siemens lockt die hochbegabten

Der Versuch einer emotionalen Bindung

20.10.1999
Um den Konkurrenten zuvorzukommen, bindet der Siemens-Konzern hochbegabte Studenten bereits nach dem Vordiplom an sich. Allerdings erfüllt sich die Hoffnung, sie später auch als Siemens-Mitarbeiter begrüßen zu können, nicht immer.

"der siemens-konzern hat so viele Vorteile zu bieten, daß ich mich nach Beendigung des Studiums dort um einen Job bewerbe", erklärt der 23jährige Martin Sandgren aus Göteborg. Wo sonst könne man rund um den Globus, in verschiedenen Sparten, aber immer bei der gleichen Firma, seine Karriere aufbauen und darüber hinaus so früh Fördermaßnahmen erhalten. Das waren Aussagen, die die Vertreter des Elektrokonzerns hören wollten.

Das war auch der Grund, warum Siemens Erlangen 80 Studenten und Doktoranden aus verschiedenen Ländern zu einem Treffen eingeladen hatte. Für keinen der Anwesenden ist der Münchner Konzern fremdes Terrain, schließlich gehören alle Teilnehmer bereits dem Studentenprogramm des Konzerns (SSP) an. Um in diesem Kreis aufgenommen zu werden, müssen die Aspiranten im Vordiplom überdurchschnittlich gute Noten (besser als 1,9) sowie ein zügiges Studium vorweisen können, bereits eine oder mehrere Fremdsprachen sprechen, international orientiert und sehr teamfähig sein. Die Auswahl erfolgt in Form von Einzelinterviews beziehungsweise Gruppenauswahlverfahren. Etwa die Hälfte der entweder von Hochschulprofessoren, aber auch von Personalabteilungen vorgeschlagenen Absolventen, wird in den Kreis der Hochbegabten aufgenommen.

Zu den Fördermaßnahmen gehören unter anderem die Vermittlung von Praktikanten- oder Werkstudentenplätzen im In- und Ausland, Teilnahme an firmeninternen Seminaren sowie die Möglichkeiten eines Stipendiums. Bei den SSP-Studenten, egal ob nun Ingenieure, Informatiker oder Wirtschaftswissenschaftler, handelt es sich exakt um den Nachwuchs, der von der gesamten Wirtschaft händeringend gesucht wird.

Udo Dierk, Executive Director Corporate Human Resources bei Siemens, weiß um ihre Bedeutung: "Es ist für uns immens wichtig, diese talentierten jungen Leute emotional so an uns zu binden, daß sie später in unserem Haus arbeiten werden." Allerdings, fügt er hinzu, handle es sich hierbei keinesfalls um eine Verpflichtung.

Der Münchener Konzern hat gute Gründe, sich intensiv um die potentiellen Mitarbeiter zu bemühen. Zwar nehmen mittlerweile weltweit 600 Teilnehmer am SSP-Programm teil - doch längst nicht alle von ihnen werden nach dem Studium "Siemensianer". Im Moment ist sogar ein Abwärtstrend zu beobachten. Betrug die Einstellquote in den vergangenen Jahren noch 60 Prozent, ist sie derzeit auf 50 Prozent gesunken.

Bewerbungen bleiben wochenlang liegen

Teilnehmer des SSP-Treffens nannten einige der Gründe. Zum einen würden die Job-Bewerbungen oftmals wochenlang liegenbleiben, zum anderen würden die potentiellen Wunsch-Mitarbeiter nach Beendigung des Studiums in vielen Fällen plötzlich alleingelassen. Dierk kennt die Probleme: "Dies sind Schwachstellen, die wir unbedingt beheben müssen." Hier soll ein neu ins Leben gerufenes Rekrutierungsprojekt Abhilfe schaffen. Die Studenten sollen noch intensiver betreut und mit den Vorteilen des Unternehmens vertraut werden. Dies sei auch das Ziel des Treffens in Erlangen.

In der Tat gaben sich die Referenten große Mühe, den Konzern in leuchtenden Farben zu schildern. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, daß Siemens im Gegensatz zum früheren, eher technischen Image heutzutage modern und aufgeschlossen sei. Dazu gehöre auch, daß die Führungskräfte weniger als Manager anzusehen seien. "Leadership" sei angesagt.

