GSM World Congress: Wer braucht den M-Commerce?

Der Weg zum Internet-Handy erweist sich als steinig

11.02.2000
CANNES - Mehrwertdienste und die Migration zu den Mobilfunknetzen der dritten Generation (3G) waren die Trendthemen der diesjährigen GSM World. Auf dem Weg dahin soll das Handy vom einfachen Kommunikationsgerät zur digitalen Allzweckwaffe mutieren, mit der der Benutzer mehr kann als nur telefonieren.

Als Treffpunkt der Filmstars und Sternchen zählt Cannes zu den ersten Adressen. Weniger bekannt ist dagegen, dass der mondäne Mittelmeerort seit 1996 alljährlich im Februar für eine Woche zum Mekka der Mobilfunkszene avanciert. So pilgerten auch heuer rund 14000 Besucher zum GSM World Congress 2000, um sich bereits vor der CeBIT in entspannter Messeatmosphäre bei mehr als 200 Ausstellern über die neuesten Mobilfunk-Trends zu informieren.

Im Vordergrund standen Mehrwertdienste - der Ruf nach Services in den Handy-Netzen, die Migration zu den datenfähigen Netzen der dritten Generation (3G) sowie das sich abzeichnende Thema M-Commerce. In Anlehnung an das im Zusammenhang mit dem Internet viel strapazierte Wort E-Commerce träumt die Handy-Branche vom Zeitalter des Mobile Commerce. Der aufgeklärte Weltbürger bestellt dabei seine Bücher nicht mehr bei Amazon und Co. vom heimischen PC, sondern von unterwegs via Handy. Oder er zeigt dem Händler vor Ort nach einer kurzen Recherche im Netz, dass er zu teuer ist.

Die Lobby der Mobilfunker, allen voran die GSM Association, ein Zusammenschluss der Mobilfunkbetreiber, glaubt allein aufgrund der schieren Zahl von Handy-Benutzern an den Durchbruch des Mobile Commerce. So ist etwa Michael Stocks, CEO der GSM Association, davon überzeugt, dass in rund zwei Jahren weltweit etwa doppelt so viele Menschen ein Handy benutzen (eine Milliarde User) als es PC-Besitzer gibt, deren Zahl er auf 500 Millionen schätzt.

Über eine Tatsache können diese Prognosen jedoch nicht hinwegtäuschen: Applikationen in Sachen M-Commerce waren in Cannes noch Mangelware. Ebenso findet der schnelle Datentransfer via Handy - eine Grundvoraussetzung für M-Commerce und andere Services - entgegen den vollmundigen Versprechungen bisher nur im Labor statt. Entsprechend vorsichtig sprach Stocks in seiner Eröffnungsrede auch im Zusammenhang mit den Mobilfunknetzen der dritten Generation nicht mehr von einer Revolution, sondern einer Evolution, die ihre Zeit brauche. Entgegen früheren Verlautbarungen ist nicht mehr 2001 als das Jahr angepeilt, in dem die Handy-Netze auf UMTS-Basis Transferraten von bis zu einem Mbit/s schaffen, sondern 2002 oder 2003. Verschiedene Zwischenstufen (GPRS = General Packet Radio Service, EDGE = Enhanced Datarate for GSM Evolution) mit unterschiedlich ausgeprägter Datenfähigkeit sollen dem Anwender bis dahin die Wartezeit versüßen.

Apropos WAP: Die Mobilfunkszene war sich auf der IBC-Veranstaltung in Cannes einig darüber, dass die Carrier aufgrund der rapide sinkenden Minutenpreise für das Telefonieren via Handy zur Stabilisierung ihrer Gewinne neue Mehrwertdienste benötigen.

An der Frage nach der entsprechenden Technologie scheiden sich die Geister. So setzt ein Teil der Anbieter nach wie vor auf den altbekannten Message-Dienst SMS (Short Message Service), der nach seinen mageren Anfangsjahren mittlerweile einen Boom erlebt: Allein im Dezember 1999 wurden über drei Milliarden SMS-Nachrichten verschickt und bescherten den Netzbetreibern klingende Weihnachtskassen.

