Notfall 2000/Die Situation in der öffentlichen Verwaltung

Desinteresse der Politiker und Versäumnisse rächen sich

19.02.1999
Von Michael Funk Zu lange haben die Behörden das Problem vor sich hergeschoben. Jetzt kämpfen sie angesichts knapper Kassen, Personal- und Zeitmangel verweifelt gegen das drohende Jahreszahlenchaos in ihrer DV. Die Sache ist ins Rollen gekommen, die Hausaufgaben sind aber nur zum Teil erledigt.

1998 war das Jahr der Entdeckungen in den DV-Abteilungen vieler Ämter. Eine Publikation des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) befand: "In einem Jahr-2000-Projekt sind alle IT-Komponenten auf Jahr-2000-Fähigkeit zu prüfen, bestehende Mängel sind zu beseitigen."

"Die IT-Sicherheit ist gefährdet", war dort zu lesen. Was in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen als Binsenweisheit amüsantes Schmunzeln ausgelöst hätte, ist bei einer Behörde ein mutiger Satz. Nur wenige Monate vorher galt eine solche Äußerung in deutschen Amtsstuben als reine Provokation oder zumindest als medientypische Übertreibung.

Dem Thema wurde, wenn überhaupt, eher mit phlegmatischer Gelassenheit begegnet. "Unsere Programmierer werden dies nebenbei erledigen", war von Arndt Liesen, Leiter der Abteilung Informationsverarbeitung im Bundesamt für Finanzen, zu hören.

Die Zeiten haben sich geändert. Diesen Eindruck hinterlassen zumindest die neuen Bemühungen des BSI im Internet. Das dort veröffentlichte Material (www.bsi. de/aktuell/index.htm) umfaßt ein erstaunlich breit gefächertes Angebot an Artikeln zum Jahrtausendproblem. Themen zu Problemstellung, Terminierung der Problemlösung, Methoden und Hilfsmittel, Tests und Tools, Aussagen von Herstellern und zahlreiche Links zu anderen Internet-Seiten finden sich hier. Alle Dokumente lassen sich in drei verschiedenen Formaten herunterladen.

Und doch kam die an und für sich lobenswerte BSI-Hilfe zu spät. Manche Ämter hatten den Ernst der Lage eher erkannt. Die Bundesanstalt für Arbeit (BA) hatte jedenfalls längst mit der Umstellung begonnen. Laut Bernd Derscheid, dort Projektleiter "Datum 2000", laufen seit Januar 1998 Testläufe für Anwendungssoftware, Systemprogramme und Hardware.

Schon gar nicht kann das BSI den IT-Verantwortlichen in den Ämtern in puncto Budget Hilfestellung geben. Knappe Geldmittel und langfristige Bewilligungszeiträume sind gerade bei diesem DV- Projekt ein Kernproblem. Und eine Fristverlängerung wird es nicht geben. Das BSI: "Bei knappen Haushaltsmitteln wird die Lösung des J2K-Problems anhand einer Prioritätenliste der Anwendungen von ,vital'' zu ,marginal'' empfohlen." Im Klartext: Derzeit nicht bezahlbare Umstellungsmaßnahmen werden auf die lange Bank geschoben.

Zyniker könnten interpretieren: Wir müssen nur das tun, was wir auch schaffen. So ließ das IT-Referat "Bereich Automatisierung der Steuerverwaltung" im Bundesfinanzministerium durch den Sprecher Karl Michael Lehmann mitteilen: "Die Analysen der IT- Fachanwendungen sind abgeschlossen. Dabei hat sich hoher Umstellungsbedarf ergeben." Aber kein Problem, was anderswo zum größten DV-Projekt wurde: "Die Programmänderungen sind zum weitaus überwiegenden Teil erledigt."

Lehmann ergänzt: "Es stehen nur noch Programmänderungen in geringfügigem Umfang, Tests und entsprechende Nacharbeiten, Umstellungen der Datenbestände sowie ein Teil der Arbeit im Zusammenhang mit Fremdsoftware und Hardware aus."

Die Nachfrage, ob denn alle Probleme termingerecht zur Jahrtausendwende gelöst seien, beantwortete das Ministerium dementsprechend mit äußerster Vorsicht: "Aus heutiger Sicht ist davon auszugehen, daß diese Arbeiten termingerecht erledigt werden. Gegenteiliges wurde im Rahmen des letzten Erfahrungsaustauschs mit den Referatsleitern Automation der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder von den Vertretern der Länder nicht vorgetragen."