Besonders euphorisch wurden den Anwesenden die sieben Leitbilder des Hauses ans Herz gelegt: "Der Kunde bestimmt unser Handeln", "Unsere Innovationen gestalten die Zukunft", "Erfolgreich wirtschaften heißt: Wir gewinnen durch Gewinn", "Spitzenleistung erreichen wir durch exzellente Führung", "Durch Lernen werden wir immer besser", "Unsere Zusammenarbeit kennt keine Grenzen" sowie "Wir tragen gesellschaftliche Verantwortung".

Nach soviel Theorie kam der Mann aus der Praxis. Jens Wegmann, Geschäftsfeldleiter Anlagenbau- und technische Dienstleistungen, kann eine Bilderbuchkarriere vorweisen. Sein Elektrotechnik-Studium hat der 33jährige vor zehn Jahren im Eiltempo absolviert. Um die Sprache zu lernen und Auslandserfahrung zu sammeln, nahm er in den USA einen Job bei Siemens an: "Die Tätigkeit dort war schlecht bezahlt, und zehn Tage Urlaub waren auch nicht gerade der Hit." Man müsse in jungen Jahren bereit sein, Nachteile dieser Art in Kauf zu nehmen.

In den Vereinigten Staaten hat sich Wegmann nicht nur perfekte Englisch- sondern auch BWL-Kenntnisse angeeignet. Als der Jung-Manager fünf Jahre später nach Deutschland zurückkehrte, hatte er sich gegen den eigenen Familienbetrieb und für Siemens entschieden. Nach den Gründen befragt, antwortete er: "Die Arbeit macht Spaß. Dazu kommt, daß sich das Feedback und die Unternehmenskultur positiv verändert haben. Siemens ist kein reiner Ingenieur-Laden mehr."

Die Karriereleiter weiter hochgeklettert ist Wegmann, nachdem er Teile des Management-Learning- Programms absolviert hatte. Dazu gehörte unter anderem die Mitarbeit in einem Business Impact Project, bei dem Probleme aus dem Unternehmensalltag gelöst werden müssen. Nach der Beschreibung seines beruflichen Werdegangs stellte sich der Siemens-Mann den Fragen der Teilnehmer.

Shareholder-Value undsoziale Verantwortung

Immer wieder wurde nach der Umsetzung des Leitbilds "Wir übernehmen gesellschaftliche Verantwortung" in den Berufsalltag gefragt. Eine Reihe der Studenten wollte wissen, wie beispielsweise Kündigungen mit einem solchen Leitbild in Einklang gebracht werden könnten. Wegmann räumte ein, daß Shareholder-Value auf der einen und soziale Verantwortung auf der anderen Seite in der Tat oftmals nur mit einer Art Spagat zu bewältigen seien. Zum Schluß gab der Siemens-Manager den Studenten folgenden Rat mit auf den Weg: "Schlagen Sie einen unkonventionellen Weg ein und überlassen Sie Ihre Karriere nicht nur dem Arbeitgeber."

Die Studenten wurden aufgefordert, ihre eigenen Wertvorstellungen für ihr künftiges Berufsleben zu definieren. Dieser Aufforderung folgten die in unterschiedliche Gruppen aufgeteilten junge Leute mit großer Begeisterung.

Begriffe wie Rücksicht, Toleranz, Entfaltung, Freude an der Arbeit oder Selbstverwirklichung schwirrten durch die Luft. Jungen Frauen war die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig. Einen Schritt weiter als ihre Kollegen gingen die Mitglieder der schwedischen Gruppe. Sie forderten mehr Autonomie sowie den Abbau von Schwellenängsten gegenüber der Führungsriege.

Im großen und ganzen konnten die Siemens-Vertreter mit den Wertvorstellungen der jungen Leute zufrieden sein. Letztlich ähnelten sie in vielen Punkten den neuen Leitbildern des Konzerns.

*Ina Hönicke arbeitet als freiberufliche Journalistin in München.