Experten analysieren europäisches Internet

Der Web-Zugang in Deutschland ist fünfmal teurer als im Ausland

09.12.1998
MÜNCHEN (fn) - Rund 500 Fachleute nahmen am diesjährigen November-Kongreß des Münchner Kreises zum Thema "Das Internet von morgen" teil. Zur Entwicklung des Web in Europa bezogen Experten aus dem In- und Ausland Stellung.

Jörg Wenzel, Leiter des Aktionszentrums "Informationsgesellschaft der Generaldirektion XIII" in der Europäischen Kommission, beziffert den jährlichen Umsatz mit Informationstechnologie in Europa auf etwa 1700 Milliarden Mark. Der Anteil des Internet an diesem Volumen nimmt seiner Meinung nach ständig zu. Allerdings bedauerte der Kommissionsbeamte, daß von den etwa 2100 Internet-Standards keiner in Deutschland entstand. Ferner prangerte Wenzel die Telefongebühren für den Web-Zugang an, die etwa fünfmal höher seien als in anderen Ländern. In Deutschland habe sich diese Situation auch nach der Regulierung des TK-Marktes nicht geändert, da die Telekom immer noch einen Marktanteil von 96 Prozent halte. Deshalb forderte Wenzel Sondertarife beispielsweise für Schulen. Thomas Geitner, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Otelo Communications, ergänzte dazu, bei hiesigen Internet-Service-Providern machten die an die Telekom zu entrichtenden Leitungsgebühren etwa 50 Prozent der gesamten Kosten aus - ein vergleichweise hoher Wert.

Nach Ansicht des EU-Vertreters hat Europa in Sachen Datenschutz durch eine jüngst in Kraft getretene Verordnung die Meinungsführerschaft übernommen. Dagegen würden die USA dieses Thema vernachlässigen. Als schlechtes Beispiel nannte Wenzel die Microsoft-Tochter Web TV, die Internet-Inhalte über TV-Kabel anbietet und zur Zeit ein Pilotprojekt mit der Deutschen Telekom betreibt. Die Set-top-Boxen des Unternehmens würden alle Aktivitäten der Anwender aufzeichnen und so Interessenprofile erzeugen. Daher tritt Wenzel für einen Rechtsrahmen ein, der den Verbraucher besser schützen soll. Dem widersprach allerdings US-Präsidentenberater Ira Magaziner, der sich für eine Selbstregulierung der Marktkräfte stark macht. Magaziner, der Bill Clinton in Internet-Fragen zur Seite steht, tat die EU-Entwürfe als zu bürokratisch ab. "Gesetze sind kaum durchsetzbar und nicht zu kontrollieren", begründete der Amerikaner seine ablehnende Haltung. Der Präsidentenberater plädiert dafür, den Konsumenten die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu schützen. Ein Datenschutz-Siegel solle dem Surfer zeigen, daß der Anbieter mit personenbezogenen Informationen sorgsam umgeht. Filter könnten die Verbreitung von illegalen Inhalten verhindern. Tagungsleiter Clemens Baack vom Heinrich-Hertz-Institut in Berlin gab einen Ausblick auf die zukünftige Netzausstattung des privaten Internet-Nutzers. Demnach werde im Jahr 2010 der Endanwender mit 100 Mbit/s ans Web angebunden sein. In diesem Zusammenhang bezeichneten mehrere Referenten das heutige ISDN-Netz in Deutschland als veraltet.