Rahmenbedingungen für E-Business/Sinn und Unsinn der Internet-Statistik

Der Web-Surfer, das unbekannte Wesen

12.01.2001
Täglich stürmen rund 120000 deutsche Nutzer neu ins Web, mehr als 20 Millionen haben inzwischen einen Internet-Zugang. Jeden Monat erscheinen neue Erhebungen zu den Vorlieben, zur Kaufkraft, zum Geschlecht und zum Bildungsstand der Surfer. Gerda von Radetzky* ging aktuellen Untersuchungen nach und vergleicht die Daten.

"Was mich beeindruckt, sind die Zahlen", meint Erwin Staudt, Vorsitzender der Geschäftsführung von IBM Deutschland. "Ein Umsatz von 800 Millionen Mark, ein jährlicher Zuwachs von 400 Prozent, da friert?s einen." Die rund 1100 E-Marktplätze würden ein "Instrument für den Massenmarkt". Aber das funktioniere nur, "wenn der Kunde einen Mehrwert, einen Nutzen sieht, sonst wird alles, was wir hier machen, ein Rohrkrepierer", fügt er in einem Gespräch anlässlich der Verleihung des WWWebster-2000-Award hinzu. Nur, wer ist der ominöse Kunde?

Forsa befragt im Auftrag der Media Gruppe Digital regelmäßig rund 30000 Personen über 14 Jahre. Im dritten Quartal 2000 gaben 27,9 Prozent der Deutschen an, das Internet zu nutzen, das ist eine Steigerung zum Vorjahr um fast 100 Prozent. Prognostiziert wurden bis Ende des vergangenen Jahres 20 Millionen Surfer. Die waren laut einer Studie aus dem gleichen Hause mit 20,1 Millionen allerdings bereits im November überschritten, und der Konkurrent Infratest Burke verzeichnete ein halbes Jahr zuvor schon 23,6 Millionen Web-Nutzer. Die EU-Kommission beziffert die Anschlussrate in Dänemark, Schweden und Holland auf über 50 Prozent, EU-weit waren im letzten Oktober 28 Prozent aller Haushalte am Netz, nach 18 Prozent im März des vergangenen Jahres.

"Ich traue keiner Statistik, es sei denn, ich hätte sie selbst gefälscht", wird Sir Winston Churchill zitiert. Statistik ist ein Näherungsverfahren, sie stellt bestimmte Kennwerte dar, die subjektiv ausgewählt wurden. Wahrheit oder Sicherheit gehören nicht zur Begriffswelt der Disziplin. Und Internet-Umfragen zu trauen, ist ein zweischneidiges Schwert, denn niemand weiß, wie hoch der Prozentsatz derer ist, die schlicht lügen - sei es aus purer Lust oder um die Statistik ab absurdum zu führen.

Macht Surfen krank? Nach einer von der Universität München vorgelegten Studie zeigten von 1000 Befragten lediglich 46 Symptome einer Sucht. Und es ist auch nicht das Internet, das diese knapp fünf Prozent der User krank mache, sondern die krankhafte Internet-Nutzung sei Zeichen einer psychischen Störung. Mit dem Bild des einsamen Surfers räumte auch das Institut für Demoskopie Allensbach gründlich auf. Onliner sind danach aktiver und informierter als Offliner, lesen nicht nur mehr Gedrucktes als der Durchschnittsdeutsche, sondern treiben auch mehr Sport, gehen häufiger ins Kino, treffen sich öfter mit Freunden. Wahre "Medienfresser" sollen die E-Commerce-Kunden sein - die Studie entstand im Auftrag der Verlagsgruppe Milchstraße.

Die Shopper machen fast ein Drittel der deutschen Netznutzer aus - laut W3B kaufen sogar schon 80 Prozent online. Nach der jüngsten GfK-Untersuchung haben im September und Oktober von 19,2 Millionen Onlinern 3,1 Millionen oder 16 Prozent über das Netz Waren für rund 676 Millionen Mark bestellt. Jupiter Research liegt zwischen Allensbach und GfK: Danach erledigt ein Viertel der 80 Millionen europäischen Onliner über das Netz Besorgungen.

