzen.

Schnelle Konfiguration mit Plug and play

Ist das nicht der Fall, aendert sich zwar nichts am Prinzip der Konfiguration, doch kann es in diesem Fall erforderlich sein, dass der Benutzer bei der Konfiguration selbst aktiv und eine Interrupt-Nummer oder sogar den Geraetetyp auswaehlen muss. In Zukunft wird ein solches Szenario aber unwahrscheinlicher, da immer mehr Hardwarehersteller sich beeilen werden, ihre Produkte Plug-and-play-faehig zu machen.

Auch Microsoft hat inzwischen das enorme Potential des Internet erkannt. Nach dem Willen von Bill Gates soll Windows 95 der ideale Internet-Client werden. Dafuer sorgen nicht nur das eingebaute TCP/IP-Protokoll, Grundvoraussetzung fuer den Internet-Zugriff, sondern auch der Microsoft-Explorer, ein von der Firma Spyglas lizenzierter Web-Browser, der auf allen PCs zu finden sein wird, auf denen Windows 95 vorinstalliert wird. Ausserdem steht er ueber das Zusatzpaket Microsoft Plus zur Verfuegung.

Das Hauptproblem, den Zugang zum Internet ueber einen Provider, will man bis spaetestens 1996 geloest haben. Dann soll auch bei uns, in den USA bereits mit der Einfuehrung von Windows 95, ein Zugang zum Internet ueber das Microsoft-Network moeglich sein. Dieser neue Online-Dienst von Microsoft wird ebenfalls am 24. August sein Debuet geben.

Eine besondere Rolle spielt wie immer der Fun-Faktor. Waehrend zur Popularitaet von Windows 3.1 massgeblich das Kartenspiel Solitaire beigetragen hat, sind es diesmal die verbesserte Multimedia- und Spieleunterstuetzung. Wie erfolgreich Windows 95 im Privatbereich werden duerfte, machen die Reaktionen fuehrender Spielehersteller deutlich, die Windows 3.1 keine allzu guten Seiten abgewinnen konnten.

Fuer das Vergnuegen ist auch gesorgt

Grund fuer den Zuspruch sind eine Reihe von Verbesserungen, die Microsoft in enger Zusammenarbeit mit Hard- und Softwareherstellern ausgearbeitet und im Software Developers Kit "Game SDK" zusammengefasst hat. In Zukunft werden auch bisher DOS- basierte Top-Action-Spiele mit atemberaubender 3D-Grafik in einem Fenster laufen, mit anderen Windows-Anwendungen kommunizieren und sogar ueber die Systemsteuerung konfigurierbar sein.

Dass Windows 95 ein Erfolg wird, steht ausser Frage. Viele Unternehmen werden das neue Betriebssystem, insbesondere in bezug auf die Vertraeglichkeit mit bereits vorhandenen Systemen, zunaechst sorgfaeltig evaluieren, ihm wegen der Folgekosten moeglicherweise generell skeptisch gegenueberstehen. Doch da es sich im Heimbereich schnell durchsetzen wird, auf den Privat-PCs der Firmenangestellten, wird auch in den professionellen Umgebungen nachgezogen werden.

Bleiben Anwender ihrem OS/2 oder Mac-OS treu?

Sehr viel interessanter ist daher die Frage, welche Auswirkung die Einfuehrung von Windows 95 auf die Konkurrenz haben wird. Der Verkaufserfolg von IBMs OS/2 Warp wird sicherlich unter dem Umstand leiden, dass nur noch wenige Haendler ihre PCs damit vorinstallieren werden. Auf der anderen Seite hat sich OS/2 Warp gerade in Deutschland erfolgreich etablieren koennen.

An diesem Umstand duerfte auch Windows 95 nichts aendern, denn trotz aller Vorzuege, die Windows 95 gegenueber Windows 3.1 zu bieten hat, ist es relativ unwahrscheinlich, dass OS/2-Anwender zur Windows- Plattform zurueckkehren. Denn OS/2 Warp besitzt dank bestimmter Features wie der etwas besseren Ausfuehrung von DOS-Anwendungen, des effektiveren Multitaskings bei der Ausfuehrung von DFUE- Anwendungen und nicht zuletzt der leistungsfaehigen Systemsprache Object-Rexx nach wie vor eindeutige Vorteile.

Windows 95 ist moeglicherweise eher eine Gefahr fuer Apple. Auch wenn ueberzeugte Mac-Anwender anderer Meinung sein duerften, fuer einen Neukaeufer ist aeusserlich ein PC mit Windows 95 von einem Macintosh mit Mac-OS 7.5 kaum noch zu unterscheiden. Diese Tatsache hat bei Grossanwendern bereits zu ersten Konsequenzen gefuehrt.

Ein beispielhafter Fall hat sich bei Lockheed in den USA abgespielt. Der Flugzeughersteller wollte mehrere tausend Macs durch Windows-95-PCs zu ersetzen. Begruendet wurde dieser Schritt, der einen Trend signalisieren koennte, mit den einzusparenden Supportkosten. Nachdem die Benutzer fuer ihre Macs auf die Barrikaden gegangen waren, hat das Unternehmen die Entscheidung zunaechst einmal ausgesetzt.

Der kommende Standard im PC-Bereich heisst Windows 95. Allzuviel Zeit sollte man sich mit dem Umstieg allerdings nicht lassen. Nach Worten von Bill Gates wird Windows 95 nur eine begrenzte Lebensdauer haben, denn in drei bis vier Jahren steht mit "Cairo", das auf Windows NT basiert, bereits der naechste Wechsel bevor. Doch auch wenn Cairo zahlreiche Neuerungen wie zum Beispiel ein objektorientiertes Dateisystem und eine sehr viel engere Integration von Microsoft Exchange, der Mail- und Fax-komponenten von Windows 95, mit sich bringen wird, am Prinzip der Benutzerfuehrung wird sich zum Glueck kaum etwas aendern.

*Peter Monadjemi ist freier DV-Fachautor in Bonn