Zumindest in der Bundesanstalt für Arbeit sieht es auf den ersten Blick so aus, als käme es nicht zu einem Notfall 2000. Hier wird der Projektstand permanent überwacht und in monatlich stattfindenden Projektsitzungen zusammen mit den Anwendern erörtert.

Auch die Zusammenarbeit mit den Lieferanten scheint zu klappen. Jedenfalls ist der Hauptlieferant der Hard- und Software, Siemens Business Services, sowohl an den Projektsitzungen als auch in wichtigen Abstimmungsgesprächen vertreten. Die übrigen Hersteller und Vertragspartner wurden teilweise um eine schriftliche Zusicherung der Jahr-2000-Fähigkeit ihrer Produkte gebeten.

Trotzdem ist auch hier die Millennium-Bombe nicht entschärft. Laut Projektleiter Derscheid ist zum Beispiel der Gesamt-Integrations- und Verbundtest erst ab Juni 1999 geplant. Falls Probleme aufträten stünden höchstens sechs Monate für Nacharbeiten zur Verfügung. In Verzug sind ferner Tests zu Verfahren in dezentralen Rechenzentren.

Zu einem besonderen Problem könnten sich noch die vielen überalteten PCs in Behörden auswachsen. Im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit erklärt Derscheid, es werde "bedingt Jahr-2000-fähige Systeme - wenn überhaupt - im PC-Bereich" geben. "Dort kann es sich als notwendig erweisen, am 1. 1. 2000 das Datum neu einzustellen." Kann auch sein, daß das nicht reicht.

Doch wie sollten sich die Verantwortlichen in den einzelnen Behörden der Problematik bewußt sein, wenn nicht einmal die Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik in der Bundesverwaltung (KBSt) und das BSI das Ausmaß der Schwierigkeiten rechtzeitig erkannt haben? In anderen Ländern kamen sehr früh aus hochrangigen Institutionen Direktiven, Handlungsanweisungen und Leitfäden für Problemlösungen.

Günther Ennen vom BSI weiß das Versäumnis und den daraus resultierenden Rückstand deutscher Behörden in wohlgewählte Worte zu kleiden: "Es gibt regionale Unterschiede, denen eindeutig ein Grad des Problembewußtseins zuzuordnen ist. Während in den USA schon vor Jahren auf mögliche Schwierigkeiten hingewiesen wurde und derzeit über die umfangreichen Erfahrungen mit deren Lösung berichtet wird, wird das Thema in Deutschland eher am Rande behandelt und augenscheinlich weniger bewußt wahrgenommen."

Zu lang sei geredet und blauäugig gemutmaßt worden. "Zunächst wurden Probleme ausschließlich auf Großrechnern und in Anwendersoftware, die in älteren Sprachen programmiert wurde, vermutet. Mittlerweile ist sicher, auch der PC am Arbeitsplatz ist betroffen", meint Ennen.

Die Diskussion nahm bizarre Züge an, wie Ennen ungewollt herausläßt: "Während zunächst eine Betroffenheit bei den Lebensdaten von Personen - zum Beispiel Geburtsdatum, Termin der Einschulung, Lebensalter bei Heirat und Rentenanspruch - vermutet wurde, ist zwischenzeitlich bekannt, daß alle Daten und Informationen mit Zeitbezug betroffen sein können."

Eigentlich zeigt das Problem 2000 einen weitergehenden Notstand bei deutschen Behörden auf. Selbst wo die DV-Schwierigkeiten erkannt wurden, kämpften die Verantwortlichen allein, ohne Koordination und ohne Geld. Daß aber auch dieser Notfall mit nötiger Kompetenz und beherztem Ärmelhochkrempeln in den Griff zu bekommen ist, beweisen einige Einzelfälle. In der Datenzentrale Schleswig-Holstein ersetzte man fehlende Gelder durch frühes Handeln.

Rüdiger Muschner, Abteilungsleiter Software-Entwicklung und Projektleiter "Jahr 2000": "Seit April 1996 ist das Problem 2000 in der Datenzentrale Schleswig-Holstein ein Thema. Die Jahr-2000- Fähigkeit sollte im Rahmen der normalen Pflegearbeiten hergestellt werden. Sie wurden deswegen nicht gesondert ausgewiesen. Grobe Schätzungen weisen auf einen Aufwand von etwa 160 Personenmonaten hin, dazu kommen noch Sachkosten. Durch rechtzeitige Planung ist das Budget ausreichend."