Sprache ist das einfachste Eingabe-MediumDie SMS-Protagonisten setzen dabei auf eine Kombination aus SMS und Voice-Portal, da, so ihre Argumentation, die Sprache noch immer das einfachste Eingabe-Medium ist. So bekommt ein Anwender etwa via SMS eine Mitteilung darüber, dass neue Nachrichten wie etwa Fax, Voice-Mail und E-Mail eingegangen sind. Diese kann er dann per Sprache abrufen, sich vorlesen lassen oder an andere Empfänger weiterleiten. Gleichzeitig dient das System als Terminkalender und Adressdatenbank. Ein Mehrwertdienst, den, wie hinter vorgehaltener Hand zu erfahren war, ein deutscher Mobilfunkbetreiber auf der CeBIT präsentieren will.

Angesichts solcher und ähnlicher Applikationen fragen die SMS-Befürworter nach dem Sinn von WAP. Und frotzeln, ob wohl jemand ernsthaft glaube, dass alle Welt ihre Web-Seiten umprogrammieren werde, nur damit sie auf einem kleinen Handy-Display zu lesen sind. Diesen Einwand will Ben Linder, Mitglied des WAP-Forums, in dem sich über 300 Firmen wie etwa Oracle und Microsoft zusammengeschlossen haben, allerdings nicht gelten lassen.

Linder räumt zwar ein, die WAP-Applikationen der ersten Generation seien nicht benutzerfreundlich genug. Er geht aber davon aus, dass ähnlich wie im Internet auch bei WAP alle drei bis vier Monate neue, verbesserte und benutzerfreundlichere Anwendungen entwickelt werden. Ansonsten hält er den SMS-Befürwortern die Beschränkung des Dienstes auf 160 Zeichen entgegen. Zum Austausch wichtiger E-Mails sei diese Kapazität wohl kaum geeignet, zumal SMS keine Rundbrieffunktionen kenne wie Internet- und WAP-Mail.

Eine Erfahrung kann aber auch Linder nicht entkräften: WAP ist in den derzeitigen Handy-Netzen ermüdend langsam. Alleine der Verbindungsaufbau zu einem Internet-Server, der die Standnummern aller Aussteller des GSM World Congress vorhielt, dauerte während einer Demonstration eine Minute - eine Zeitspanne, in der im Hintergrund unaufhörlich der Gebührenzähler tickt. Mit in Deutschland angemeldetem Handy im Ausland unterwegs, würde der Benutzer sein Gebührenkonto je nach Reiseland mit über zwei Mark belasten, noch bevor er seine Nachricht lesen oder eingeben könnte. Um dieser Gebührenfalle zu entkommen, hofft WAP-Promoter Linder, dass die europäischen Carrier ähnlich den US-Betreibern Discount-Preise für Datenverbindungen offerieren.

Helmut an de Meulen, Geschäftsführer bei Materna Information & Communication, dessen Unternehmen kommerzielle WAP-Server entwickelt und als Content-Provider auch für Carrier betreibt, vertraut dagegen auf die technische Weiterentwicklung. Für ihn beginnt der Siegeszug der WAP-Dienste mit der Anschaltung der GPRS-Netze. Der General Packet Radio Service soll Anwendern in den eigentlich leitungsvermittelnd arbeitenden GSM-Netzen einen paketbasierten Datendienst bieten, der zumindest theoretisch mit Transferraten von bis zu 128 Kbit/s aufwartet. Diesen Schritt weg von der leitungsvermittelten Übertragung hin zur paketorientierten Datenübermittlung feierten etliche Aussteller als erste Evolutionsstufe auf dem Weg zu den Netzen der dritten Generation, die nur noch paketbasiert arbeiten. Der Haken an der Sache ist allerdings, dass GSM auf einem Zeitschlitzverfahren (Time Division Multiplexing Access = TDMA) basiert und die Endgeräte mehrere solche Zeitschlitze parallel benutzen müssen, um die höheren Datenraten zu realisieren.