Ob die deutschen E-Commerce-Kunden auch neue Printtitel "fressen", sei zudem dahingestellt. Einerseits ging die Zeitschrift "Gold", die nach dem Internet-Auftritt auch offline startete, wieder unter, andererseits bringt der Kaufhof jetzt eine Print-Ausgabe zu seinem Kinderkanal Zebralino. Ob privat oder beruflich, laut GfK interessiert sich der User besonders stark für Wirtschaftsinformationen und für das Versenden von E-Mails. Vergleichbare Zahlen gibt es für die USA: Nach Pricewaterhouse-Coopers steht dort an erster Stelle die Recherche, an zweiter die elektronische Post.

Forsa untersuchte im Auftrag von www.tipp24.de das Interesse an Online-Dienstleistungen. Danach steht bei den 14- bis 44-Jährigen mit 75 Prozent das Bestellen von Eintrittskarten für Kino und Theater an erster Stelle. Vom Interesse allein kann aber ein Web-Ticketverkäufer nicht leben: Im vergangenen Sommer musste Gaudia.com aufgeben. Ob ein Onliner öfters über das Netz kauft, hängt vielmehr von seiner Erfahrung ab: Bei mehr als drei Jahren Web-Praxis ist die Wahrscheinlichkeit, dass schon einmal etwas über das Netz gekauft wurde, doppelt so hoch wie bei den Surfern mit nur einjähriger Erfahrung. Nach einer Greenfield-Studie haben 68 Prozent der Surfer, die ein halbes Jahr im Netz waren, schon einmal online eingekauft - bei denen, die bereits drei Jahre lang surften, lag die Quote bei 90 Prozent.

Regelmäßig kommt auch die W3B-Studie von Fittkau & Maaß heraus, im vergangenen Herbst beteiligten sich knapp 70000 Onliner daran. Danach setzte sich die Online-Gemeinde zu 69,9 Prozent aus Männern und zu 31,1 Prozent aus Frauen zusammen - in der Summe immerhin 101 Prozent. Beim Verhältnis Frau zu Mann kommt die GfK allerdings auf 40 zu 60. Laut Media Metrix konnten die amerikanischen Frauen das vermeintlich starke Geschlecht bereits im letzten Sommer überholen, in Schweden lag der weibliche Anteil damals schon bei 44,2 Prozent. Nach Greenfield kaufen Amerikanerinnen online mehr ein als Männer. Im Gegensatz zu GfK ist bei der Akademie für Technikfolgenabschätzung der typische deutsche E-Käufer jedoch immer noch ein 30-jähriger Mann mit höherer Bildung.

Bei den Interessen unterscheiden sich die Geschlechter: Amerikanerinnen suchen Reise- und Shopping-Angebote, aber auch Karriere-Sites. In Deutschland klicken sie www.Arbeitsamt.de überdurchschnittlich oft an. Und Frauen sind pragmatisch: Sites, die ihnen Zeit und Geld sparen, besuchen sie laut MMXI besonders oft. Vielleicht kein Wunder, verwalten doch viele von ihnen die Haushaltskasse. Die FH Furtwangen stellte fest, dass Frauen meist konkrete Informationen mit einem bestimmten Ziel suchten, im Gegensatz zu Männern, die sich gern treiben ließen. Im Gegensatz dazu kommen Pariser Untersuchungen zur gegenteiligen Aussage: Frauen in Frankreich surften neugieriger und ausschweifender als Männer.

In einem sind sich jedoch die Europäer einig: Je länger der User Anschluss hat, desto länger verweilt er im Netz. Laut Forsa surfen Deutsche, die länger als drei Jahre im Netz sind, im Schnitt 76 Minuten pro Tag, Neulinge nur 36 Minuten, macht pro Woche knapp neun respektive vier Stunden. AC Nielsen geht von fast 16 Millionen deutschen Onlinern aus und meint, jeder sei pro Monat nur 8,5 Stunden im Netz.