Trotzdem: Auch in der Datenzentrale Schleswig-Holstein laufen die Vorbereitungen immer noch auf Hochtouren. Die Umstellung der Anwendungsprogramme ist noch nicht vollständig abgeschlossen, während bereits seit Juli 1998 Tests in isolierter Umgebung laufen. Die abschließenden Kontrollen sollten, so der Plan, eigentlich im ersten Quartal 99 abgeschlossen sein.

Probleme bereiteten die Hard- und Systemsoftwarehersteller. Obgleich diese bereits 1997 um eine Stellungnahme beziehungsweise eine schriftliche Bestätigung darüber gebeten wurden, daß ihre Hard- beziehungsweise Software Jahr-2000-fähig sei, blieb die Reaktion eher dürftig. Einige PC-Hersteller teilten lediglich mit, daß man mit neuen Rechnern auf der sicheren Seite stehe. Muschner: "Sollte das Jahr-2000-Problem etwa genutzt werden, eine Verkaufswelle auszulösen?"

Ebenfalls seit 1996 ist die Datenzentrale Baden-Württemberg, ein Dienstleistungsrechenzentrum für kommunale Behörden, mit dem Thema befaßt. Schon 1997 wurde laut Karl Trammer, Vorstandsvorsitzender der Datenzentrale, zusätzliches Personal eingestellt, zu einem Zeitpunkt also, als noch genügend Spezialisten verfügbar waren. Die Analyse der Systeme fiel günstig aus, abschließende Tests finden derzeit statt.

Schon jetzt glaubt Trammer versichern zu können: "Wir sehen keine Probleme beim Einsatz der von uns stammenden Software auf Mainframes unserer Kunden." Allerdings erwartet er "größere Probleme" bei Embedded Systems in diversen Anlagen von Städten, Landkreisen und Gemeinden..

Hemmnisse für flexibles Handeln

Rüdiger Muschner von der Datenzentrale Schleswig-Holstein glaubt, daß die unterschiedlichsten Verhaltensweisen in der öffentlichen Verwaltung ein eigenes Sonderheft füllen würden. Auch Karl Trammer von der Datenzentrale Baden-Württemberg sieht typische Behördenprobleme, etwa schwierige Mittelbeschaffung, knappe Gelder, wenig kompetentes Handeln und Mangel an qualifiziertem Personal. Unter dem Strich bremsen folgende Aspekte die Flexibilität der öffentlichen DV und werfen sie bei der Jahreszahlenumstellung zurück:

- Großer Budget-Zeitvorlauf ist notwendig.

- Nur wenig Gelder stehen für die Umstellung zur Verfügung - auch betagte Rechner müssen die Jahr-2000-Klippe überwinden.

- Technisch hochqualifiziertes Personal ist Mangelware, nicht zuletzt wegen der niedrigen Gehälter, die gezahlt werden.

- Fremdfirmen waren bereits früh ausgebucht und werden bei Behördenaufträgen zu schlecht bezahlt (Ausschreibungen).

- Jede Entscheidung der Verantwortlichen muß abgesegnet werden, eigenverantwortliches Handeln ist nicht gefragt.

- Es gibt oft Kompetenzprobleme und Desorientierung unter den Beamten: Wer ist zuständig für was? Wer darf wieviel entscheiden?

- Angst kann nicht antreiben: In der freien Wirtschaft ist die Arbeitsstelle bei Versagen in Gefahr - Beamte sind unkündbar und "überleben" jede Misere.

Angeklickt

Daß die neue Bundesregierung eine Informationsstelle eingerichtet hat, zeigt, daß inzwischen auch Behörden das Problem 2000 ernster nehmen. Es hat sich in den letzten zwölf Monaten einiges getan - dennoch viel zu spät. An dem Grundproblem unzureichender Etats hat sich nichts geändert. Die Ruhe der IT-Verantwortlichen täuscht aber nicht darüber hinweg, daß hinter informationsfeindlichen Behördenmauern etliche Probleme verborgen werden.

Michael Funk ist freier Journalist in Monsheim.