Entsprechend hoch sind die Anforderungen, die auf die Entwickler in den Labors der Handy-Hersteller warten: Das parallele Senden in acht Zeitschlitzen belastet die Batterien der Handys und führt zu Hitzeproblemen, die wohl keiner der Hersteller momentan im Griff hat. Entgegen den Ankündigungen auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) im letzten Sommer in Berlin, wonach im zweiten Quartal 2000 der Startschuss für GPRS falle, sprechen Nokia und Ericsson nun unisono davon, Endgeräte nicht vor 2001 zu liefern.

Angesichts dieser Schwierigkeiten sprachen böse Zungen in Cannes GPRS nur eine Rolle als Lückenbüßer zu, bis dann 2002 die Netze der dritten Generation implementiert werden. Allerdings wird der Anwender mit dem Einzug der neuen Netze nicht, wie ursprünglich bei der Planung des Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) vorgesehen, einen weltweiten Standard vorfinden. Vielmehr wird er, erklärt Ken Blakeslee, Vice President Nortel Networks, wie heute noch mit verschiedenen Standards zu kämpfen haben. Es gilt als wahrscheinlich, dass die Europäer als Mobilfunktechnik der dritten Generation WCDMA (Wideband Code Division Multiplexing Access) einsetzen und sich damit von ihren heute TDMA-basierten Handy-Netzen verabschieden. Die Amerikaner dagegen, die bereits einen Teil der Frequenzen, die eigentlich für die Netze der dritten Generation vorgesehen sind, anderweitig nutzen, werden mit CDMA 2000 eine eigene Variante implementieren. Um das Standardchaos zu vervollständigen, dürfte zeitgleich mit der Einführung der UMTS-Netze mit EDGE eine weitere Technik um die Gunst der Anwender buhlen. Zwar kann EDGE nicht mit den Datenübertragungsraten von UMTS (Stationär bis zu 1 Mbit/s) aufwarten, schafft aber immerhin noch 384 Kbit/s. Zudem ist EDGE nach Aussagen von Blakeslee teuer bei der Implementierung, bietet aber als Weiterentwicklung des GSM-Standards solchen Carriern eine Chance, die bei der Ausschreibung der UMTS-Lizenzen leer ausgehen. Denn mit EDGE sind sie ebenfalls in der Lage, Datenmehrwertdienste mit höherer Bandbreite anzubieten.

Mit dem Einstieg in die Netze der dritten Generation, so die allgemeine Meinung in Cannes, dürfte sich auch das Geschäftsmodell der Mobilfunkbetreiber grundlegend ändern: Da genügend Bandbreite vorhanden ist, und das paketbasierte Netz wie das Internet auf dem Netzprotokoll IP aufsetzt, gibt es keinen Sinn mehr, nach Minutenpreisen zu tarifieren - zumal wenn der angesprochene Gedanke des M-Commerce Anklang finden soll. Nicht die Übertragung als solche, sondern die entsprechenden Mehrwertdienste generieren in diesem Modell den Umsatz für Carrier und Content-Provider.

Vorstellbar sind viele Dienste in unterschiedlichsten Varianten. Einen ersten Hinweis darauf, wohin die Reise gehen könnte, gibt Japans Mobilfunkbetreiber Docomo mit dem Dienst I-Mode: Dort können sich die Anwender, in deren Handys MP3-Player integriert sind, per Mobilfunk die neuesten Musikhits auf das Handy laden.

Abb.: Mindestens jeder dritte Bundesbürger wird in diesem Jahr ein Handy haben. Quelle: RegTP

Abb.: Das Handy lernt die Datenübertragung nur langsam. Quelle: GSM Association