In den USA hingegen sind laut Pricewaterhouse-Coopers seit 1999 die wöchentlichen Online-Zeiten um rund eine Stunde gesunken. Eine mögliche Erklärung: Je erfahrener der User ist, desto gezielter nutzt er das Netz. US-Bürger seien im Herbst 2000 im Schnitt 4,2 Stunden pro Woche online gewesen, Europäer 3,2 Stunden und damit nur halb so lange wie die von Forsa ermittelten Werte zeigen.

Wer das Online-Geschäft wirklich macht, zeigt der US-Markt: Nur vier Unternehmen - Computer-Händler Dell, das virtuelle Warenhaus Amazon, Buy.com und das Reisebüro Expedia von Microsoft - sollen 1998 zusammen rund 1,5 Milliarden Dollar und damit fast die Hälfte der 3,5 Online-Milliarden umgesetzt haben. Neckermann hoffte vor Jahresschluss auf einen Online-Umsatz von 200 Millionen Mark nach 54 Millionen im Jahr 1999. Dabei handelt es sich nicht unbedingt um neue Geschäfte, sondern häufig um die Verwandlung der traditionellen Bestellpostkarte in ein E-Formular.

Für das zurückliegende Weihnachtsgeschäft hatte Jupiter Research eine Verlagerung des Online-Umsatzes auf den stationären Handel prophezeit: Der Europäer würde sich zwar im Web informieren, aber offline für 7,5 Milliarden Euro schenken. Über das Netz kauften 25 Prozent der 80 Millionen User für 1,7 Milliarden Euro ein: Briten liegen mit 591 Euro an der Spitze, gefolgt von den Deutschen mit 490 Millionen Euro. Gartner meinte, dass 40 Prozent der US-Onliner knapp die Hälfte ihrer Geschenke im Internet kaufen würden, das Volumen liegt bei etwa 8,4 Milliarden Dollar.

Die Zahlen liegen zwischen 200 und 380 Millionen"Es gibt Lügner, gottverdammte Lügner und Statistiker." Auch dieser Ausspruch stammt von Churchill. Allein die Zahl der Onliner weltweit schwankt je nach Untersuchung zwischen 200 und 380 Millionen. Wie auch immer Studien-Ergebnisse ausfallen, sie hängen vom Interpreten ab. Wenn mehr Frauen als Männer eine Site anklicken, heißt das nicht, dass sie bei Frauen beliebt ist - es könnte einfach sein, dass sie von Männern noch mehr missachtet wird als von Frauen. Und dass bei der W3B-Studie der Anteil der Haupt- und Realschüler zugenommen hat, könnte darauf zurückzuführen sein, dass User mit Abitur bei den ersten Umfragen neugierig waren, jetzt aber keine Lust mehr aufs Surfen haben.

Eine Emnid-Studie besagt, dass sich Onliner durch starke Aufgeschlossenheit und Progressivität auszeichnen. Aufgeschlossen waren schon immer diejenigen, die frühzeitig Wissen, Kenntnisse und Techniken mitbekamen - durch persönliche Kontakte, Bücher und Kultureinrichtungen. Und dazu gehört eben heute das Internet. Die Masse der Surfer verbreitet ihre Ansichten über Konsumenten-Sites wie www.ciao.com. Wer Umsatz machen will, muss seinen Kunden selbst erforschen, die Software dazu ist längst auf dem Markt. Denn wie sagte Churchill: "Ich traue keiner Statistik ..."

* Gerda von Radetzky ist freie Journalistin in München.

Umsatzfaktoren

E-Verkäufer wollen Umsatz. Aber tritt der Anbieter auch kundenfreundlich auf? Bei einer Untersuchung stellte Infratest Burke fest:

- Entscheidende Motivatoren für die Nutzung von Sites sind Inhalte, Informationswert, Vielfalt und leichte Bedienbarkeit.

- Der schnelle Aufbau der Site ist wesentlich.

- Links, Downloads, personalisierte Darstellungen sind (noch) nicht relevant.

- Funktionales Design ist beliebter als aufwändige Umsetzung.

Bemängelt wurden vor allem:

- Browser- und auflösungsabhängiges Design,

- Einsatz von Cookies,

- zu viele spezifische Plugins,

- zu viel Werbung,

- fehlende Übersichtlichkeit,

- fehlende Aktualisierung.